Erschien in Kleine Zeitung am 25.08.2024
Kolumne. Pro & Contra. Die Bundesregierung bekennt sich zur Zweistaatenlösung in Nahost, sieht den Zeitpunkt für eine Anerkennung des Palästinenserstaates noch nicht gekommen. Zurecht? Was spricht für die Anerkennung, was dagegen. Politikwissenschaftler Heinz Gärtner und Psychoanalytiker Martin Engelberg im Streitgespräch
Die Anerkennung eines palästinensischen Staates ist die Basis für eine Zwei-Staaten-Lösung.
Heinz Gärtner
Bruno Kreisky hat sich Ende der siebziger Jahre für eine Zwei-Staaten-Lösung eingesetzt. Er war wahrscheinlich auch der erste Staatsmann, der diese Frage vor die Vereinten Nationen gebracht hat. Er wusste, dass ein jüdischer Staat nur in Frieden leben kann, wenn auch die Palästinenser einen eigenen Staat aufbauen können. Israel lehnte damals, so wie heute, einen palästinensischen Staat ab. Ein palästinensisch verwalteter Staat würde bedeuten, dass sich Israel aus den seit 1967 besetzten oder kontrollierten Gebieten auf der Westbank, in Gaza mit Ostjerusalem als Hauptstadt zurückziehen müsste.
Im Jahr 2024 haben sich die weitaus meisten Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen zu dieser Zwei-Staaten-Lösung bekannt. Drei Viertel von ihnen haben Palästina als unabhängigen Staat anerkannt. Ohne palästinensischen Staat gibt es natürlich keine Zwei-Staaten-Lösung. Ein wichtiger Schritt wäre, dass Palästina nicht nur Beobachterstatus in den Vereinten Nationen einnimmt, sondern Vollmitglied wird. Dazu wäre aber auch die Zustimmung der USA im Sicherheitsrat vonnöten, die die USA aber vom Einverständnis Israels abhängig machen. Eine Ein-Staatenlösung wird von Israel aber auch abgelehnt, weil Israel den beanspruchten jüdischen Charakter verlieren würde, wenn die Palästinenser die Mehrheit der Bevölkerung erreichen würden.
Die Versuche einiger arabischer Staaten mit Vermittlung der USA, Israel ohne die Rechte der Palästinenser anzuerkennen, wurde von der Hamas für den Terroranschlag auf Israel mit 1200 Toten ausgenützt. Die israelische Armee hat mit der Zerstörung eines Großteils des Gazastreifens reagiert, wodurch zwei Prozent der Bevölkerung ausgelöscht wurden. Mit diesem Krieg wird eine Zwei-Staaten-Lösung weiter erschwert. Aber nur diese kann verhindern, dass es nicht immer wieder zu Aufständen gegen die Besetzung kommt.
Ein wesentliches Hindernis für die Entstehung eines palästinensischen Staates ist die ständige Besiedelung der Westbank durch jüdische Einwanderer. Das Argument Israels lautet, dass diese nicht vertrieben werden könnten. Eine Aussiedlung kann aber mit einer kreativen Lösung vermieden werden: Ein Staat unter palästinensischer Verwaltung kann den jüdischen Siedlern einen Autonomiestatus einräumen, ähnlich des Südtirols.
Wird Palästina aber das Recht eines unabhängigen Staates verwehrt, wird die Zwei-Staaten-Lösung weiter aufgeschoben. Der Status quo verhindert nicht nur die Selbstbestimmung der Palästinenser, sondern gefährdet auch die Existenz eines jüdischen Staates. Je mehr Staaten einen Staat Palästina anerkennen, desto eher wird auch eine künftige israelische Regierung dieser Realität als für Israel beste Lösung zustimmen.
Mit einer symbolischen Anerkennung zum jetzigen Zeitpunkt ist den Palästinensern nicht geholfen.
Martin Engelberg
Die Forderung nach einer Zweistaatenlösung, also dem friedlichen Nebeneinander von Israel und einem palästinensischen Staat, erscheint uns so naheliegend und wünschenswert. Allerdings befindet sich Israel, wiewohl Teil der westlichen Welt, in einem völlig anderen Universum, jenem des höchst konfliktreichen Nahen Ostens. Das erkennt jeder, der schon einmal in Israel war, oder sich zumindest etwas näher mit der Geschichte des Konfliktes beschäftigt hat.
Wir lieben die Vorstellung, Palästinenser und Israelis könnten doch – einfach und mit ein bisschen gutem Willen – friedlich nebeneinander in zwei Staaten leben. So wie die Schweiz und Österreich zum Beispiel. Nur zu oft werden just Premierminister Netanyahu oder die sogenannten israelischen Siedler als größtes Hindernis für eine friedliche Lösung angesehen.
Nach dem 7. Oktober wird die Zweistaatenlösung noch heftiger eingefordert und es wird übersehen, dass die jetzt von einigen europäischen Staaten ausgesprochene Anerkennung eines Staates Palästina, quasi eine Belohnung für das fürchterliche Massaker darstellt.
Noch dazu ist die derzeitige palästinensische Führung undemokratisch und durch und durch korrupt. Sie hat sich nicht von der mörderischen Hamas distanziert, die weiterhin die Vernichtung des Staates Israel und die Ermordung aller Juden in der Welt zum Ziel hat. Sie zahlt weiterhin Prämien und Renten an palästinensische Terroristen bzw. deren Familien, die Anschläge auf israelische Zivilisten verüben, das sogenannte „Pay for Slay“ (Zahlen für Morden) Programm. Mit palästinensischen Schulbüchern wird eine Generation nach der anderen mit Hass gegen Israel vergiftet. Fänden heute demokratische Wahlen in den palästinensischen Gebieten statt, dann würden diese die Hamas gewinnen und wie in Gaza im Jahr 2006 die Macht übernehmen.
Die Anerkennung eines nicht existierenden Staates Palästina durch einige europäische Länder bringt eine Lösung um keinen Deut näher. Dass gerade Spanien jetzt einen nicht existierenden Staat Palästina anerkennt, sich aber seit Jahrzehnten beharrlich weigert, den existierenden Staat Kosovo anzuerkennen, ist eine besondere lachhafte Ironie.
Daher ist die österreichische Position völlig richtig: Für eine Zweistaatenlösung bedarf es Verhandlungen. Die Anerkennung Palästinas und eine Vollmitgliedschaft in den Vereinten Nationen kann nur am Ende dieses politischen Prozesses stehen. Mit einer symbolischen Anerkennung zum jetzigen Zeitpunkt ist den Palästinensern nicht geholfen. Vielmehr braucht es eine nachhaltige Lösung, damit beide Seiten in Frieden und Sicherheit leben können.
Heinz Gärtner unterrichtet an der Universitäten Wien. Er war Direktor des Österreichischen Instituts für Internationale Politik. Er leitet den Beirat des International Institute for Peace (IIP). Er hatte mehrere internationale Forschungsaufenthalte und Gastprofessuren unter anderem an den Universitäten von Stanford, Oxford, an Johns Hopkins in Washington und in Deutschland. Er publizierte zahlreiche Bücher und Artikel zu Fragen der USA, internationaler Sicherheit, Abrüstung und Rüstungskontrolle. Unter anderem ist er Herausgeber des Buches "Engaged Neutrality" (Lexington).