BREXIT: ein Gamechanger?

Die Entscheidung der britischen Bevölkerung, die EU zu verlassen, hat die Union in eine Krise gestürzt. Während die EU und Großbritannien verhandeln, ist nur eines sicher – die nächsten Monate werden von großer Unsicherheit und einem intensiven Nachdenken über die Folgen von Brexit geprägt sein. Die Podiumsdiskussion erörtert mögliche Folgen von Brexit für Europas Beziehungen mit der Welt: Wie entwickeln sich die Beziehungen zwischen den USA und Europa? Wird sich die Rolle der EU in Regionen wie dem Westbalkan und dem Nahen Osten nach dem Brexit verändern? Welche Folgen wird es für die europäische Außen-, Erweiterungs- und Nachbarschaftspolitik geben?

Stephanie Fenkart (Direktorin des Internationalen Institut des Friedens, IIP, Wien) eröffnete die Podiumsdiskussion mit der Feststellung, dass sich die Europäischen Union (EU) ohne Großbritannien in ihren Transatlantischen Beziehungen neu orientieren müsse. Welche Folgen hat das für die Globale Weltordnung?

Heinz Gärtner (Professor für Politikwissenschaft; Lektor an der Universität Wien, sowie an der Donau Universität Krems) gab zum Ausdruck, dass er im Ausstieg Großbritanniens ein Signal eines Angriffs auf die liberale demokratische Weltordnung sehe. Besonders betonte er, dass sich die Europäische Union als eine multilaterale Organisation sehe. Die nie zuvor da gewesene Situation des Ausstiegs eines Bündnispartners bringt eine große Veränderung mit sich, dessen genaue Zukunft es erst zu verhandeln gelte.

Zumal besprach Gärtner Innenpolitische Aspekte und verwies auf die Stimmungswelle die sich momentan durch ganz Europa ziehe. Nationalistische und populistische Parteien wünschen sich zurück zu einer Zeit vor der Globalisierung, ganz im Stil des amerikanischen Slogans „make America great again“. Der Slogan vieler Parteien sei momentan das Stichwort „Fairness“. Die Parteien begeben sich damit in eine Opferrolle, da jemand von außen für diese gefühlte Unfairness verantwortlich ist und so ziehen sie immer mehr Befürworter an. Den Brexit sieht der Politologe als Erstarkung Nationalistischer und Populistischer Werte. Wähler die im vorherigen Jahr dem Brexit zugestimmt hatten waren keine Wähler, die wirtschaftlich schlechter gestellt waren. Befürworter seien Menschen aus allen Schichten gewesen.

Trump lehnt zahlreiche Verträge wie beispielsweise die Transpazifische Partnerschaftsabkommen (TTP), den Klimavertrag und vor allem auch das Atomabkommen mit dem Iran (JCPOA) oder das Nordamerikanischen Freihandelsabkommen (NAFTA) ab. Auch stellt der amerikanische Präsident seine NATO Verpflichtungen in Frage, um dann postwendend das Bekenntnis zum Bündnis wieder zu betonen. Staaten, die selbst bilaterale Abkommen bevorzugen, sind geeignete Partner für Trump. Großbritannien ist einer von ihnen. Theresa May will unbedingt ein Freihandelsabkommen mit den USA nach dem Brexit. Trump wird aber eine Gegenleistung haben. Sie könnte zustimmen, den Iran so stark unter Druck zu setzen, sodass ein Ausstieg aus dem Nuklearabkommen leichter wird. Das muss nicht eine unmittelbare Aufkündigung des Abkommens sein, das auch Großbritannien unterzeichnet hat. Trumps Politik und seine Stellung zum JCPOA, sowie zum Brexit sei eine Haltung die uns näher an den Krieg im Nahen Osten heranführe könnte.

Stephanie Fenkart. Seit 2005 verhandelt die EU mit der Türkei um einen Beitritt zur EU. Seit dem Putschversuch 2016 und mit dem Referendum 2017 hat sich die Türkei allerdings immer mehr in Richtung eines totalitären Staates entwickelt und somit sieht es heute nach einem Abbruch der Beitrittsverhandlungen aus. Der noch laufende Türkeideal, das Flüchtlingsabkommen zwischen der EU und der Türkei, nahm großen Druck von den europäischen Ländern. Weiters gibt es globale Herausforderungen wie den Konflikt in Syrien, den Kampf gegen den IS, internationaler Terrorismus, etc., die aber nur gemeinsam gelöst werden können. Was bedeutet die zunehmende Desintegration für die Außenpolitik der EU sowie für die zukünftige Stabilität in der Region?

Cengiz Günay (Stellvertretender Wissenschaftlicher Direktor des OIIP; Senior Researcher am Internationalen Institut für Internationale Politik, OIIP; Lektor an der Universität Wien) betrachtet den Brexit als Zeichen eines größeren globalen Veränderungsprozesses, der Niedergang einer liberalen Weltordnung. Im Hinblick auf das Modell des „new global marketplace“, habe sich Großbritannien als zusätzlicher Akteur aufgetan. Diese Vervielfältigung der Akteure geht allerdings nicht mit einer Stärkung oder Schwächung einher. Die Europäische Nachbarschaftspolitk (ENP) sei immer stärker durch partikularstaatliche Interessen geprägt gewesen. Der Verlust Großbritanniens sei nicht nur eine Schwächung des Europäischen Ansehens auf internationaler Ebene, sondern auch ein Verlust in Hinblick auf die Europäische Entwicklung, da Großbritannien ein großes Wissen in Verhandlungen miteinbrachte. Andererseits könnten von nun an Umsetzungen möglicherweise leichter durchsetzbar sein, so die Meinung aus EU-Kreisen.

Die Türkei ist seit 1996 Teil der europäischen Zollunion. Es gab Verhandlungen zur Erweiterung dieses Abkommens, diese wurden aber auf Grund von innenpolitischen Ereignissen in der Türkei vorerst aufgeschoben. Die Auswirkung des Brexits für die Beitrittsverhandlungen zwischen der EU und der Türkei sind für die türkische Seite eher negativ, da sich Großbritannien in der Vergangenheit als Befürworter der Fortführung türkischer Beitrittsverhandlungen erwiesen hat.

Stephanie Fenkart lenkt das Gespräch auf den Balkan bzw. Südosteuropa - eine Region, welche besonders seit dem Brexit erschüttert ist. Vorerst scheint eine weitere europäische Integration in die Union nicht in Sicht. Die USA zieht sich aus der Region zurück und alte Player tun sich erneut auf. Steckt die Europäische Integration in der Krise? Welche Auswirkungen hat das auf die Stabilität in der Region in Süd-Ost-Europa?

Für den aus Bosnien stammenden Vedran Dzihic (Senior Researcher am OIIP; Lektor an der Universität Wien; Non Resident Fellow am Center for Transatlantik Relations an der John Hopkins Universität, JHU, Washington) steckt die Europäische Integration ganz klar in einer Krise. Er verwies auf die tiefliegenden Emotionen in der Europäischen Union und der Balkan-Region während der Krisenreihe der vergangenen Jahre. In diesen Ländern sei die Stimmung dauerhaft pessimistisch, ein Zustand der sich normalisiert habe. Das Ansehen der EU ist in der Region in den letzten Jahren etwas zurückgegangen, unter anderem auch aufgrund russischer und türkischer Einflussnahme, aber auch aufgrund des langen Beitrittsprozesses, der momentan stehengeblieben ist. Der Austritt Großbritanniens trug dazu bei, ausschlaggebend war er allerdings nicht. Durch den Brexit verschlechterte sich die Beziehung zwischen der EU und dem Balkan zunehmend. Ein EU-Beitritt sei nun weniger erstrebenswert für die Länder des Westbalkans, als dies noch vor ein paar Jahren der Fall gewesen sei. Großbritannien war aktiv an dem Aufbau- und Wiederaufbau der Balkanstaaten beteiligt. Ein Beispiel ist die Britisch-Deutsche-Initiative aus dem Jahr 2014 zur Reform von Bosnien-Herzegowina.

Auf welche Weise wird sich Großbritannien zukünftig in die EU-Außenpolitik eingliedern? Im Berliner Prozess, einer diplomatischen Initiative, die sich für die Erweiterung der Europäischen Union – vor allem in Hinsicht auf die südosteuropäischen-Staaten- einsetzt, will sich Großbritannien weiterhin beteiligen. Das kommende Gipfeltreffen im Jahr 2018 wird daher in Großbritannien stattfinden. Das Ex-Mitgliedsland will sich konstruktiv in die europäische Außenpolitik einfügen und in Fragen der Erweiterungspolitik mit der EU zusammenarbeiten.

Die EU muss sich neu erfinden. Dzihic verweist daher mit Hoffnung auf Frankreich und dessen Präsidenten Emmanuel Macron, der kürzlich EU-Reformen ankündigte. (In Bezug auf neue EU-Reformen, verglich Dzihic die Europäische Union mit dem Modell des Galapagos-Moment, welchen es nun konstruktiv zu nutzen gilt). Macron versuchte mit seinen Reformen ein Narrativ der Alternativen zu etablieren. Zudem erwähnt er die Interdependenz, welche sich in der Europäischen Union, intern als euch extern, festigen sollte. Erst wenn ein Gefühl der Kontrolle entsteht welches in den Verhandlungen mit Großbritannien hergestellt werden soll, kann es einen Platz für die Balkan-Staaten in der Union geben.

 

Publikum

Robert Leigh Turner (Britischer Botschafter in Österreich) beteiligte sich rege an der Diskussion. Er versicherte, dass es ein Wunsch Großbritanniens sei, die zukünftige Beziehung mit der Europäischen Union intensiv aufrecht zu erhalten. Klar ist, dass Großbritannien zwar keine Stimme mehr bei Entscheidungen der europäischen Außenpolitik habe, da es schlichtweg kein Mitglied mehr sei, aber es gerne dazu bereit sei konstruktiven Input zu geben. Der zuvor erwähnte Berliner Prozess, gibt ein perfektes Beispiel dafür. Die Länder der Europäischen Union und der Aussteiger Großbritannien, ziehen an einem Strang und arbeiten an einer gemeinsamen Zukunft mit den Balkanstaaten.

Der Botschafter knüpft an einige Punkte der Diskussion an, beispielsweise an Großbritanniens Unterstützung des Atomabkommens mit dem Iran (JCPOA) aber auch an die Volatilität des amerikanischen Präsidenten hinsichtlich seiner Ansichten und Überzeugungen sowie an die künftige Erweiterung der EU prinzipiell.

Turner sieht die Zusammenarbeit mit der EU sehr positiv und betont, dass Großbritannien noch immer dieselben Werte mit der Europäischen Union teile.

Die Debatte begann kritisch. Aufgegriffen wurde die Einstimmigkeit der 27 Regierungschefs der verbleibenden 27 EU-Staaten und die Idee einer Neuerfindung der EU, welche als unrealistisch bezeichnet wurde. Außerdem wurden Nordirland und Schottland erwähnt welche keine ruhigen Hinterländer seien und daher noch lange Gesprächsstoff für innenpolitische Auseinandersetzungen in Großbritannien liefern würden.

Vedran Dzihic meinte abschließend, die EU reagiere tatsächlich überraschend einheitlich -  Neuerfindung sei allerdings keine Illusion.

Heinz Gärtner sieht die Situation vor allem in Bezug auf das Atomabkommen mit dem Iran (JCPOA) sehr skeptisch. Falls Trump sich zum Ausstieg entschließe und Europa seine Beziehungen trotzdem weiterführe, würde der Präsident, der Europäischen Union Sanktionen auferlegen. Demnach würde der Ausstieg der USA zu einer erhöhten Kriegsgefahr im Nahen Osten führen.

Die zweite Debatte wurde eröffnet mit der Fragestellung zu der europäischen Verteidigungspolitik und der Nordirland-Frage - ein historischer Brennpunkt mit Potential zu neuen Konflikten.

Leigh Turner meint, dass es keine neuen Kontrollposten an der Irischen Grenze geben wird. Mehrere Lösungsvorschläge liegen allerdings vor.