UKRAINE: KOMMEN WIR DEM FRIEDEN NÄHER?

In den letzten Wochen vermehren sich in den verschiedenen Medien die Beiträge, die sich mit einem möglichen Frieden oder zumindest Waffenstillstand zwischen Russland und der Ukraine beschäftigen. Auch Trump hat ja versprochen kurzfristig und schnell den Frieden herzustellen. Allerdings hat er nicht gesagt, wie und wie die Friedenslösung konkret aussehen soll. Das hat wieder bei vielen europäischen Verantwortlichen die Angst geschürt, Trump sei bereit, um jeden Preis eine Lösung zu akzeptieren, einen Preis, den die Ukrainer bzw. die Europäer generell bezahlen müssten. Er, der ähnlich wie Putin - und übrigens auch Xi Xiping - davon ausgeht, dass die Großen und die Mächtigen das entscheidende Wort haben, könnte sich mit Putin über die Köpfe der Ukrainer bzw. Europäer hinweg einigen. So jedenfalls die Befürchtung in Kiew und einigen europäischen Hauptstädten! Weiters ist zu erwähnen, dass eigentlich nur im Westen über den Frieden geredet wird. 

Neben Trump melden sich einige nationalistische Parteien und Regierungen, um Waffenlieferungen an die Ukraine in Frage zu stellen. Für sie ist nicht so sehr Russland als vielmehr der Westen für den Krieg verantwortlich. Und je mehr Russland in der Ukraine militärisch die Oberhand gewinnt, desto weniger redet man in Moskau von Friedensverhandlungen. Und solange die internen wirtschaftlichen Probleme nicht überhandnehmen, wird die Bereitschaft zu Friedensgesprächen nicht zunehmend. 

Man darf jedenfalls nicht vergessen, dass für Putin der völkerrechtswidrige Angriff gegen die Ukraine nicht nur diesem Land, sondern dem Westen und insbesondere Europa gilt. Er verachtet das neue Europa, das auf Demokratie und vor allem auf Werte aufbaut, die seinen Vorstellungen krass widersprechen. Das kommt auch klar in seinem Artikel „Zur historischen Einheit von Russen und Ukrainern“ zum Ausdruck, den er 2021 veröffentlichte. Und so hat er das russische Volk darauf eingeschworen diesen Krieg für notwendig zu halten und die Wirtschaft in eine Kriegswirtschaft verwandelt. In diesem Zusammenhang warnt der russische Wirtschaftswissenschaftler Wladislaw L. Inosemzew in seinem Beitrag in der NZZ vom 25.1. 2025: „Putins Angriffskrieg trifft die ganze Welt“: „Russland hat sich seit Anfang des Krieges zu einer militarisierten Nation entwickelt, und daran wird sich so schnell nichts ändern.“ 

Und das heißt, dass auch nach einem etwaigen Ende der jetzigen kriegerischen Auseinandersetzungen die Gefahr eines neuen Angriffs gegen die Ukraine oder eventuell gegen andere Nachbarn Russlands eher wahrscheinlich sind. Anders gesagt, jede Vereinbarung mit Russland, die zum Ende des jetzigen Krieges führt, müsste von Maßnahmen begleitet werden, die der Ukraine - nach zu verhandelnden Gebietsabtretungen - eine größtmögliche Sicherheit gibt, nicht nach einer Erholungspause der russischen Streitkräfte, neuerlich das Opfer eines Angriffs zu werden. Eine schrittweise Vernichtung der Ukraine muss unbedingt vermieden werden! 

Die beste Garantie, der beste Schutz wäre sicherlich der NATO-Beitritt der Ukraine - parallel zum Beitritt zur Europäischen Union. Aber der NATO -Beitritt ist für Russland das rote Tuch schlechthin. Es ist kaum anzunehmen, dass Russland einer Vereinbarung zum Ende des Kriegs zustimmt, in der der NATO-Beitritt offengehalten wird. Aber dieses Ziel schon von Vorhinein aufzugeben, schwächt natürlich die Verhandlungsposition des Westens. 

Die zweite Möglichkeit ist eine Garantie der Willigen, also einiger westlicher Staaten, die Ukraine im Falle eines Angriffs zu verteidigen. Aber die USA würden da kaum mitmachen und auch einige andere NATO-Staaten wären hierzu kaum bereit - insbesondere, wenn die USA sich weigern mitzumachen. Und ohne eine Beteiligung der USA an Garantieversprechen für die Ukraine wäre diese Garantie auch für Russland nicht glaubwürdig. Und so bestünde keine Abschreckung für Russland nicht den nächsten Versuch zu starten, die Ukraine zu zerstören. 

Die dritte Möglichkeit wäre die Stationierung von westlichen Truppen im Lande. Das würde Russland wahrscheinlich von einer Aggression gegen die Ukraine abschrecken, aber birgt die Gefahr, dass aus kaum zu vermeidenden Zwischenfällen an der Grenze zwischen der Rest-Ukraine und den von Russland besetzten Gebieten ein direkter Krieg zwischen Russland und dem Westen resultieren würde. Es müsste zumindest eine internationale Friedenstruppe einen breiteren Korridor überwachen, um solche gefährlichen Grenzzwischenfälle zu vermeiden. Eine solche könnte im Rahmen der UNO oder der OSCE organisiert werden, müsste aber großteils von nicht betroffenen Staaten gestellt werden. 

Die vierte Möglichkeit wäre die extreme Aufrüstung der Ukraine bzw. der weitere Ausbau der Waffenproduktion in der Ukraine selbst und das vertraglich abgesicherte Versprechen der NATO-Staaten im Kriegsfalle jederzeit für entsprechenden Nachschub zu sorgen. Auch diese Möglichkeit wäre mit begrenzten westlichen Truppen und der Anwesenheit von internationalen Friedenstruppen kombinierbar.

Vielfach wird auch die Neutralität ins Spiel gebracht. Aber die Neutralität als solches ist kein Schutz gegen einen möglichen russischen Angriff. Russland hat ja weder die Zusagen, die es im Rahmen der Pariser Charta für ein Neues Europa 1990 noch diejenigen, die es im Rahmen des Budapester Memorandums von 1994 gegeben hat, eingehalten. In beiden Fällen versprach Russland die territoriale Integrität der Ukraine zu respektieren. Solange das jetzige Regime an der Macht ist, sind russische Versprechen mit größter Vorsicht zu begegnen und es bedarf glaubhafter Garantien seitens des Westens. Übrigens - was oft übersehen wird - die Ukraine war neutral als Russland die Krim besetzte und annektierte! Erst nach dieser widerrechtlichen Annexion hat die Ukraine das Gesetz über die Neutralität aufgehoben. Die Neutralität der Ukraine müsste also erst recht mit westlichen Sicherheitsgarantien ausgestattet werden, denn russische Zusagen, die Neutralität zu respektieren, sind angesichts der russischen Politik der letzten Jahre nicht glaubwürdig. 

In diesem Zusammenhang ist dem ukrainischen Schriftsteller Juri Andruchowytsch Recht zu geben, wenn er in seinem FAZ Beitrag vom 7.1.2025 mit dem Titel „Warum der Krieg auch Ihr Krieg ist“ meint: „Es wird nicht gelingen, Putin auszusitzen, denn Putin, das ist keine individuelle, sondern eine systematische Erscheinung. Putin kann ewig bleiben.“ Und er meint weiter, dass Europa „keinen offenen Überfall Russlands erleben“ wird, „solange die Ukraine Widerstand leistet“. Aber „Russland wird weiter hybrid gegen Europa kämpfen: sich in Wahlen einmischen, „Einflussagenten“ und Trolle finanzieren, unzählige Cyberattacken ausführen….“ 

Und genau das ist das Problem mit jeder Lösung, ohne dass Russland klar der Verlierer ist. Auch wenn Russland in diesem Krieg viele junge Menschen am Schlachtfeld und auch durch Auswanderung verloren hat, ein autoritäres, oligarchisches System wie in Russland kann sich auch nach einem Krieg, wo es zumindest mit einem Teil der Ukraine „belohnt“ wird, als Sieger fühlen und gebärden. 

Auch das Risikobild des Österreichischen Bundesheeres 2025 geht von einer nachhaltigen Gefährdung der europäischen Sicherheit aus. So meint einer der maßgebenden Autoren des Berichts, Ronald Vartok, unter dem Titel „Herausforderungen erkennen, analysieren und bekämpfen“: „Die globale Sicherheitslage hat sich in den letzten Jahren deutlich verschärft, geprägt durch eine zunehmende Abkehr von der regelbasierten Weltordnung. Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine steht exemplarisch für diese Entwicklung, da er nicht nur das Völkerrecht verletzt, sondern auch die internationale Stabilität und Zusammenarbeit untergräbt. Mit militärischer Aggression und hybrider Kriegsführung versucht Russland, geopolitische Machtverhältnisse zu verschieben und das internationale System zu destabilisieren - mit weitreichenden Auswirkungen auf Europa und darüber hinaus.“  

Dabei wird Russland von China grundsätzlich unterstützt. Und jetzt kommt hinzu, dass die USA einen Präsidenten gewählt haben, der auch kein Freund einer „regelbasierten“ und auf Kooperation aufbauenden Weltordnung ist. Die aggressiven Äußerungen von Trump gegenüber Kanada, Mexiko, Panama und Grönland sind Beispiele für die Missachtung der staatlichen Souveränität und des internationalen Rechts. 

Hinzu kommen zwei wesentliche Konsequenzen jeglicher Friedenslösung mit Russland hinzu. Erstens wird es keine Lösung geben die eine Strafverfolgung für die verschiedenen Kriegsverbrechen - vor allem von russischer Seite - beinhaltet. Wahrscheinlich wird es auch kaum Reparationszahlungen für die ungeheuren Schäden geben, die der russische Angreifer in der Ukraine verursacht hat. 

Entscheidend ist aber noch eine andere Folgewirkungen. Russland hat die Drohung mit Nuklearwaffen genützt, um den Westen von einer entschiedenen Unterstützung der Ukraine abzuhalten. Und so „beweist die russische Invasion, dass eine nichtnukleare Nation kaum eine Möglichkeit hat, eine Atommacht einzudämmen, selbst wenn diese einen Krieg nur mit konventionellen Waffen führt“. Soweit der russische Experte Wladislaw L. Inosemzew. Und er meint weiters: „Es besteht kaum ein Zweifel, dass viele Länder der Welt, die noch keine Atomwaffen besitzen, alles daransetzen werden, möglichst schnell solche herzustellen oder zu erwerben, um ihre Fähigkeit zur Selbstverteidigung radikal zu verbessern.“ In dieser Konsequenz liegt wahrscheinlich die künftige Hauptgefahr für den Weltfrieden. Eigentlich müssten alle - nuklearen - Großmächte ein Interesse haben, möglichst rasch und gemeinsamen verstärkt gegen die Weiterverbreitung von Nuklearwaffen vorzugehen. 

All das spricht nicht grundsätzlich gegen die Suche nach einem Waffenstillstand und einer Friedenslösung zur Beendigung des Krieges, den Russland gegen die Ukraine begonnen hat. Aber der Westen und insbesondere die Europäische Union müssten sich bewusst sein, dass auch nach dem Ende dieses Krieges - das nur unter Inkaufnahme vieler Nachteile zu erreichen ist - viel zu tun bleibt, um in Europa aber auch global für Sicherheit und Frieden zu einzutreten. Dazu braucht es neue Ideen und neue Bündnisse, vor allem auch mit nicht-europäischen Ländern. Das setzt aber eine einige, starke und handlungsbereute Europäische Union voraus! Aber nicht nur das. Der Westen und insbesondere die EU müssten alle ungerechten bzw. gegen internationales Recht verstoßenden Aktionen gleichermaßen ablehnend gegenüberstehen. Das ist aber derzeit nicht der Fall. Die außereuropäischen Länder und Völker beobachten genau wie differenziert bzw. widersprüchlich der Westen vorgeht. Die unterschiedliche Beurteilung des russischen Angriffskriegs und der weitaus überschießenden Reaktion Israels gegen die terroristischen Aktionen der Hamas sind für viele von ihnen Ausdruck einer moralischen Doppelzüngigkeit. 

P.S. Am 17.2 wird es im IIP eine Diskussion zu möglichen Entwicklungen in der Ukraine geben, und zwar im Rahmen einer Vorstellung des Buches „Die letzte Invasion“ von Max Haller. Näheres siehe: iipvienna.com

Dr. Hannes Swoboda, President of the International Institute for Peace (IP), started his career in urban politics in Vienna and was elected member of the European Parliament in 1996. He was Vice President of the Social Democrat Group until 2012 und then President until 2014. He was particularly engaged in foreign, enlargement, and neighborhood policies. Swoboda is also President of the Vienna Institute for International Economics, the Centre of Architecture, the University for Applied Science - Campus Vienna, and the Sir Peter Ustinov Institute.