Es ist schon erstaunlich wie die Diskussion über den Kolonialismus in jüngster Zeit wiederbelebt wurde. Das trifft auch auf Deutschland zu, wo vor allem die Eröffnung des Humboldt Forum in Berlin und hier wieder der Umzug der außereuropäischen Sammlungen aus dem Museum im Bezirk Dahlem ins Humboldt Forum die Debatte über die Herkunft der gesammelten Werke und damit über den - deutschen - Kolonialismus beflügelt hat. Diese Debatte ist aber Teil einer internationalen Auseinandersetzung über den Kolonialismus und wie sich der Westen den Verbrechen der Vergangenheit stellen soll. Das betrifft ja nicht nur die eigentlichen Kolonialmächte, sondern alle Länder die vom Kolonialismus profitiert haben.
Berlin: Dialog der Kulturen unter neuen Vorzeichen
Ich war in meiner Eigenschaft als Vorsitzender der „Internationalen Expertenkommission Historische Berlin Mitte“, die die (Wieder)- Errichtung des Schlosses, aber jetzt als Forum für interkulturelle Dialog empfohlen hat, sehr für den Transfer der Dahlemer Sammlung ins Zentrum der Stadt. Sie sollte das physische Rückgrat für das Humboldt Forum dienen. In meinem Vorwort zum Abschlussbericht der Kommission von 2002 warb ich für ein Humboldt Forum als Stätte des Dialogs der Kulturen und der Wissenschaften, die über die Grenzen Berlins hinaus wirken sollte. Inzwischen hat allerdings die Debatte über Raubkunst an Fahrt aufgenommen und so habe ich meinen jüngsten Besuch des Forums mit gemischten Gefühlen unternommen.
Hanno Rauterberg hat in der „Zeit“ vom 23.9. 2021 seinen Beitrag über das Humboldt Forum mit „Und in uns tönt die Welt“ überschrieben und gemeint: „Endlich! Das Berliner Schloss zeigt seine ethnologische Sammlung. Nach allen Debatten spricht jetzt die Kunst“. Im Beitrag heißt es unter anderem: „Es ist ein Museum der gemischten Gefühle geworden.........Das Museum läßt uns die Eigenmacht der Dinge spüren, ihre Würde; zugleich bleibt die Frage nach Schuld und Verantwortung nicht außen vor.“
In der Tat begleitend zu den Sammlungstücken die ausgestellt werden, werden immer wieder die Bezüge zu den Gräueltaten der Kolonialherren vor allem gegenüber den Hereros in Namibia hergestellt. Und es wird hinterfragt, wie die Sammlungstücke in den Besitz einzelner Sammler und letztendlich in das Eigentums des Museums gekommen sind. So heißt es auf einer der Ausstellungstafeln: „Über die gesammelten Objekte wurde ein fiktives Bild von Afrika konstruiert - als „rückständig“, isoliert, unveränderlich und homogen. Diese kolonial - rassistische Vorstellung prägt bis heute das europäische Bild des afrikanischen Kontinents.“
Für die nigerianische Schriftstellerin Chimanda Ngozi Adichie, ist diese kritische „Begleitmusik“ zur Präsentation der Objekte der Schausammlung nicht ausreichend. Sie fragt vielmehr in ihrem Beitrag in der „Zeit“ vom 30.9.2021 „Wer hat das Recht den anderen auszustellen?“ Sie meint:“ Wenn. Europa seinen eigenen Idealen gerecht werden will, darf es nicht länger geraubte Kunstschätze ausstellen.“
Aber auch sie spricht sich für den Dialog aus, zu dem das Humboldt Forum einen wichtigen Beitrag leisten kann. Ich persönlich meine, dass auf Grund der neu entflammten Debatte über Raubkunst und die Rückgabe dieser Objekte die Chance besteht die kulturellen Beziehungen zwischen Europa und den Ländern aus denen die Objekte illegal entfernt wurden, neu zu gestalten. Nicht alles was sich in unsren Museen aus solchen Ländern befindet ist geraubt worden. Zum Teil ist die Herkunft und der Weg nach Europa nicht nachvollziehbar.
Auch Wien ist gefordert
Aber alle „ethnographischen“ Museen müssen sich der Auseinandersetzung mit der problematischen Provenienz der Objekte und dem Kolonialismus und seinen Folgen beschäftigen. Das tut im Übrigen auch das Weltmuseum Wien. Da heißt es in einer grundlegenden Stellungnahme: „Ethnographische Museen sind zu Zeiten des Kolonialismus entstanden und dienten vor allem dazu, den BewohnerInnen Europas jene Manschen vorzustellen, die in den Kolonien lebten und arbeiteten. Das Museum erfüllte dabei einen durchaus praktischen Zweck: Es bereitete Kolonialbeamte, Reisende und Handeltreibende auf den Kontakt mit Völkern vor, die aus Sicht der Kolonialherren gänzlich anders, vor allem aber deutlich primitiver waren als die „zivilisierte“, „fortschrittliche“ Bevölkerung Mitteleuropas.“
Dabei ist die Auseinandersetzung mit dem Kolonialismus „auch von aktueller gesellschaftspolitischer Relevanz: der Kolonialismus hat unsere Welt grundlegend verändert und seine Auswirkungen prägen sie noch heute. Globalisierung und Migration in ihrer heutigen Form sind ohne den Kolonialismus und seine Folgen nicht denkbar.“
Neue Wege der Verständigung
Sich mit der vielfältigen kolonialen Vergangenheit zu beschäftigen ist also auch für das Verstehen der heutigen Zeit notwendig. Vor allem aber sollten wir in die Zukunft schauen und uns überlegen wie die europäischen Sammlungen einen echten Beitrag zum inter-kulturellen Dialog leisten können. Europa sollte auf vielfache Weise die Herkunftsländer bei der Errichtung und Ausstattung von Museen unterstützen. Gemeinsame Wanderausstellungen sollten organisiert werden. Ein Teil der Objekte, die zurückgegeben werden müssen, könnten - abwechselnd - als Leihgaben gegeben werden. Jedenfalls sollten auch die Herkunftsländer ein Interesse haben, dass auch in Zukunft in Europa eine Auseinandersetzung mit außereuropäischen Kulturen stattfindet. In diesem Sinn sind also weder das neu geschaffene Humboldt Forum in Berlin noch das neu gestaltete Weltmuseum in Wien hinfällig. Sie eröffnen viele Möglichkeiten einer Kooperation zwischen Europa und den Herkunftsländern der oftmals geraubten Objekte.
Sicher stellen die kulturellen Beziehungen bzw. Spannungen zwischen Europa und den ehemaligen Kolonien insbesondere aus Afrika nicht die wichtigste Herausforderung dar. Ökonomische, soziale und ökologische Fragen dominieren diese Beziehungen. Aber zum Selbstverständnis jeden Volkes und Landes gehört auch die kulturelle Dimension. Und so sollte Europa und seine Museen neue Wege einer Kooperation auf Augenhöhe suchen und so einen Teil der Schuld der kolonialen Vergangenheit abtragen.
Dr. Hannes Swoboda, President of the International Institute for Peace (IP), started his career in urban politics in Vienna and was elected member of the European Parliament in 1996. He was Vice President of the Social Democrat Group until 2012 und then President until 2014. He was particularly engaged in foreign, enlargement, and neighborhood policies. Swoboda is also President of the Vienna Institute for International Economics, the Centre of Architecture, the University for Applied Science - Campus Vienna, and the Sir Peter Ustinov Institute.