Es sind die Extremisten, die wieder das Wort führen oder besser die Gewalt anwenden im Kernkonflikt des Nahen Ostens. All dies ist nicht zuletzt das Resultat der Politik von Premierminister Netanyahu - allerdings nicht nur von ihm. Immer wieder wurde von israelischer Seite der Konflikt mit den Palästinensern kleingeredet. Andere Konflikte im Nahen Osten seien viel wichtiger. Die Abkommen mit einigen arabischen Ländern - die Abraham Accords - wurden als Meilensteine in Richtung einer Friedenslösung im Nahen Osten betrachtet. Und nun? Jetzt gibt es wieder Tote, nicht nur auf palästinensischer Seite, da vor allem in Gaza, sondern auch in Israel selbst. Der ganze Triumphalismus, den vor allem Netanyahu nach den Abraham Accords und auch nach den Impfrekorden ausstrahlte, konnte das Palästinaproblem nicht auf Dauer verdrängen. Es hat sich früher als gedacht zurückgemeldet. Und weder Israel noch die „neuen“ arabischer Partner haben diese Abkommen genutzt, um an der Lösung des Kernkonflikts im Nahen Osten Konflikts zu arbeiten.
Es ist ein großer Fehler den Konflikt in Palästina zu vernachlässigen. Sicher hat er sich gewandelt. Die Jugend ist unruhiger geworden. Sie sind nicht nur wütend auf die verschiedenen israelischen PolitikerInnen, sondern auch auf die palästinensische Führung in Ramallah. Diese ist veraltet und erstarrt. Sie hat keine Erneuerung zugelassen und der Jugend keine Perspektive gegeben. Schon beim letzten Besuch einer kleinen Delegation des IIP, des Herbert C. Kehlman Instituts und des Österreichischen Studienzentrums für Frieden- und Konfliktlösung in Schlaining, konnten wir die allgemeine Unzufriedenheit vieler Jugendlicher feststellen. Glaubt man wirklich, man kann die Jugend auf Dauer ruhig halten, wenn ihre Bewegungsfreiheit massiv eingeschränkt wird, es wenige Jobs gibt und keine Aussicht auf Besserung besteht?
Das sind jedenfalls genau die Bedingungen, in denen sich der Frust und die Verzweiflung in Gewalt ausdrückt. Und es sind die besten Voraussetzungen für die Extremisten der Hamas und des islamischen Djihads ihre Gewaltbereitschaft unter Beweis zu stellen. Sie wissen, dass sie gegenüber der israelischen Übermacht zu schwach sind, um die Situation zu ändern. Sie nehmen auch in Kauf, dass die Opferzahlen in Gaza viel höher sind als die von ihren Raketen verursachten Opfer in Israel.
Es ist sehr wahrscheinlich, dass die Raketen, die auf Israel abgeschossen wurden und werden auch Teil der iranischen Antwort für die Angriffe von Israel auf die Atomanlagen und Atomwissenschaftler innerhalb des Iran sind. Iran hat hier Vergeltung angekündigt und der Raketenbeschuss schaut sehr nach einer solchen Antwort aus. Damit ist der Konflikt mit dem Iran wieder einmal eng mit dem Palästina-Konflikt verbunden. Mit Recht wehrt sich Israel gegen alle Bedrohungen seiner Existenz und Sicherheit. Aber es wäre viel klüger und hilfreich das Wiederaufleben des Iran-Abkommens nicht durch militärische Schläge zu gefährden, sondern mit allen Partnern in der Region, den USA und der EU daran zu arbeiten, den Iran zu einer stärkeren Übernahme einer regionalen Verantwortung zu bringen. Dass dazu auch militärische Wachsamkeit gehört, ist selbstverständlich.
Wieder einmal erweist sich, dass die regionalen Akteure allein zu keiner friedlichen Lösung fähig sind. Die USA haben sich insbesondere unter Trump sehr einseitig verhalten und den - militärisch und wirtschaftlich Mächtigen zu noch mehr Macht verholfen. Aber all diese Macht kann das Verlangen der jungen PalästinenserInnen nach einem Minimum an Grundrechten nicht erfüllen. Und leider hat Präsident Biden, nicht die Gunst der Stunde unmittelbar nach seiner Angelobung genutzt, um wieder in das Nuklearabkommen JCPOA mit dem Iran einzutreten.
Das Europa der Europäischen Union hat sich leider auch nicht ernsthaft engagiert. Auf der Rechten und zum Teil extrem Rechten Seite hat Premierminister Netanyahu viele Freunde gewonnen. Das sind insofern „falsche“ Freunde, als sie ihn darin unterstützen, die Palästinenserfrage zu vernachlässigen. Und das rächt sich jetzt. Diese Freunde tragen genauso Mitschuld an den Ereignissen wie viele der direkt Beteiligten. Wann endlich wird man auch in Europa erkennen, dass nur ein Eingehen auf die berechtigten Wünsche und Vorstellungen vor allem der jungen PalästinenserInnen nach Arbeitsplätzen und Bewegungsfreiheit Frieden und vor allem Sicherheit für Israel bringen kann. Natürlich wären dadurch nicht alle Probleme und Konflikte im Nahen Osten gelöst. Aber ein Schritt in eine friedlichere Zukunft wäre getan.
Dr. Hannes Swoboda, President of the International Institute for Peace (IP), started his career in urban politics in Vienna and was elected member of the European Parliament in 1996. He was Vice President of the Social Democrat Group until 2012 und then President until 2014. He was particularly engaged in foreign, enlargement, and neighborhood policies. Swoboda is also President of the Vienna Institute for International Economics, the Centre of Architecture, the University for Applied Science - Campus Vienna, and the Sir Peter Ustinov Institute.