Am 11. Dezember 2018 fand auf Initiative der ukrainischen Botschaft in Wien hin Gespräch über Augenzeugenberichte aus der Ostukraine im International Institut für den Frieden (IIF) statt. Dazu wurden Igor Kozlovsky und Stalina Chubenko eingeladen, um ihre persönliche Geschichte im Kontext des Konflikts in der Ostukraine zu erzählen und um größeres Bewusstsein für die Lage dort zu schaffen. Moderiert wurde die Veranstaltung von Hannes Swoboda, Präsident des IIF und MEP ret. Olexander Scherba, Botschafter der Ukraine in Österreich, und Stephanie Fenkart, Direktorin IIF, hielten jeweils eine Begrüßungsrede.
Igor Kozlosyky konnte nach dem entzündeten Konflikt die Stadt Donezk in der Ostukraine nicht mehr verlassen und musste zwei Jahre im Gefängnis dort verbringen, weil man angeblich eine Granate in seiner Wohnung gefunden hatte. Stalina Chubenko ist Russin, hat einen ukrainischen Ehemann und lebt in der Ukraine. 2014 hat sie ihren Sohn verloren, nachdem dieser verhaftet, gefoltert und in der Haft mit fünf Schüssen in den Kopf getötet wurde. Der damals vorgebrachte Grund für seine Verhaftung war, dass er angeblich mit einem gelb-blauen Streifen auf seinem Rucksack gesichtet wurde. Die Mutter hatte ein halbes Jahr nach ihrem Sohn gesucht, bis sie Oktober 2014 von seinem Tod erfuhr.
Kozlovsky begann zu erzählen. Donezk ist seine Heimat, er ist dort geboren und aufgewachsen, für ihn war das immer die Ukraine. Seit März 2014 ist allen in der Ukraine klar, dass der Konflikt ernst ist: fremde Gruppierungen mit dem Ziel den separatistischen Gedanken zu fördern und zu formulieren trafen auf ebenso bestimmte Gegengruppierungen und bald gab es erste Opfer. Anfang 2014 gab es auf dem besetzten Gebiet in der Ostukraine ca. 69 % ukrainische, 30% russische und 1% griechische Bevölkerung. Separatistische Positionen existierten nur sehr marginalisiert und wurden mit Hilfe von Waffen und Geld verbreitet.
Als Teil einer pro-ukrainischen Gegenbewegung nahm Kozlovsky an regelmäßigen Versammlungen teil, die aus Vertretern aller Religionen stammten und sich im Stadtzentrum zusammenfanden um für die Ukraine zu beten. Obwohl es immer wieder zu Verhaftungen kam, trafen sich die Menschen bis Ende 2014. Zu diesem Zeitpunkt waren auch schon russische Truppen anwesend. Das Stadtbild war zusehend vereinsamt. Bis Ende 2014 hatten fast 1,5 Million Menschen Donezk verlassen, so auch Kozlovsky’s Familie. Er selbst war gezwungen mit seinem kranken Sohn in der Stadt zu bleiben. Zwar hatte er Vorbereitungen für die Abreise getroffen, wurde dann aber Januar 2016 verhaftet. Zusammen mit anderen Inhaftierten musste er in einem Keller leben. Die Leute hier waren aus allen sozialen Schichten. Keiner hatte die Gelegenheit bekommen seine Unschuld in einem Gerichtsverfahren zu beweisen; zum Teil waren sie in Konzentrationslagern gewesen, es konnte passieren, dass sie dort Jahre lang bleiben mussten. Über den heutigen Aufenthalt dieser Menschen kann Kozlovsky nichts mehr sagen, weil nichts bekannt ist. Dann begann die Folter. Die Foltermethoden waren sehr verschieden und jede auf ihre Art grausam. Oft wurden die Inhaftierten auf einen Platz gebracht und der Illusion ausgeliefert, dass sie erschossen würden. Kozlovsky wurde gar nicht wirklich befragt, sondern nur beschuldigt: er sei pro- ukrainisch eingestellt und habe seine Ansichten dazu vielen Menschen gelehrt. Die Folter war so schlimm, dass er bald nicht mehr gehen konnte und das nach einigen Monaten erst wieder lernen musste. Mehrmals wurde er in andere Zellen und Gefängnisse gebracht, insgesamt war er zwei Jahre inhaftiert. Über Kozlovsky’s Aufenthalt wurden weder Sohn noch Ehefrau informiert. Zu seinem Glück haben sich viele Menschen für seine Freiheit eingesetzt: der Papst, amerikanische und ukrainische Politiker. Im Zuge eines Gefangenenaustausches kam er schließlich frei. Seine Freiheit musste er gegen seine Heimat eintauschen: nur weil er unterzeichnete nie wieder nach Donezk zurückzukehren, waren die Separatisten einverstanden ihn gehen zu lassen. Heute arbeitet er in Kiew, an dem Institut für Philosophie und setzt sich intensiv für die Befreiung anderer Inhaftierter in der Ostukraine ein.
Kozlovsky wurde damals Ministerium für Staatssicherheit der Donezker Volksrepublik verhaftet, dies versteht sich als den Erben des russischen Komitees für Staatssicherheit (KGB). Die Mitarbeiter werden vom russischen Sicherheitsdienst kuriert; geleitet wird es von einem russischen Offizier. Die Separatisten haben ein Regime von totalitärer Unterdrückung geschaffen, dass an das politische System der Sowjetunion von 1937 erinnert.
Chubenko hat lange Zeit in der Ukraine gelebt und als Russin nie Benachteiligung oder Diskriminierung erfahren. Im aufkeimenden Konflikt haben sich damals die jungen Leute formiert und organisiert um ihre Heimat zu verteidigen – bis sie lernen mussten, dass es ein Verbrechen sei, die Heimat zu lieben. Nachdem sie ihren getöteten, minderjährigen Sohn identifizieren musste und das Leid gesehen hatte, das ihm zugefügt worden war, sei sie nicht mehr in der Lage freundschaftliche Gefühle zu empfinden. Im Gegenzug kenne sie keinen einzigen Fall, über einen Minderjährigen, der aus der ukrainischen Haft nicht mehr zurückgekommen sei. Über ihren Sohn konnte sie in Erfahrung bringen, dass er vor seinem Tod eine Woche gefoltert worden und dann, als überzeugter pro-Ukrainer mit fünf Kopfschüssen ermordet worden war.
Daraufhin wurde die Diskussion mit einer Frage von Botschafter Scherba an Kozlovsky eröffnet: wie habe er es geschafft, nachdem er so viel Schlimmes erlebt habe, nicht verbittert und ohne Hass zu sein. Kozlovsky erklärte, dass für ihn der Sinn des Lebens die Liebe sei – dieser Gedanke habe ihn überleben lassen. Selbst über die vielen Schmerzen und Folter habe er sein Lächeln nicht verloren, weil er keine Angst vor dem Tod habe. Auch die Lehren des Yoga, was er studiert und praktiziert, hätten ihm geholfen die Zeit seiner Haft zu überstehen: Mit dem Körper und dem Sinn musste er arbeiten, um sich in der engen, steinigen, kalten Zelle einen inneren Freiraum zu bewahren.
Was kann die Ukraine besser machen um Frieden zu finden, gibt es andere Möglichkeiten als, wie bisher, militärisch zu reagieren, vor dem Hintergrund der sehr ungleich verteilten Möglichkeiten, gibt es Idee an die Zivilgesellschaft? Kozlovsky hält den Einsatz von Militär per se nicht verkehrt, damit sich die Ukraine verteidigen könne gegen den großen Gegner Russland – dabei würde die Ukraine aber eindeutig defensiv vorgehen. Neben militärischen Reaktionen könne die Zivilbevölkerung helfen die Wahrheit zu erzählen, damit die Weltöffentlichkeit informiert sei über das, was Russland dort tut. Dialog mit Russland sei aber erst möglich, wenn dieses von seinem Expandierungsbestreben absehe. Chubenko ergänzte, dass ziviler Dialog dann schwierig sei, wenn es Menschen nicht gelinge Propaganda und Wahrheit zu differenzieren – das sei oft der Fall.
Aktuell seien in den besetzten Gebieten wohl 20% der Bevölkerung pro-ukrainisch, ca. 80% pro-russisch, sehr viele Menschen seien aber auch indifferent eingestellt.
Die letzte Frage richtete sich an Chubenko: Wie sieht es aus mit der Bestrafung der Mörder ihres Sohnes? Alle drei Mörder seien von einem ukrainischen Gericht unter Abwesenheit zu lebenslanger Haft verurteilt worden. Alle Mörder seien entweder in Russland oder auf der okkupierten Krim. Sie verstehe diese Situation nicht: dass ein Mörder mit ukrainischer Staatsbürgerschaft in Russland Zuflucht finden kann anstatt an die Ukraine ausgeliefert zu werden.
Abschließend bedankte sich Swoboda bei den Gästen und erklärte, dass man sowohl beim IIP als auch in Österreich nicht aufgeben wird, sich für Frieden in der Ukraine einzusetzen.