Erschienen im DerStandard am 01.02.2021
Europa sollte führend sein im Dialog über die Lösung gemeinsamer Herausforderungen und bestehender Konflikte
Die USA haben einen neuen Präsidenten. Das erfreut nicht nur viele Amerikanerinnen und Amerikaner, sondern auch die meisten Europäerinnen und Europäer. Keine Frage: der Großteil von uns konnte mit Trump nicht viel anfangen – und umgekehrt. Die EU war für Trump keine attraktive Partnerin. Er hat sich einige Länder ausgesucht, mit denen er und sein Außenminister Pompeo vorzugsweise kommunizierten. Dazu gehörte auch Österreich, dessen Regierung sich eigenartigerweise besonders um Kontakte zu Trump bemühte, um nicht zu sagen, an Trump anbiederte.
Für Trump war besonders wichtig, von den europäischen Staaten der Nato höhere Beiträge zur Verteidigung zu erreichen. Letzteres wird sicherlich auch ein Thema in den Gesprächen von Präsident Biden mit den europäischen Nato-Partnern bleiben. Das Problem ist aber nicht so sehr die Höhe der Ausgaben, sondern die mangelnde europäische Koordination bei der Beschaffung der Rüstungsgüter et cetera. Gerade in diesen Zeiten mehr Geld für Rüstungsgüter auszugeben wäre widersinnig.
Gewachsenes Misstrauen Europas gegenüber den USA
Generell erwarten sich viele Expertinnen, Experten, Politikerinnen und Politiker eine starke Kooperation zwischen den USA unter dem neuen Präsidenten Biden und der EU. Vor allem wird eine gemeinsame Linie gegenüber China eingefordert. Aber das wird nicht leicht sein, ist doch die USA eine pazifische Macht und hat als solche andere Sicherheitsvorstellungen und -bedürfnisse als Europa. Vor allem halte ich es für illusionär, das Heranwachsen von China zu einer Großmacht verhindern zu wollen. Auch die Bevölkerung Chinas hat ein Recht auf Wohlstand und wirtschaftlichen und sozialen Fortschritt.
In diesem Zusammenhang ist es auch hilfreich, sich die Einstellungen der Europäerinnen und Europäer anzusehen. Der Europäische Rat für Außenpolitik hat noch vor der Amtseinführung von Präsident Biden – und auch vor dem Sturm aufs Kapitol – eine Umfrage in elf verschiedenen, quer über die EU gestreuten Ländern gemacht. Wenngleich Österreich nicht zu den untersuchten Ländern zählte, dürften die Ergebnisse auch für unser Land gelten. Grundsätzlich ist das Vertrauen der Europäerinnen und Europäer in die USA stark gesunken. Nur in Polen und in Ungarn gibt es noch mehr Vertrauen als Misstrauen gegenüber den USA. Am stärksten ist das Misstrauen interessanterweise in Deutschland ausgeprägt. Es ist das politische System und es sind die amerikanischen WählerInnen, denen die Europäerinnen und Europäer heute viel weniger vertrauen als in der Vergangenheit.
EU, China und Russland
Was China betritt, so geht eine Mehrheit der Menschen in allen elf befragten Ländern davon aus, dass China in zehn Jahren stärker als die USA sein wird. Daraus ergibt sich auch, dass eine Mehrheit der Bevölkerung sich für ein neutrales Verhalten der EU und der einzelnen Mitgliedsstaaten im Falle eines Konflikts zwischen China und den USA ausspricht. Diese Haltung bedeutet nicht, dass die Europäerinnen und Europäer unkritisch gegenüber China und der chinesischen Führung eingestellt sind. Aber sie hängen keiner Illusion an, dass man den Aufstieg Chinas verhindern kann beziehungsweise soll.
Die angestrebte Neutralität betrifft übrigens auch einen möglichen Konflikt zwischen den USA und Russland – mit abgeschwächter Unterstützung für die Neutralität im Konfliktfall in Polen und Dänemark. Einerseits hat der neue Präsident der USA Russland angeboten den Start-Vertrag – zur Verringerung strategischer Waffen, vor allem strategischer Trägersysteme für Nuklearwaffen – zu verlängern. Aber anderseits wird auch die neue Administration eine harte Linie gegenüber Russland verfolgen. Derzeit sind die USA vor allem entschlossen, die Fertigstellung der Pipeline Northstream II zu verhindern. Nun kann man die ursprüngliche Entscheidung, diese Pipeline, die die direkte Gasversorgung Europas aus Russland sicherstellen soll, zu bauen, kritisieren. Aber die letzten hundert Kilometer nicht fertigstellen zu lassen, wäre doch grotesk.
Es stimmt, Präsident Putin hat zuletzt auch im Falle Nawalny und der jüngsten Demonstrationen gezeigt, dass er kein Demokrat ist und das Land autoritär regiert. Daran wird sich leider auch durch den Baustopp bei Northstream II nichts ändern. Überdies, auch in Zeiten extremer Spannungen im Kalten Krieg und des autoritären Kommunismus hat es wirtschaftliche Beziehungen gegeben. Sowohl für die EU als auch für die USA wird es notwendig sein, Kritik an Präsident Putin, selektive Sanktionen und Kooperationsangebote gleichzeitig zu verfolgen.
Grundsätzlich hat vor allem das Vertrauen in Deutschland zugenommen. Diesem Land wird eine zentrale Rolle in Europa eingeräumt. Und wenn man bedenkt, dass gerade Deutschland eine zurückhaltende Rolle bei Konflikten und eine auf Ausgleich und Dialog ausgerichtete Politik verfolgt, so bedeutet diese Orientierung an Deutschland, dass sich die europäische Gesellschaft zunehmend an solchen Haltungen orientiert, die den Dialog und den Ausgleich von Interessen als zentrale europäische Anliegen betrachten.
Eine Führungstroika durch USA, EU und China?
Um nochmals auf die Dreiecksbeziehung USA, EU und China zu kommen, so gibt es auch Vorschläge, eine Art G3, also ein Bündnis zwischen diesen drei globalen Mächten zu schmieden. So meinte kürzlich Xuewu Gu, Professor an der Universität Bonn in einem Beitrag im "Handelsblatt": "Man könnte eine amerikanisch-chinesisch-europäische Führungsrolle in der Weltpolitik, also eine 'G3 Weltordnung' ins Leben rufen." Eine solche generelle Führungstroika scheint mir angesichts der bestehenden Konflikte zwischen den USA und China unrealistisch.
Aber für einige Fragen wie die Pandemiebekämpfung, die Klimapolitik und eventuell für die Erneuerung der Welthandels-Organisation WTO könnte ein solches Bündnis, das jedenfalls offen für andere sein sollte, Wege nach vorne weisen. Wenn es allerdings um die "Wiederherstellung eines global freien und sicheren Internets und eine G3 Menschenrechts-Agenda zur Durchsetzung der universellen Menschenrechte" geht, wie es derselbe Autor verlangt, scheint mir das eine Illusion zu sein.
Wiederbelebung des Multilateralismus
Was wir jedenfalls brauchen und wozu gerade die EU – mit dem erwähnten Rückhalt aus der europäischen Gesellschaft – aktiv werden sollte, ist die Lösung der global wichtigsten Aufgaben gemeinsam und das heißt multilateral anzugehen. Sich dabei auch zwischen den USA und Europa mehr abzusprechen ist sicher sinnvoll. Aber das Ziel muss sein, alle globalen Akteure zu gemeinsamen Strategien einzuladen. Das wird nicht immer leicht sein. Aber die Gesellschaften in allen diesen Ländern haben jedenfalls bezüglich einiger wichtiger Fragen dasselbe oder ähnliche Interessen.
Die Politikerinnen und Politiker der EU und der einzelnen Mitgliedsstaaten sollten die Stimmung in den europäischen Gesellschaften ernst nehmen. Selbstverständlich sollte es dabei nicht um billigen Populismus gehen und manche unter den Befragten missachten wahrscheinlich die Fragen der Menschenrechte und die Notwendigkeit einer auch(!) militärischen Sicherheitspolitik. Aber Dialog und sinnvolle Gespräche über die Lösung gemeinsamer Herausforderungen und vor allem über Abrüstung sollte die Antwort auf die bestehenden Konflikte sein. Dabei sollte Europa führend sein.
Dr. Hannes Swoboda, President of the International Institute for Peace (IP), started his career in urban politics in Vienna and was elected member of the European Parliament in 1996. He was Vice President of the Social Democrat Group until 2012 und then President until 2014. He was particularly engaged in foreign, enlargement, and neighborhood policies. Swoboda is also President of the Vienna Institute for International Economics, the Centre of Architecture, the University for Applied Science - Campus Vienna, and the Sir Peter Ustinov Institute.