Am 13.6 erhielt Robert Menasse den Bruno Kreisky Preis für das politische Buch. Als Vorsitzender der Jury begründete ich diese Auszeichnung. Dabei fand der Termin der Überreichung des Preises einen Tag nach meiner Rückkehr von der gemeinsamen Reise in den Westbalkan, vor allem nach Albanien, statt. Dieses Land und dessen Nationalheld Skanderbeg spielen eine entscheidende Rolle im Roman von Robert Menasse.
Es gibt keinen, der Europa so erzählen kann, wie Robert Menasse - vor allem in seinem neuesten Werk „Die Erweiterung“. Er schildert Europa mit all seiner Faszination aber auch all den Schattenseiten - in seiner Geschichte und seiner Gegenwart. Es ist ein Europa der Politik, der Bürokratien aber auch der Kultur. Menasse erzählt vom Zentrum und der Peripherie, wobei die das Zentrum zum Teil zur Peripherie wird und umgekehrt. Es ist ein Europa, das sich abmüht, eine gemeinsame Zukunft zu gestalten aber immer wieder in nationale Befindlichkeiten zurückfällt.
Menasse lässt einen polnischen Politiker seine Position folgendermaßen erklären: „Wir werden pro-europäisch moderieren, aber nationale Interessen verteidigen“. Für diesen ist „Politik ein Spiel mit Kulissen, es ist wie im Theater: Vorne hast du symbolische Handlungen, dahinter die Technik.“ Und an anderer Stelle meint der gleiche Politiker: „Ich habe die Interessen eines freien Polens zu vertreten und nicht die Phantasien wurzelloser Kosmopoliten.“
Fast erinnert das an die Aussage einer ehemaligen britischen Premierministerin, die meinte „Wer sich überall zu Hause fühlt ist nirgends zu Hause.“
Die nationalistische Haltung wird im Werk von Menasse von einem polnischen Politiker vertreten. Leider gibt es solche Haltungen auch bei vielen anderen Politkern. Aber angesichts der immer wieder auftretenden Versuche von Politikern der gegenwärtigen Mehrheit in Polen die Demokratie auszuhebeln ist es sicher gerechtfertigt, gerade einen polnischen Politiker diese Rolle einnehmen zu lassen.
Und so beklagt ein anderer, europäisch gesinnter Pole in einem Brief an einen willfährigen Chefredakteur einer polnischen Zeitung, dass die „Zerstörung der mit vielen Opfern erkämpften unabhängigen Justiz als Volkswille dargestellt wird“ und dass am Ende des Kampfes um Freiheit „die Freiheit der Lüge durchgesetzt“ wird.
Aber die Hauptrolle in Menasses Roman spielt ein längst verstorbener Nationalheld der Albaner: Skanderbeg oder besser eigentlich sein in einem Wiener Museum befindlicher Helm. Und dann spielt noch eine Kopie dieses Helmes eine wichtige Rolle, nachdem das „Original“ gestohlen wurde. Da entwickelt sich eine auch politisch interessante Kriminalgeschichte.
Skanderbeg, der von 1405 bis 1468 lebte, war der noch heute verehrte Kämpfer für die Freiheit und Unabhängigkeit der Albaner. An ihm und seinem Wirken ist die befreiende Wirkung des Nationalismus aber auch die Engstirnigkeit ablesbar, vor allem in manchen Aktivitäten und Interpretationen seiner Apologeten.
Der Zufall wollte es, dass ich in den letzten Tagen von Dubrovnik kommend die albanische Hauptstadt Tirana, die nordalbanische Stadt Lezhe und die kosovarische Hauptstadt Pristina besuchte. Es war eine Reise, die das IIP im Rahmen der Western Balkan Initiative organisierte. In allen „albanischen“ Städten gibt es Denkmäler, die an den albanischen Nationalhelden erinnern.
Besonders beeindruckte mich das Gespräch mit jungen Leuten in einem Jugendzentrum in Lezhe. Es waren sechzehnjährige Schüler*innen, die in der Stadt, in der Skanderbeg begraben wurde, Ihre Enttäuschungen und Hoffnungen ausdrückten. All das, was in „Die Erweiterung“ von Robert Menasse so treffend zum Ausdruck gebracht wird hörte ich von diesen Schüler*innen. Sie diskutierten - mit unterschiedlichen Meinungen dazu - sogar das Konzept der Open Balkan Initiative als Vorbereitung auf den Beitritt zur EU oder als Alternative.
So wie die Erweiterung der Europäischen Union ein schwieriger und widersprüchlicher Prozess ist so war auch der Kampf Skanderbegs für die Unabhängigkeit der Albaner - mit unterschiedlichen Verbündeten. Sein Name wurde auch geschichtlich immer wieder missbraucht, nicht zuletzt von den Nazis, die eine SS-Division Skanderbeg gründeten. Dabei spielte auch der kurzzeitige Wiener Bürgermeister am Beginn der Nazi Zeit und spätere Sonderbeauftragte für Südosteuropa, Hermann Neubacher, eine unrühmliche Rolle.
Was ist das Besondere an „Die Erweiterung“ von Robert Menasse? Es ist vor allem seine Vielfältigkeit. Es ist ein spannender Roman - zum Teil auch eine Kriminalgeschichte. Darüber hinaus lernt man während des Lesens Aspekte der Geschichte, die man vorher nicht kannte. Man stößt überdies auf Gesellschaftskritik, die auch die Geschlechterrollen in Frage stellt und die Genderfrage beleuchtet.
Es ist vor allem ein Buch wie Europa ist und wie es sein könnte und sein sollte: Erweitert und erneuert in seiner Auseinandersetzung mit dem Nationalismus und den Gefahren, denen die Demokratie in Europa ausgesetzt ist.
Dr. Hannes Swoboda, President of the International Institute for Peace (IIP), started his career in urban politics in Vienna and was elected member of the European Parliament in 1996. He was Vice President of the Social Democrat Group until 2012 und then President until 2014. He was particularly engaged in foreign, enlargement, and neighborhood policies. Swoboda is also President of the Vienna Institute for International Economics, the Centre of Architecture, the University for Applied Science - Campus Vienna, and the Sir Peter Ustinov Institute.