An der Spitze der Europäischen Union und der NATO sind die neuen Bestellungen abgeschlossen worden. Nur eine Position, die der Präsidentschaft der EU Kommission bekommt ein Wiederbestellung. Ursula von der Leyen wird wieder für die Kommissionsspitze nominiert. Sie muss allerdings noch die Zustimmung der Mehrheit im Europäischen Parlament bekommen, was wahrscheinlich aber keineswegs sicher ist. Auch die neue „Außenministerin“ der EU, Kaja Kallas, braucht als Kommissarin die Zustimmung der Parlamentarier. Ohne diese Zustimmung kann Antonio Costa als Ratspräsident seine Vorsitzführung im Kreise der Regierungschefs beginnen. Und das gilt selbstverständlich auch für den neuen NATO Generalsekretär Mark Rutte.
Angesichts der Herausforderung durch den Aggressionskrieg Russlands gegen die Ukraine ist es gerechtfertigt Mark Rutte als Spitzenkraft Europas zu benennen. Denn ohnedies wird in den nächsten Jahren die Zusammenarbeit der EU mit der NATO noch stärker werden. Rutte als langjähriger Regierungschef der Niederlande wird noch intensiver an dieser Zusammenarbeit wirken als sein aus Norwegen stammender Vorgänger.
Die Verteidigung der Ukraine bzw. die schrittweise Heranführung der Ukraine - und von Moldawien - an die EU ist sicher eine der herausragendsten Aufgaben der neuen EU und NATO Spitze. Beides ist nicht unumstritten. Teile der extremen Rechten - vor allem in Ungarn, in der Slowakei, aber auch in Österreich und Deutschland - sehen die Unterstützung der Ukraine als problematisch, sie werben für einen raschen Frieden und liegen eher auf der russischen als auf der europäischen Linie.
Aber je länger der Krieg dauert, desto mehr wächst der Unmut auch in anderen Ländern, vor allem wenn immer mehr Geld für die Rüstung ausgegeben wird. Das Europäische Quartett muss dabei eine Politik entwickeln, die mehrere Ziele im Auge hat.
Erstens müssen die EU und die NATO weiterhin die Ukraine militärisch und wirtschaftlich unterstützen. Sie dürfen dabei der Ukraine allerdings keine unrealistischen Hoffnungen machen. Weiters muss die EU Spitze und auch die Ukraine Politik unterstützenden nationalen PolitikerInnen mit der europäischen Bevölkerung in einen viel stärkeren Dialog über die Sinnhaftigkeit, ja Notwendigkeit der Ukraine-Unterstützung eintreten. Und da stellt sich die Frage, ob die neue „Außenministerin“ der EU mit ihrer auch verbal klaren und manche würden sagen aggressiven Haltung gegenüber Russland die Fähigkeit hat auch Skeptiker der EU Ukraine Politik zu überzeugen.
Es ist auch zu hoffen, das in den nächsten Jahren, jedenfalls in der Amtszeit der jetzigen Kommission der Krieg in der Ukraine zu Ende geht. Realistisch ist davon auszugehen, dass es keinen klaren Sieg der Ukraine - und damit des Westens gibt. Ein territorialer Kompromiss wird notwendig sein, so schmerzlich das vor allem für die Ukraine ist.
Die militärische und wirtschaftliche Unterstützung der Ukraine hat immer mehr das Ziel, die Frontlinie so zu gestalten, dass der territoriale Verlust möglichst gering zu halten ist. Und parallel zu dieser Unterstützung muss die EU versuchen, bei einer hoffentlich bald stattfindenden Nachfolgekonferenz zur letzten Friedenskonferenz am Bürgerstock in der Schweiz - an der auch Russland teilnehmen sollte - einen Waffenstillstand zu erreichen. Und in diesem Sinn müsste vor allem auch die neu „Außenministerin“ der EU wirken. Ich fürchte, das wird ihr schwerfallen.
Dabei sollte man auch nicht viel von der Notwendigkeit der Etablierung einer „Kriegswirtschaft“ reden, sondern klar die Bedeutung einer erhöhten Verteidigungsbereitschaft unterstreichen. Diese betrifft ja nicht nur die militärische Seite, sondern eine Reihe von Herausforderungen von der Abwehr von Cyberattacken bis zu der Besorgung von Ressourcen für die Energiewende zur Erreichung der Klimaziele.
Damit bin ich bei einer weiteren wichtigen Aufgabe, der Fortsetzung und zugleich auch Verstärkung der Klimapolitik. Die alte und neue Kommissionspräsidentin von der Leyen hat ja vor der Wahl einige Rückzieher machen müssen. Jetzt ist sie gefordert zu erklären, ob sie nach wie vor zum „Green Deal“ steht oder ihn auf Dauer abschwächen möchte und dem Druck von weit rechts bzw. auch aus der rechten Mitte nachgeben möchte.
Damit der Green Deal auch Sinn macht, ist vor allem auch eine globale Zusammenarbeit notwendig. Die muss die EU vorantreiben und dabei vor allem auch mit Ländern wie China, Indien, Brasilien etc. zusammenarbeiten. Die führenden Länder des Globalen Südens müssen zu Partnern in der Erreichung der Klimaziele werden.
Parallel dazu muss sich Europa - vor allem auch was die Energieversorgung und hier insbesondere die nachhaltige Energiegewinnung betrifft - auf die eigenen Beine stellen. Europa ist noch zu sehr auf die Versorgung mit seltenen Erden und Metallen auf außereuropäische, vor allem chinesische Quellen angewiesen. Hier muss Europa stärker auch eigene Entwicklungen und Produktionen setzen. Die globale Zusammenarbeit und die stärkere Eigenversorgung müssen Hand in Hand gehen.
Grundsätzlich wird die Notwendigkeit, die EU zu einem globalen Machtfaktor auszubauen, immer wichtiger. Und das haben wahrscheinlich auch die neuen Spitzenkräfte von EU und NATO im Sinn. Aber dazu brauchen sie auch die klare Mehrheit der europäischen Bevölkerung. Die europäischen und nationalen Wahlen der letzten Zeit haben aber jene Parteien gestärkt, die das Nationale im Vordergrund sehen und nicht die europäische Bewältigung der globalen Herausforderungen anstreben. Damit wird die Aufgabenstellung der neuen europäischen Führungskräfte besonders kompliziert und herausfordernd.
Dr. Hannes Swoboda, President of the International Institute for Peace (IP), started his career in urban politics in Vienna and was elected member of the European Parliament in 1996. He was Vice President of the Social Democrat Group until 2012 und then President until 2014. He was particularly engaged in foreign, enlargement, and neighborhood policies. Swoboda is also President of the Vienna Institute for International Economics, the Centre of Architecture, the University for Applied Science - Campus Vienna, and the Sir Peter Ustinov Institute.