Erschienen auf der Webseite von Der Standard am 11.01.2021
Konflikte in Äthiopien, Aserbaidschan und der Westsahara sind 2020 neu entfacht
In Anlehnung an einen Artikel in der "NZZ" unter dem Titel "Krieg kann man mit Panzern gewinnen – Frieden nicht" möchte ich diese Frage aufwerfen. Dabei stehen Panzer stellvertretend für Gewalt. Und vielleicht sollte man heute aus aktuellem Anlass fragen: Machen Drohnen Frieden? Irgendwo gibt es immer Konflikte und Krieg. Aber letztes Jahr haben sich gerade zwei alte Konflikte wenige Wochen vor Jahresende entfacht. Einerseits der Konflikt um Nagorno-Karabach, also zwischen Armenien und Aserbaidschan, und anderseits einer der regionalen Konflikte in Äthiopien. Und dann droht auch der Konflikt um die Westsahara neu zu entflammen. So viel nur bezüglich neu angefachter Konflikte in unserer Nachbarschaft. Da sind noch die "alten" kriegerischen Auseinandersetzungen wie in Syrien, der Krieg in Jemen beziehungsweise die wiedereröffneten Konflikte weiter weg wie in Kaschmir. Immer glaubt man, mit Panzern – oder Drohnen, Bomben et cetera – Lösungen herbeizuführen oder Frieden herzustellen. Und in vielen Fällen haben die Verantwortlichen versäumt, tragbare Kompromisse zu schließen. Aber wenigstens jetzt nach dem Einsatz von Waffen sollten neue Friedensinitiativen gesetzt werden. Besteht Grund zur Hoffnung? Kann das Jahr 2021 mehr an Frieden bringen als 2020?
Armenien, Aserbaidschan und die Türkei
Im Falle Nagorno-Karabach hat Armenien geglaubt, durch die Besetzung von Gebieten Aserbaidschans im Nahbereich von Nagorno-Karabach, Aserbaidschan von militärischen Aktionen abzuhalten. Aber auf lange Frist gesehen war das ein Irrtum. Aserbaidschan hat aufgerüstet und ist nun der Gewinner, wenn es auch etliche Kriegsopfer zu beklagen hat. Aber ein militärischer Sieg ist noch kein Frieden. Dafür wird es noch einige Zeit brauchen, und es stellt sich die Frage, ob überhaupt Frieden gewollt wird.
Aserbaidschan hatte einen nicht unwichtigen Verbündeten, der jedenfalls mit Drohnen und scharfen Worten beim militärischen Vorgehen gegen Armenien half: die Türkei. Es wäre jetzt aber höchst an der Zeit, die Beziehungen zwischen Armenien und der Türkei auf eine neue, zukunftsorientierte Basis zu stellen. Aber noch sonnt sich die Türkei und vor allem Präsident Erdoğan als Verbündeter von Aserbaidschan bei einer Truppenparade in Baku als Sieger. Für Armenien ist es sicher schwierig – angesichts des auch heute noch in der Türkei vielfach geleugneten Genozids – Initiativen in Richtung Ankara zu setzen. Und Erdoğan zeigt kein Interesse, ein neues Kapitel im Verhältnis zu Armenien aufzuschlagen. So wartet man wahrscheinlich vergebens auf Staatsmänner/Staatsfrauen, die in die Zukunft blicken und eine neue Friedensordnung herbeiführen wollen.
Inzwischen sind viele Menschen, vor allem Armenier, heimatlos geworden, wenngleich andere in ihre ursprünglichen Dörfer zurückkehren konnten. Dabei waren allerdings manchmal ihre Häuser von den zwischenzeitlichen Besitzern in Brand gesteckt worden. Und in der Türkei warten die dort lebenden und/oder arbeitenden Armenier noch immer auf eine Entspannung in den Beziehungen zwischen ihren beiden "Heimatländern". Noch überwiegt der Nationalismus und siegt über eine vernünftige Entspannungspolitik. Und das neue Leid wird bald vergessen sein – bis zum nächsten kriegerischen Konflikt.
Äthiopien
Besonders grotesk scheint der Feldzug des äthiopischen Premierministers Abiy Ahmed gegen die Aufständischen in der Provinz Tigray. War es doch Abiy Ahmend, der knapp nach Beginn seiner Amtszeit den Friedensnobelpreis zuerkannt bekommen hat. Solche vorzeitigen Verleihungen sind grundsätzlich problematisch. Allerdings bekam ihn der äthiopische Politiker für den Friedensschluss mit dem Nachbarland Eritrea. Aber bald nach seinem Amtsantritt machten sich verschiedene innerethnische Konflikte bemerkbar. Einer davon war und bleibt der in der Provinz Tigray. Die von dort stammende politische Elite hat über Jahrzehnte das ganze Land beherrscht, und das hat zu viel Unstimmigkeiten geführt. Leider gab die schwierige und zum Teil grausame Geschichte des Landes keine Anhaltspunkte für eine friedliche und demokratische Lösung solcher Konflikte.
Es ist schwierig, von außen zu beurteilen, ob nicht ein friedlicher Weg zur Konfliktlösung möglich war. Wahrscheinlich wollte Abiy auch gegenüber den anderen ethnischen Gruppen seine Entschlossenheit signalisieren, die Einheit Äthiopiens unter allen Umständen zu wahren und zu verteidigen. Aber auch in diesem Fall schaffen Panzer noch keinen Frieden. Viele flüchteten aus den Kriegsgebieten, vor allem in den noch ärmere Sudan, der ja selbst in der Vergangenheit Flüchtlinge "produzierte". Eritrea dürfte beim Kampf gegen die ausständigen Kräfte aus Tigray geholfen haben. Aber manche in Somalia fürchten eine Wiederauflage eines expansiven Äthiopien. In einer solche fragilen Region hat jede auch innere kriegerische Auseinandersetzung Auswirkungen nach außen hin.
Erst jetzt wird sich zeigen, ob Abiy seinen Nobelpreis wirklich verdient hat. Denn die schwierigste Aufgabe beginnt nach (!) der militärischen Eroberung. Nicht die Panzer machen Frieden, sondern die Menschen, die Macht haben und diese zum Friedenschließen nutzen. Abiy selbst, zumindest wenn man seine erst jüngst abgeschlossene Doktorarbeit liest, weiß das. Dort erwähnt er auch die Ursachen von Konflikten, die es zu bekämpfen gilt: "Intoleranz, soziale Marginalisierung und wirtschaftliche Ungleichheit." Aber es ist oft ein schwieriger Weg von der Theorie zur Praxis, insbesondere in wirtschaftlichen Krisenzeiten.
Westsahara
Ein schon lange schwelender Konflikt ist der zwischen der Polisario, der Widerstandsbewegung der Sahauris und Marokko, das die Westsahara besetzt hat. Viele Initiativen unter der Schirmherrschaft der Uno haben zu keinem Ergebnis geführt. Und unlängst hat Präsident Trump Marokko bewegt, mit Israel volle diplomatische Beziehungen aufzunehmen. Dafür hat er die Westsahara als marokkanisches Gebiet namens der USA anerkannt. Manche allerdings befürchten dadurch sogar eine Verschärfung des Konflikts und keineswegs eine Beruhigung. Aber angesichts der Machtverhältnisse dürfte für die Polisario – und die von ihr vertretene Bevölkerung der Westsahara – keine Chance auf Durchsetzung der Eigenständigkeit der Westsahara bestehen.
Je mehr Länder die Annexion durch Marokko anerkennen, desto mehr steht die Polisario auf verlorenerem Posten. Auch in diesem Fall können Panzer nicht Frieden schaffen – weder die von Marokko noch die wenigen Waffen der Polisario. Aber wo man nicht bereit ist, durch Verhandlungen zu einem Kompromiss zu kommen, sprechen Waffen. Die schaffen allerdings erst recht keinen Frieden. Auch wenn wie in diesem Fall die Verfügbarkeit über Panzer sehr ungleich verteilt ist.
Hoffnung für 2021?
So gehen wir ins Jahr 2021 mit mehreren ungelösten Konflikten – auch in unserer unmittelbaren Nachbarschaft. Der Ukraine-Konflikt fordert immer wieder Opfer. Wir wissen nicht, wie sich die Situation in Belarus (Weißrussland) entwickelt. Und unter Präsident Biden mag sich das Verhältnis zwischen den USA und Russland eher verschlechtern. Biden hat persönlich kein so gutes Verhältnis zu Autokraten wie Putin. Und wir wissen nicht, wie Präsident Putin reagieren wird. Dennoch bestehen – wenn auch begrenzte – Aussichten auf neue Initiativen, die multilateralen Institutionen und internationale Zusammenarbeit zu stärken. So ist auf westlicher Seite durch Präsident Biden eine Verstärkung derjenigen zu erwarten, die wie die Europäer die multilateralen Organisationen unterstützen. Das betrifft insbesondere die Uno, aber auch regionale Organisationen wie die Afrikanische Union und die OSZE. Konflikte und Kriege wie die oben angeführten sind auch (!) ein Versagen dieser Organisationen, vor allem ihrer führenden Mitglieder.
Was nun die OSCE mit ihrem Sitz in Wien betrifft, so hat sie eine neue und starke Spitze bekommen. Insbesondere die neue Generalsekretärin Helga Schmid ist es gewohnt, schwierige Themen anzupacken und Lösungen herbeizuführen, wie im Falle des Nuklearabkommens mit dem Iran, an dem sie namens der EU mitverhandelt hat. So bleibt ein leichter Schimmer der Hoffnung am Jahresbeginn 2021. Aber es bleibt ein mühsamer Kampf, auch die kleineren Konflikte friedlich und nicht mit Waffengewalt zu lösen. Und statt Aufrüstung brauchen wir Abrüstung. Wir sollten nicht vergessen, Panzer machen keinen Frieden, Drohnen auch nicht.
Dr. Hannes Swoboda, President of the International Institute for Peace (IP), started his career in urban politics in Vienna and was elected member of the European Parliament in 1996. He was Vice President of the Social Democrat Group until 2012 und then President until 2014. He was particularly engaged in foreign, enlargement, and neighborhood policies. Swoboda is also President of the Vienna Institute for International Economics, the Centre of Architecture, the University for Applied Science - Campus Vienna, and the Sir Peter Ustinov Institute.