IST DER KRIEG DAS EINE UND DER FRIEDE DAS ANDERE? UND WAS IST DAS EIGENE?

Im Rahmen einer Vernissage für die Werke zweier Künstlerinnen - Susanne Steyrer und Elfriede Starkl - versuchte ich einige Gedanken zum Thema, unter dem die Bilder präsentiert wurden, zu formulieren und vorzutragen:

Die Ausdrucksweise der Kunst, vor allem der Bildenden Kunst, unterscheidet sich stark von der der Politik, der Wissenschaft und des Journalismus - selbst in den Fällen wo politische und gesellschaftliche Anliegen im Zentrum der Beobachtung und der Darstellung stehen. Die Kunst arbeitet mit Bildern, die nicht die gleichen Differenzierungen zulassen wie Texte, dagegen aber mitunter einen größeren Eindruck hinterlassen. Texte ersetzen nicht Bilder und umgekehrt Bilder ersetzten nicht Texte.

Verschiedene Seiten und Auswirkungen zu betrachten und differenziert zu denken, heißt nicht keinen Standpunkt zu haben. Auch in komplexen Situationen und bei Betrachtung komplexer Ereignisse und Abläufe sollte der eigene, hoffentlich klare Standpunkt nicht verloren gehen. Dieser Standpunkt ist das Eigene, das dem Einen und dem Anderen gegenübergestellt werden sollte, um es auch besser zu erfassen und zu bewerten.

Und da bedarf es eben sicher mehr Überlegungen als es im Rahmen des Bildlichen dargestellt werden kann. Damit ist das eine nicht besser als das andere. Jeder/Jede muss die Möglichkeiten wählen, die ihm/ihr gegeben, also eigen sind. Und vor allem heißt das nicht, dass sich Künstler/Künstlerinnen keine differenzierten Gedanken machen und das gilt ebenso für die Betrachter/Betrachterinnen. Was aber allen gemein sein sollte, ist, dass sie sich über die eigenen Werthaltungen und Prinzipien im Klaren sind und das auch nicht verbergen. Das Eigene sollte immer klar zum Ausdruck kommen. 

Krieg und Frieden

Nehmen wir zuerst den Begriff Krieg. Im Grundsatz ist der Krieg das eine und der Friede das andere. Aber schon der Begriff Krieg ist nicht eindeutig. Der Krieg Russlands gegen die Ukraine ist klar ersichtlich und definiert. Aber wenn ich zuletzt bei meinem Besuch in Polen immer wieder gehört habe, „Wir befinden uns im Krieg mit Russland“, dann sind darunter vor allem Cyberattacken und die massive Verbreitung von Fake News zur Destabilisierung von europäischen Gesellschaften und der Europäischen Union insgesamt verstanden. Auch das kann unter Krieg verstanden werden und diese Akte der Destabilisierung  könne die militärischen Auseinandersetzungen vorbereiten, begleiten oder sogar befördern.

Und was verstehen wir unter Frieden? Kann man von Frieden reden, wenn er mit Unterdrückung und extremer Abhängigkeit eines Landes oder einzelner Bevölkerungsgruppen verbunden ist? Der Nobelpreisträger Albert Camus hat in seiner Stockholmer Rede gemeint, wir sollten keinen „auf Knechtschaft gegründeten Frieden unter den Völkern“ akzeptieren, sondern stattdessen „Arbeit und Kultur wieder versöhnen und im Verein mit allen Menschen einen neuen Bund schaffen“. Da sind wir allerdings leider heute wieder weiter weg davon im Vergleich zur Zeit vor 10 oder 15 Jahren.

Der Westen und der Osten, der Norden und der Süden

Nun stellt sich die Frage wer ist dieses „wir“ das einen neuen Bund schaffen soll? „Wir im Westen“ hört man öfters. Aber wer ist der Westen? Gehören die Vereinigten Staaten von Amerika heute noch zum Westen? Vor allem dann, wenn man den Westen mit dem Versuch verbindet sich von den alten Verbrechen wie Kolonialismus und brutaler Machtausübung zu verabschieden. Der Westen hat überdies das deklarierte Ziel, mit Demokratie und dem Respekt für Menschenrechte einen gesellschaftlichen Fortschritt zum Wohle der Menschen zu bewirken - ein Ziel, das zugegebenermaßen immer wieder verfehlt wird, aber dennoch als Leitlinie jedenfalls in der Europäischen Union und der Mehrheit der Mitgliedstaaten Gültigkeit hat und auch Rechtsansprüche begründet. Gilt das noch in und für die USA? Ich meine das gilt dort immer weniger! 

Im Westen Europas grenzt man sich oftmals vom Osten ab. Aber der Osten, ist das der Osten des politischen Ungarns und der Slowakei und des gestrigen Polens oder ist es das heutige Polen und die Baltischen Staaten. Und wie sind die fragilen Situationen in Bulgarien und Rumänien zu beurteilen? Und wieviel Vorurteile gibt es nach wie vor im Westen gegenüber dem Osten - ohne Begründungen und Differenzierungen! 

In letzter Zeit wird immer wieder vom Globalen Süden geredet, der sich gegen den Norden richtet. Dabei wird - jedenfalls wenn man von der Gemeinschaft der BRICS-Staaten spricht - Russland dem Süden zugerechnet.

Nun der - westliche - Norden hat sicher lange Jahre eine koloniale Schuld auf sich geladen. Aber nicht alle, die heute dem globalen Süden zugerechnet werden, sind nur Opfer. Da gibt es nach wie vor viele arme Länder im Globalen Süden, deren politische Machthaber die eigene Bevölkerung ausbeuten. Und dann gibt es einige große Länder - wie zum Beispiel China - die sich zumindest wirtschaftlich imperial verhalten, um zu kritischen Rohstoffen zu kommen. Also auch hier ist die Einteilung nicht so leicht vorzunehmen, wie es sich auf dem ersten Blick darstellt. Auch der Globale Süden besteht aus dem Einen und dem Anderen.

Demokratie und Freiheit

Wenn wir von Demokratie sprechen, dann meinen wir das Gegenteil zu Diktatur und Autoritarismus - wenngleich auch da zwischen den beiden Begriffen bzw. politischen Systemen Unterschiede bestehen. Aber wann hört die Demokratie auf demokratisch zu sein und schlägt in den Autoritarismus um, der fälschlicherweise von seinen eigenen Vertretern oftmals als „illiberale Demokratie“ bezeichnet wird.

Und was die Freiheit und vor allem die Meinungsfreiheit betrifft so haben wir vor Kurzem den US-Vizepräsidenten Vance gehört, der gemeint hat in Europa gibt es keine Meinungsfreiheit. Interessant ist dabei, dass die von Elon Musk, Marc Zuckerberg und anderen kontrollierten Medien, die jetzt wieder deutlich und einseitig Donald Trump unterstützen, als Beweis für die Medienfreiheit in den USA herangezogen werden! So sieht es jedenfalls Donald Trump und seine Umgebung.

Aber noch andere Veränderungen bestimmen unser Leben. Wir sahen immer die Natur und die Technik als Gegensätze. Die Technik sollte uns vom Unkontrollierbaren und Willkürlichen der Natur befreien. Hat sie aber oft nicht! Anderseits, immer mehr kommt es zu Verbindungen und Verknüpfungen von Natur und Technik. Das gilt für die Medizin, die sich öfters der Technik bedient, um Menschen am Leben zu erhalten aber auch Mängel zu kompensieren. Denken wir aber auch generell an die zukünftigen Formen der Arbeit, die immer mehr mit der Künstlichen Intelligenz in Verbindung treten wird.

Und wenn wir an die Social Media denken, dann sind sie vielleicht sozial, weil sie ein Vielfaches an Kontakten ermöglichen, aber sie vermindern die engeren, unmittelbaren Kontakte, die zum Leben in einer sozialen Gemeinschaft gehören. Also auch unter sozial kann sehr Verschiedenes verstanden werden. Einerseits etwas Verbindendes anderseits etwas Trennendes. Und so kommt es, dass die Februar 2025-Ausgabe von The Atlantic mit der Aussage „The Anti-Social Society“ auf dem Titelblatt erschien. Und Nicholas Carr versah sein Buch mit dem Titel „Superbloom: How Technologies of Connections tear us apart“. 

Was wir jedenfalls sehen und erkennen können ist, dass auch Gegensätze und gegenläufige Entwicklungen miteinander in Verbindung stehen. Auch in einer von Umbrüchen und Krisen betroffenen Welt, in der die Globalisierung anders abgebaut und durchlöchert wird als es sich die Globalisierungsgegner wünschten, bleiben etliche Verbindungen bestehen. Nicht einmal Präsident Trump wird das verhindern können. Und dennoch erleben wir eine viel konfliktreichere Zeit im Vergleich zu den vergangenen Jahrzehnten.  

Eine Welt voll von Konflikten

Wir leben also in einer Welt die sich weniger in verschiedene und eindeutige Entweder-Oder einteilen lässt. Sie ist überdies durch ständige Auseinandersetzungen und Konflikte gekennzeichnet. Diese könnten als friedlicher Wettstreit ausgetragen werden oder aber in verschiedenen Formen des Krieges. Aber es ist jedenfalls eine konfliktbeladene Welt, in der wir leben!

Der schon zitiere Albert Camus meint sogar in Kritik an dem „individualistischen Nihilismus“, den er im bürgerlichen Europa erkannte, dass dieser dazu führt, dass die Menschen nicht an  ihre „Grenzen gehen“ und „von Konflikten verschont bleiben“ wollen. „Wenn Sie aber nicht an ihre Grenzen gehen wollen, dann sind Sie nicht lebendig, und vor allem ist Ihre Gesellschaft nicht lebendig.“ (Die Zukunft der Europäischen Zivilisation, 1955) 

In Europa hofften wir jedenfalls, dass die Erfahrungen zweier Weltkriege zur Einsicht führen würden, dass es auch ohne Krieg geht und ein friedlicher Wettstreit dem militärischen Kampf vorzuziehen sei. Aber vielleicht ist  der Zweite Weltkrieg nicht wirklich zu Ende und Russland führt diesen Weltkrieg - den „Großen Vaterländischen Krieg“ gegen die Nazis - noch weiter.

Das stellt Europa jedenfalls vor neue Herausforderungen, genauso wie die Rückkehr der USA unter Trump zur brutalen Machtpolitik mit einer Vielzahl von Erpressungen und Drohungen. Und so sehr wir auf Entscheidungen zwischen dem Einen und dem Anderen drängen, so sehr müssen wir erkennen, dass sie doch miteinander verbunden sind. Die klaren Werthaltungen die wir als das Eigene einnehmen, können nicht immer als Leitfaden für die täglichen Auseinandersetzungen und Konfliktlösungen herangezogen werden. Kompromisse müssen geschlossen werden, um größeres Leid zu verhindern, auch wenn sie schmerzen und den eigenen Wertvorstellungen widersprechen. 

Kriegsende durch Frieden?

Und nochmals zurück zum Frieden. Das eine ist der Krieg, das andere der Frieden aber einer der - da schließe ich mich voll Albert Camus an - hoffentlich nicht auf Knechtschaft aufgebaut ist. Das heißt aber nicht, dass um den mit Tod, Zerstörungen und Verderben verbundenen Krieg zu beenden, nicht auch Kompromisse eingegangen werden müssen. 

Das ist dann aber weniger ein Frieden, sondern ein - vorläufiger - Waffenstillstand. Der kann lange halten, er sollte aber irgendwann in einen Frieden übergehen sonst droht immer die Gefahr eines neuen Kriegs - am selben Ort oder andernorts. Und von gerechtem Frieden sollten wir schon gar nicht reden. Was kann denn gerecht an einem Frieden sein, wo der Aggressor straffrei bleibt, sich ein Stück fremden Landes einverleibt etc.

In Europa reden wir vor allem von der Ukraine. Aber denken wir an den Irak, an Afghanistan and Äthiopien. Überall dort sind die Kriege nicht durch einen Frieden beendet worden. Vielleicht durch einen mehr oder weniger respektierten Waffenstillstand. Für die Frauen in Afghanistan besteht jedenfalls kein Friede, im Irak kämpfen die verschiedenen - religiösen und politischen - Gruppen gegeneinander und in Äthiopien redet man von einem neuen Krieg - vielleicht diesmal wieder mit Eritrea.

Und in Syrien, kann es Frieden geben, wenn bestimmte Bevölkerungsgruppen nicht ausreichend respektiert werden? Und im Sudan, und zwischen Kongo und Ruanda?

Und von den permanenten Auseinandersetzungen Israels mit seinen Nachbarländern ganz zu schweigen. Auch und gerade als Europäer sollten wir nicht die Augen vor den vielen Konflikten und Kriegen auf anderen Kontinenten verschließen. Und es ist zu fürchten, dass das amerikanische humanitäre Disengagement in den armen und von Klimaschäden besonders betroffenen Ländern und Regionen noch mehr Konflikte mit sich bringen wird.  

Ja wir brauchen Frieden, aber einen der auf Respekt und nicht auf Unterwerfung aufbaut. Unermüdliche Friedensbemühungen in diesen Sinn sollten das Eigene sein, mit dem wir dem Einen und dem Anderen gegenübertreten und mit dieser Botschaft sollten wir Friedenstauben ausschicken. Die ausgesandten Friedenstauben sollten dabei eine Chance aufs Überleben haben und gut empfangen und nicht abgeschossen werden.

Dr. Hannes Swoboda, President of the International Institute for Peace (IP), started his career in urban politics in Vienna and was elected member of the European Parliament in 1996. He was Vice President of the Social Democrat Group until 2012 und then President until 2014. He was particularly engaged in foreign, enlargement, and neighborhood policies. Swoboda is also President of the Vienna Institute for International Economics, the Centre of Architecture, the University for Applied Science - Campus Vienna, and the Sir Peter Ustinov Institute.