Ein neuer Reformpräsident
Wieder einmal wurde mit Masoud Pezeshkian ein Reformer zum iranischen Präsidenten gewählt. Er war einer von den Kandidaten, die von den achtzig Bewerbern zugelassen worden war. Vier Jahre hatte der Konservative Ebrahim Raisi regiert. Er hatte seine Wahlversprechen nicht umsetzen können. Das Wirtschaftswachstum stagniert, obwohl Präsident Raisi eine achtprozentige Steigerung versprochen hatte. Die Arbeitslosigkeit stagnierte bei etwa zehn Prozent, obwohl Raisi die Schaffung einer Million Arbeitsplätze zugesagt hatte. Die Armutsrate stieg. Am meisten trifft die iranische Bevölkerung aber die konstant bei vierzig Prozent liegende Inflation. Die vom Westen verhängten Sanktionen wurden weiter ausgeweitet und hat die wirtschaftliche Lage weiter verschlechtert.
Viele Iraner glauben nicht an eine Verbesserung und sind der Wahl im ersten Wahlgang ferngeblieben. Sie bezweifeln, dass auch ein Reformpräsident wirklich Veränderungen bringen könne. Tatsächlich kann ein Präsident das politische System des Iran nicht in Frage stellen. Dennoch hat es Öffnungen unter Reformpräsiden gegeben. Präsident Khatami unterbreitete Kooperationsangebote an den Westen, die von US-Präsident George W. Bush beantwortet wurde, indem er den Iran auf eine „Achse des Bösen“ setzte. Präsident Rohani konnte mit dem Westen das bahnbrechende Nuklearabkommen (JCPOA) aushandeln, das von US-Präsident Trump verworfen wurde.
Gibt es Reformmöglichkeiten in dem vernetzten politischen System?
Innenpolitisch sind Reformpräsidenten oft mit heftigem Widerstand von den konservativen Institutionen konfrontiert. So versucht die Justiz, durch Hinrichtungen Präsidenten im Westen zu diskreditieren. Der Außenminister unter Rohani, Javad Zarif, musste deshalb mehrmals Auslandsreisen absagen. Das gewählte, aber konservativ besetzte Parlament, verabschiedet oft Gesetze, um Reformen zu behindern. Sie betreffen vor allem strengere Strafen für mangelhaftes Tragen des Kopftuches, oder auch die Behinderung der Verhandlungen über das Nuklearprogramm. Dazu kommt, dass der religiöse Führer vor allem in der Außenpolitik einen Rahmen vorgibt. Dazu gehört das Verhältnis zur „Achse des Widerstandes“ und die Unterstützung von freundlichen Milizen in der Region.
Dennoch gibt es keine anderen Möglichkeiten für Veränderungen als durch Reformen von innen. Sowohl unter Khatami als auch unter Rohani gab es Öffnungen im Kulturbereich und Lockerungen bei Kleidungsvorschriften. Die Vorstellung, eine Revolution könne das gesamte Regime stürzen, ist politisch völlig abwegig. Das politische System besteht aus den verschiedensten Institutionen: dem religiösen Führer und seinem Büro; dem Präsidenten und der Regierung; dem Parlament (Madschles); dem nationalen Sicherheitsrat; der Justiz; dem Wächterrat, der die Kandidaten auswählt; dem Expertenrat, der den obersten Führer bestimmt, und dem Schlichtungsrat. Dazu kommt die Medienlandschaft. Neben den staatlich kontrollierten Medien gibt es diejenigen, die das konservative Lager und diejenigen, die das Reformlager unterstützen. Die Medien werden von der Zensurbehörde (Erschat) überwacht.
Zu dem vielfältig vernetzten politischen System kommen die mehrere Duzend Sicherheitsapparate, angefangen von den Revolutionären Garden (Sepha) mit den Quds- und Basij-Einheiten, das traditionelle Militär und die sechzehn Nachrichtendienste. Eine politische Kraft, die diesen Kampf aufnehmen könnte, ist im Iran weit und breit nicht in Sicht. Sollte sie sich entwickeln, würde das einen mehrjährigen blutigen Bürgerkrieg zur Folge haben.
Reformversprechen
Masoud Pezeshkian hat Reformwillen bekundet, was etwa die Umsetzung der Kleidungsvorschriften, die größere Orientierung auf den Westen, das Verhältnis zu den Nachbarstaten und das Nuklearprogramm betrifft. Russland und China sollen nicht mehr ausschließliche Priorität haben. Die Umsetzung vieler seiner außenpolitischen Vorhaben werden aber auch vom neuen US-Präsidenten abhängen.
Obwohl Masoud Pezeshkian seine Loyalität zum obersten Führer bekundete, fühlte sich dieser veranlasst, Pezeshkians Positionen zu kritisieren. Iran sollte sich nicht zu nah an die USA annähern und die Ziele der Revolution in Frage stellen. Tatsächlich wurden viele Versprechen von der Revolution von 1979 nicht umgesetzt, wie freie und gleiche Wahlen, kein Kopftuchzwang, Pressefreiheit, Ende der Folter, soziale Gleichheit, Freilassung der politischen Gefangen, Abschaffung der Armut. Nach 1979 gab es zwar einen Regimewechsel, viele autoritäre Regeln sind aber geblieben, neue Vorschriften wurden zusätzlich erlassen. Jeder Reformpräsident kann das Establishment beim Wort nehmen, von diesem aber ideologisch und machtpolitisch motivierten Widerstand erwarten. Der neue Präsident kann nur einen sehr kleinen Teil von Reformen versuchen, umzusetzen.
Ein weiterer Punkt ist für die Präsidentschaft in der nächsten Amtsperiode zu berücksichtigen. Wenn der Revolutionsführer während dieser Präsidentschaft stirbt, übernimmt ein Rat unter dem Vorsitz des Präsidenten vorübergehend alle seine Aufgaben und bereitet die Wahl eines neuen Führers vor, der allerdings vom Expertenrat gewählt wird.
Heinz Gärtner unterrichtet an der Universitäten Wien. Er war Direktor des Österreichischen Instituts für Internationale Politik. Er leitet den Beirat des International Institute for Peace (IIP). Er hatte mehrere internationale Forschungsaufenthalte und Gastprofessuren unter anderem an den Universitäten von Stanford, Oxford, an Johns Hopkins in Washington und in Deutschland. Er publizierte zahlreiche Bücher und Artikel zu Fragen der USA, internationaler Sicherheit, Abrüstung und Rüstungskontrolle. Unter anderem ist er Herausgeber des Buches "Engaged Neutrality" (Lexington).