WASSERSTOFF: MAGHREB - EU PARTNERSCHAFT?

Ein Österreich-Tunesisches Beispiel
Als Präsident des Club of Rome nahm ich an einem intensiven Meinungsaustausch in Tunis über ein mögliches Wasserstoffprojekt auf der Grundlage unter österreichisch-tunesischen Zusammenarbeit teil. Vertreter*innen aus Wissenschaft, Wirtschaft, Politik und Verwaltung aus beiden Ländern diskutierten in der vom österreichischen Klimaschutzministerium und der UNIDO organisierten Tagung die vielfältigen Probleme wie Wasserstoff (in Tunesien) wirtschaftlich erzeugt und (nach Österreich) transportiert werden kann. Und das unter, für die tunesische Bevölkerung, sozial verträglichen Bedingungen. 

Wasserstoff und Energiewende
Die Energiewende kann nur durch eine Vielzahl von Maßnahmen umgesetzt werden. Eines ist aber sicher: die fossilen Energieträger - vor allem Öl und Gas als die meist gebrauchten - müssen weitgehend ersetzt werden, sollen die Pariser Klimaziele auch nur annähernd erreicht werden. Nachhaltig und das heißt durch erneuerbare Energie erstellter Wasserstoff ist ein Beitrag zur Erreichung der Klimaziele. Vor allem etliche Wirtschaftszweige, wie die Zement- und Stahlindustrie aber auch die Herstellung von Düngemittel, könnten für ihre Nachhaltigkeit Wasserstoff gut gebrauchen. Aber dazu muss auch der Wasserstoff selbst nachhaltig erzeugt werden. Es geht also um grünen Wasserstoff. 

In diesem Sinn ist die Erzeugung mit Hilfe der Sonne bzw. des Windes eine besonders zu bevorzugende Form. Dabei ist es verständlich, dass gerade Europa auf die Suche nach jenen Regionen unterwegs ist, die beides in besonderem Ausmaß aufweisen. Und wenn sich diese im Nahbereich Europas befinden, dann ist das auch ökonomisch vertretbar. Eine solche Region ist der Norden Afrika und der Nahe Osten. Daher ist die Europäische Union bzw. einige Mitgliedsländer sehr aktiv im Gespräch mit diesen Ländern, um gemeinsame Projekte zur Produktion von Wasserstoff auf die Beine zu stellen. 

Warum Tunesien?
Für Österreich hat sich Tunesien in besonderem Maße angeboten. Zwischen Tunesien und Österreich liegt nur ein Land, nämlich Italien und es gibt bereits Pipelines von Tunesien, die auch für den Transport von Wasserstoff benützen werden können. Allerdings noch für etwa 10 Jahre sind sie in algerischem Besitz. Ein weiterer Vorteil: Tunesien besitzt im Süden des Landes sonnige Wüstengebiete mit zusätzlich viel Wind. Das sind also beste Voraussetzungen für die Erzeugung von grünem Strom. Allerdings braucht man zur Erzeugung von Wasserstoff auch Wasser. Und das gibt es in diesen Regionen nur sehr spärlich. 

Was aber Tunesien auszeichnet, ist seine Lage am Meer. Das ist aber Salzwasser. Das muss für die Produktion von Wasserstoff entsalzt werden. Aber die Entsalzung von Wasser ist ohnedies etwas, was an Süßwasser-arme Länder unternehmen müssen. In großem Ausmaß Strom mittels Windes und Sonne zu erzeugen dient jedenfalls dem Land und seiner Bevölkerung. Sie bekommt elektrische Energie, damit kann dann auch (!) Wasserstoff erzeugt werden. Dieser kann exportiert werden aber auch im eigenen Land zur Ansiedlung von hochwertiger Industrie verwendet werden. Dabei kann dann auch zum Beispiel Ammoniak erzeugt werden, das man unter anderem für die Erzeugung von Düngemittel verwendet.  

Kein neuer Kolonialismus
Während man früher - zum Beispiel beim Projekt Desertec - nur an die Benützung der Sonnenenergie zur Stromerzeugung für europäische Abnehmer und dann an den Export nach Europa gedacht hat, ist man heute glücklicherweise weiter. Es geht um die Koppelung der europäischen Interessen mit Vorteilen für diejenigen Länder, die von der Sonne begünstigt aber sonst vielfach benachteiligt sind. Die Versorgung in Europa muss mit der besseren Versorgung von Energie aber auch mit der generellen wirtschaftlichen Entwicklung der Produktionsländer verbunden werden. 

In der Diskussion in Tunis gab es aber auch Stimmen, die die Produktion von Wasserstoff bewusst nicht in unbewohnten Gebieten ansiedeln wollten, sondern in Siedlungsgebieten, wo die Einrichtungen und die entsprechenden Jobs auch unmittelbar der lokalen Bevölkerung zugutekommen würden. Und manche meinten, zuerst sollte man die Entsalzung von Meerwasser zur Trinkwasserversorgung nutzen, um auch so die Bevölkerung vom Nutzen der Produktion und des Exports von Wasserstoff zu überzeugen. Dabei sind aber auch die ökologischen Konsequenzen, unter anderem für die Biodiversität im Meer, zu bedenken, die durch massive Entnahme von Meerwasser in Küstennähe und durch die Rückführung stark übersalzener Wasserreste und von Salz selbst entstehen können. Zusätzlich sollte auch intensiv an der Reinigung der Abwässer gearbeitet werden, um auch auf diese Weise nutzbares Wasser zu bekommen. Es darf jedenfalls keinen „Wasserstoff Kolonialismus“ geben, wie das ein tunesischer Vertreter zum Ausdruck brachte. 

Was nun den Arbeitskräftebedarf betrifft ist zu bedenken, dass den betroffenen Ländern wie Tunesien oft die qualifizierten Arbeitskräfte fehlen. Auch da können dann die nördlichen Länder helfen, um die lokalen Arbeitskräfte zu qualifizieren. Universitäten und technische Fachschulen aus dem Norden können zusammen mit solchen aus dem Süden an der Ausbildung unterschiedlicher Qualifikationen arbeiten. Dabei ergeben sich nicht nur Lehr- sondern auch Wissenschaftskooperationen. Es geht also nicht nur um materielle, sondern auch um wissenschaftliche und kulturelle Verflechtungen. 

Politische Stabilität
Zuletzt soll noch die Frage der politischen Stabilität angesprochen werden. Es gibt wenige Länder mit stabilen politischen Verhältnissen. Aber Afrika, insbesondere Nordafrika zeichnet sich durch einen höheren Grad von Instabilität und weniger gereifte demokratische Spielregeln aus. Tunesien, dessen Revolution und nachfolgende Entwicklung mit großen Hoffnungen verbunden war ist ein Beispiel dafür, wie schnell sich die Dinge ändern können. Viele meiner Gesprächspartner*innen - aus dem Bereich der NGOs und der internationalen Organisationen in Tunis - gehen davon aus, dass die wirtschaftlichen Träger und Nutznießer die Revolution (2010) und den Sturz von Ben Ali (2011) übertaucht und überlebt haben. Manche sprechen sogar davon, dass die Demokratie auch eine „Demokratisierung der Korruption“ gebracht hat, also die Zahl derer, die von der Verflechtung von Politik und Wirtschaft profitieren, erhöht hat. 

Jedenfalls hat Präsident Kais Saied immer mehr autoritäre Züge angenommen. Und er konnte das ohne allzu großen Widerstand, da ein Großteil der Bevölkerung von den wirtschaftlichen und sozialen Konsequenzen der Revolution enttäuscht waren und nach wie vor sind. Zwar werden die autoritären Maßnahmen und zum Teil xenophoben Äußerungen des tunesischen Präsidenten an der schlechten wirtschaftlichen und sozialen Lage nichts ändern, aber zurzeit kann er damit seine Macht stabilisieren. Besonders schade wäre es, wenn die gesellschaftlichen Fortschritte, vor allem die für die Frauen, Schritt für Schritt zurückgeführt werden würden. Anzeichen dafür gibt es bereits, wenn man bedenkt, dass der Anteil der Frauen im neu gewählten Parlament deutlich zurückgegangen ist. 

Klimaziele überwiegen
Manche hoffen noch auf eine - wenngleich langsamere Umsetzung reformerische Maßnahmen- andere allerdings haben diesbezüglich wenig Hoffnung. Manche forderten mehr Druck seitens der Europäischen Union hin bis zum Abbruch der finanziellen Unterstützung, andere wieder wünschen sich ein stärkeres - auch finanzielles - Engagement, um jedenfalls der Bevölkerung zu helfen. Vor diesem Dilemma steht auch die energiepolitische Zusammenarbeit zwischen Europa und vielen afrikanischen Ländern. Und das betrifft auch das tunesisch-österreichische Wasserstoffprojekt. 

Aber langfristig gedacht ist es sicher sinnvoll ein klimapolitisches Kooperationsprojekt unter Berücksichtigung der wirtschaftlichen und sozialen Aspekte zu erarbeiten und durchzuführen. Der Nutzen eines solchen Projekt überwiegt bei weitem mögliche politisch bedenkliche Folgen. Es bleibt zu hoffen, dass die wirtschaftliche Entwicklung letztendlich auch zur politischen Stabilität und zur demokratischen Entwicklung beiträgt.


Dr. Hannes Swoboda, President of the International Institute for Peace (IIP), started his career in urban politics in Vienna and was elected member of the European Parliament in 1996. He was Vice President of the Social Democrat Group until 2012 und then President until 2014. He was particularly engaged in foreign, enlargement, and neighborhood policies. Swoboda is also President of the Vienna Institute for International Economics, the Centre of Architecture, the University for Applied Science - Campus Vienna, and the Sir Peter Ustinov Institute.