Einige Länder setzen auf „Herdenimmunität“, um Covid-19 zu bekämpfen, wonach sich mehr als sechzig Prozent der Bevölkerung infizieren müssten. Man nimmt an, dass diese Menschen nicht mehr angesteckt werden noch selbst anstecken können (was keineswegs bewiesen ist). Viele, vornehmlich Alte, Schwache und Arme, würden diese geplante Infektion nicht überleben. Man kann und soll diese Menschen auch nicht von den vermeintlich weniger gefährdeten Jüngeren auf Dauer trennen. Diese sozialdarwinistisch-neoliberale Vorstellung nimmt an, dass sich Natur und Gesellschaft selbst ohne großen Einfluss des Staates regeln. Die „Herdenimmunisierung“ dient oft als Rechtfertigung für die hohe Sterberate. Tatsächlich wäre das aber ein Eingeständnis des Scheiterns. Diese Entwicklung kann weit außer Kontrolle geraten. Im Mittelalter wurden vierzig bis sechzig Prozent der europäischen Bevölkerung, je nach Region, ausgelöscht, ohne dass sich diese „Herdenimmunität“ einstellte. Nach dem Ersten Weltkrieg wurde die Spanische Grippe nicht durch die „Herdenimmunisierung“ gestoppt, als sie in mehreren Wellen über die Welt fegte und fünfzig bis hundert Millionen Tote (ein Vielfaches der Opfer des Krieges) zu Folge hatte. Sie war ein globales Phänomen, das nicht in Spanien sondern wahrscheinlich in den USA den Ursprung hatte. Spanien hatte aber die freieste Presse, weil es ein neutrales Land war, und konnte als erstes darüber berichten, während die Kriegsparteien die Seuche verschleiern wollten. Das Kriegsnarrativ hatte diese Tragödie weitgehend aus dem kollektiven Bewusstsein verdrängt. Vergessen wurde auch, dass sich nach der Abschwächung der Grippe diejenigen Städte in den USA schneller wirtschaftlich erholt haben, die früher strenge Quarantänemaßnahmen eingeführt und später aufgehoben haben.
(https://www.weforum.org/agenda/2020/04/pandemic-economy-lessons-1918-flu/) „Herdenimmunität“ vernichtet den Virus nicht, konsequente soziale und medizinische Maßnahmen können ihn eindämmen.
Univ. Prof. Dr. Heinz Gärtner is a lecturer in the Department of Political Science at the University of Vienna and at Danube University. He was academic director of the Austrian Institute for International Affairs. He has held various Fulbright Fellowships and the Austrian Chair at Stanford University. He was Austrian Marshall Plan Foundation Fellow at the Johns Hopkins University in Washington DC. Among other things, Gärtner chairs the Strategy and Security advisory board of the Austrian Armed Forces and the Advisory Board of the International Institute for Peace (IIP) in Vienna. He has published widely on international security, nuclear non-proliferation and disarmament, US foreign policy, geopolitics, Iran, and the Middle East.