Iran mit oder ohne Wahl?

Die Bevölkerung im Iran sehnt sich nach Freiheit und fordert sie, wobei viele der damit verbundenen Forderungen nicht neu sind; sie waren schon Triebkräfte der iranischen Revolution von 1979, die sich gegen das pro-westliche Regime des Schahs richtete. Ein Großteil von diesen blieb allerdings nicht nur unerfüllt, sondern das darauffolgende religiöse System war zum Teil eine Fortsetzung der vorherigen politischen Diktatur. Abschaffung der Folter, der Todesstrafe und der Zensur, Freilassung der politischen Gefangenen, soziale Gleichheit und Unabhängigkeit (damals von USA, heute von Russland und China) sind verbunden mit der Forderung nach dem Ende der autoritären Herrschaft, damals der pro- westlichen, diesmal der religiösen. Die Forderungen nach politischer Freiheit im Iran hatte schon ihre Basis in der Verfassungsrevolution von 1906.

Die wiederholten Bewegungen und Proteste in diesen vier Jahrzehnten zeigen, dass die Ziele der Revolution 1979 immer noch nicht erreicht sind. Wenn die herrschenden Eliten noch immer die Revolutionsziele predigen, und auch diese Ziele mit Religiosität erklären und vor allem in den Zusammenhang mit Kopftuch für Frauen stellen, verstehen die Menschen nicht wirklich, was gemeint ist! Die Generation von damals weiß Bescheid, dass das Ziel der Revolution 1979 nicht das Tragen des Kopftuches und das Verbot für Frauen in der Öffentlichkeit zu Singen und zu Tanzen waren. Ziel war ein politisch und gesellschaftlich freie Iran, ein gerechtes und demokratisches Land. Gefangenschaft und Todesstrafe von Andersdenkenden sollte abgeschafft und nicht fortgesetzt werden. Beschränkung und Zensur sollten abgeschafft werden. Die Lebenssituation der Bevölkerung sollte verbessert werden.

Die jüngere Generation, die nur dieses System kennt, versteht die rückständigen Gesetze und sinnlosen Beschränkungen nicht. Die Moderne ist in der iranischen Gesellschaft bereits viel weiter fortgeschritten, als es das bestehende System akzeptieren will. Die jetzige oder eine andere Regierungsform werden gezwungen sein, eine Anpassung an diese Entwicklung anerkennen und umsetzen.

Die Wahl, selbst zu entscheiden, wer für eine begrenzte Periode regieren soll, wäre bestimmt eine gute Möglichkeit für ein Volk, Änderungen herbeizuführen (etwas, was es im Iran vor der Revolution nicht gab), aber es ist davon abhängig, wieviel Spielraum, Macht und Freiheit der gewählten Regierung selbst zu Verfügung steht. Obwohl eine „Wahl“ zu einem ein wesentlicher Teil in einer Demokratie gezählt wird, sieht aber ein Teil der Bevölkerung in diesem System keine Hoffnung auf Verbesserung mehr und meint, dass sich durch die Beteiligung an der Wahl nicht viel ändert und auch der Präsident wenig Gestaltungsfreiheiten hat. Die Ablehnung der Wahl ist die Reaktion auf dieser Machtlosigkeit gegenüber einem mächtigen System. Teile der Opposition vor allem im Ausland hoffen, dass es eine neue Gegenrevolution geben wird und auch die Bevölkerung im Land würde damit rechnen und darauf warten. Die Bevölkerung im Besonderen die junge Generation, hat aber kein ernsthaftes Interesse an einem neuen Revolutionsführer oder eine Führerin und will nicht die Art der Revolution von 1979 mit einem unbestimmten Ausgang und ungewissen Zielen riskieren. Die ältere Generation, die die Revolution und danach den Krieg erlebt hatte, hat kein Vertrauen und will kein Chaos und kein Risiko. Viele Menschen aus den unterschiedlichen Generationen im In- oder im Ausland haben - trotz ihrer Unzufriedenheiten - nach der intensive Protestphase von Jahren 2022/23 bemerkt, dass es nicht leicht ist dieses System zu beseitigen. Das ist ein vielschichtiges, undurchschaubares System mit komplizierten Regelungen. Wahrscheinlich müssen die Menschen im Land immer noch an einer Entwicklung im Inneren arbeiten und auf eine langsame Verbesserung warten. Die Intellektuellen im Iran, ob Kunstschaffende oder Lehrende an Universitäten und im Bildungsbereich, haben bereits die Erfahrung, dass ein konservativer Präsident viele Probleme bringen kann (wie in den Regierungszeiten von Ahmadinejad und Raisi) und ein offenerer Präsident dennoch mehr Vorteile und einige gesellschaftliche Freiheiten bringen kann. Es kommt sicher keine Rettung von einer perfekten Revolution, die die Probleme löst und Demokratie und Wohlstand bringt! Daher kann diese gebildete und dynamische Gesellschaft nur auf sich selbst zählen.


Prof. Mag. art. Mitra Shahmoradi-Strohmaier, Malerin und Poetin, wurde 1955 in Abadan – Iran geboren. Sie ist seit 1979 als freischaffende Künstlerin und Autorin in Wien tätig.