Ein neues Selbstbewusstsein des Iran bei den Wiener Verhandlungen

Vor kurzem haben die Verhandlungen bezüglich des Iran-Nuklearabkommens in Wien wieder begonnen. Eine gute Gelegenheit, den bisherigen Verlauf dieser jahrelangen und zähen Verhandlungen
und die Zukunftsperspektiven zu analysieren.

Neubeginn der Wiener Gespräche

Die siebente Verhandlungsrunde über die Wiederbelebung des iranischen Nuklearabkommens JCPOA wurde am 29. November 2021 in Wien aufgenommen, nachdem die Gespräche im Juni wegen der Iranischen Präsidentschaftswahlen unterbrochen worden waren. Das Abkommen, das 2015 ursprünglich von China, Deutschland, Frankreich, Großbritannien, dem Iran, Russland und den USA in Wien angenommen worden war, wurde von den USA unter Donald Trump 2018 einseitig aufgekündigt. Der Iran wurde daraufhin mit Sanktionen belegt, obwohl er sich peinlich genau an das Abkommen gehalten hatte. Daraufhin begann der Iran schrittweise seine Verpflichtungen unter dem Abkommen zu überschreiten. Die USA und auch die Europäer brachten immer wieder die Forderung von Donald Trumps Außenminister Mike Pompeo ins Spiel, die das Abkommen zu Fall bringen würde. Das „regionale Verhalten“ des Iran müsste in das JCPOA einbezogen werden. Das zeigte, dass es ihnen nicht mehr nur um das Nuklearprogramm des Iran ging, sondern um den Iran selbst. Abgesehen davon, dass es kein Rüstungskontrollabkommen in der Geschichte gibt, das „Verhalten“ miteinbezieht, hätte das JCPOA das Nuklearprogramm des Iran am besten beschränkt. Der Ausstieg der USA hat gezeigt, dass andere Gründe ausschlaggebend waren.

Irans geopolitische Position und die „Abraham Accords“
Internationale Statistiken zeigen, dass der Iran eine starke geopolitische Position (u.a. Infrastruktur, Ressourcen, Bevölkerungsgröße, Bildung, Land-Meer Verhältnis) einnimmt. Er liegt weltweit an vierzehnter Stelle, noch vor Israel und Saudi Arabien. Was liegt näher, als nach der Theorie des Mächtegleichgewichts ein Bündnis gegen einen starken Nachbar zu bilden. Die „Abraham Accords“, ein umfassendes bekommen von 2020 zwischen Israel und den Vereinigten Arabischen Emiraten, Bahrain, später dem Sudan und Marokko mit Beteiligung der USA, haben das Potential zu einem derartigen Bündnis. Eine Maßnahme, die diese Entwicklung unterstützt, ist, dass Israel, das bis dahin dem US-Kommando Europe (EUCOM) zugehörig war, dem zentralen Kommando (CENTCOM), das für den Mittleren Osten zuständig
ist, zugeteilt wurde. Das US-Verteidigungsministerium begründete diesen Schritt unter anderen mit den „Abrahams-Accords“, die „eine strategische Gelegenheit“ bieten würden, „Schlüsselpartner der USA gegen gemeinsame Bedrohungen im Mittleren Osten zu vereinen“. Zudem führen die USA regelmäßige Flüge von US B-B1 Lancer Bombern über die Straße von Hormuz, dem Suezkanal und das Rote Meer durch. Sie werden von Kampfflugzeugen der Mitglieder der „Abraham-Accords“, einschließlich Israels begleitet. Andere US-Verbündete, wie Saudi Arabien und Ägypten, nehmen auch teil. Die „Abraham Accords“ berücksichtigen die Interessen der Palästinenser nicht. Die arabischen Staaten hatten in ihrem Friedensplan von 2002 noch die Aufnahme von diplomatischen Beziehungen mit Israel an die Errichtung eines Palästinenserstaates innerhalb der Grenzen von 1967 geknüpft. Mit den „Abraham Accords“ bekam das Bündnis gegen den Iran Priorität. Allerdings gibt es gegenläufige Entwicklungen, die eine arabische anti-iranische Allianz unterlaufen könnten: Es gab mit drei Verhandlungsrunden eine vorsichtige Annäherung zwischen dem Iran und Saudi Arabien. Mit den Vereinigten Arabischen Emiraten wurde Mitte
November 2021 ein Wirtschaftsabkommen unterzeichnet.

Irans neues Selbstbewusstsein
Im April 2021 begannen in Wien nun Gespräche über die Wiedereinsetzung des Abkommens. In den sechs Verhandlungsrunden bis Juni war viel erreicht worden. Ein Großteil der nuklearbezogenen Sanktionen der USA sollten aufgehoben werden, wenn der Iran wieder die technischen Fortschritte seines Nuklearprogramms auf das Niveau von 2015 zurückfährt. Es gab noch Unklarheit, in welcher Form das geschehen soll. Der Iran forderte Sanktionserleichterungen bevor er sein Programm wieder einschränkt, das aber erhebliche Fortschritte, vor allem was moderne Zentrifugen betrifft, gemacht hat. Die USA wollten Sanktionen erst nach Vorleistungen des Iran aufheben. Der Iran demonstrierte aber mit seiner neuen Regierung Ebrahim Raisi neues Selbstbewusstsein und forderte mehr zielgerichtete Verhandlungen. Er bräuchte das Nuklearabkommen nicht um jeden Preis, obwohl die ungerechten und inhumanen Sanktionen entfernt werden müssten, so die neue Linie. Für den Iran ist die Aufhebung der Sanktionen nicht mehr nur eine Frage der Wirtschaft, sondern auch oder viel mehr noch eine Frage der Würde
und des Stolzes. Trotz der Sanktionen wuchs 2021 die Wirtschaft wieder um vier Prozent, nachdem es in den letzten Jahren ein negatives Wachstum gegeben hatte; der Außenhandel nahm zu. Bei der inneren Kaufkraft liegt der Iran weltweit an achtzehnter Stelle. Im Iran gibt es eine kaufkräftige Mittelschicht, in den Geschäften ist äußerlich kein Mangel zu erkennen, die Restaurants sind gut besucht. Für 2021-23 ist ein Absinken der Inflationsrat auf fünfundzwanzig Prozent prognostiziert. Die Inflation, die nach der Verhängung der neuen Sanktionen von zehn Prozent kontinuierlich auf fast vierzig Prozent gestiegen war, vergrößerte aber den Anteil der Armut immer mehr. Die Covid-19 Impfquote steigt. Nach offiziellen Angaben liegt sie höher als die von Österreich. Deswegen gehen auch die Infektionszahlen zurück.
Bei iranischen Regierungsvertretern, aber auch bei Think Tanks und Wissenschaftlern, wird die Unabhängigkeit des Iran von den USA und Europa betont. Gleichzeitig wird aber der Blick immer mehr nach Asien gerichtet. Mit China wurde ein langjähriges Wirtschaftsabkommen geschlossen. Der Iran ist im September der regionalen „Shanghai Kooperationsorganisation“ beigetreten, in der China und Russland die dominierenden Mächte sind. Die iranische Delegation mit ihrem neuen Leiter Ali Bagheri Kani
kam mit der Vorstellung nach Wien, dass die USA das Abkommen mehr bräuchten als der Iran. Der Iran hatte noch vor den Verhandlungen sein Nuklearprogramm höher gefahren. Die Lager von zwanzig Prozent angereichertem Uran wurden vergrößert, ein kleiner Teil wurde auf sechzig Prozent angereichert. Das JCPOA hätte dem Iran einen Anreicherungsgrad von knapp vier Prozent zugestanden. Nun argumentiert der Iran verständlicherweise, dass er Garantie wolle, dass nicht der nächste US-Präsident wieder das Abkommen verlässt und neue Sanktionen verhängt. Das politische System der USA lässt derartige Garantien über die bestehende Präsidentschaft hinaus aber nicht zu, wenn der Kongress nicht mit zwei Drittel Mehrheit zustimmt. Der Iran hat allen Grund misstrauisch zu sein, ist doch nicht einmal Präsident Biden bereit, eine Garantie für die Dauer seiner Amtszeit abzugeben, was er mit Präsidentschaftserklärungen tun könnte. Ebenso werden die USA Irans Forderung, dass die USA „alle“ Sanktionen aufheben, bevor er seine Verpflichtungen erfüllt, nicht zustimmen. Außerdem blieb unklar, ob mit „allen Sanktionen“ auch die nicht-nuklearbezogenen (etwa Sanktionen auf Mitglieder der Revolutionären Garden) gemeint waren, und ob nur die Sanktionen, die von den Regierungen Trump und
Biden einbezogen waren. Die USA wollen sich die Möglichkeit offen halten, Druck auf das iranische Raketenprogramm auszuüben. Das entbehrt nicht einer gewissen Scheinheiligkeit, denn die USA lieferten an Saudi Arabien kurz vor den neuen Verhandlungen neuerlich Raketen. Die Raketen Saudi Arabiens haben schon jetzt mit zweitausendfünfhundert Kilometern eine größere Reichweite als die des Iran, die auf zweitausend Kilometer begrenzt sind. Nicht das JCPOA sondern regionale Rüstungskontrollverhandlungen wären das geeignete Forum, um konventionelle Rüstung zu thematisieren.

JCPOA: Vorteile für alle

Im Prinzip hatten sowohl die iranische als auch die US-Delegation ähnliche Ansätze. Die iranische Formel lautete „Aktion für Aktion“, die der USA „Erfüllung für Erfüllung“ der jeweiligen Verpflichtungen. Für den Iran bedeutete das die Aufhebung der Sanktionen, deren Verifikation und die Zusicherung, dass die USA
ein Abkommen nicht neuerlich brechen. Es stellte sich die Frage, wer tatsächlich damit beginnt, zu den Verpflichtungen zurückzukehren. Technische Lösungen sind vorstellbar, indem zeitliche und inhaltliche Pakete geschnürt werden, von denen eines nach dem anderen eingelöst wird. Alle Parteien des JCPOA sind im Prinzip für die Erneuerung des Nuklearabkommens und alle hätten Vorteile. Die Befürchtungen
des Westens über nukleare Proliferation würden gestoppt und die iranische Wirtschaft wie auch westliche Unternehmen würden profitieren. Ein Scheitern der Wiener Verhandlungen hätte die Konsequenz, dass der Iran sein Nuklearprogramm weiter ausbaut, ohne direkt eine Nuklearwaffe zu bauen. Das würde reichen, dass Israel weiter die Nuklearanlagen und andere Ziele angreifen und versuchen wird, die USA in den Konflikt hineinzuziehen. Der Iran würde mit all seinen asymmetrischen Mitteln antworten, da er nicht die militärischen Fähigkeiten besitzt, einen offenen Krieg zu führen. Es gibt keine vernünftige Alternative zu dem Nuklearabkommen.


Univ. Prof. Dr. Heinz Gärtner is a lecturer in the Department of Political Science at the University of Vienna and at Danube University. He was academic director of the Austrian Institute for International Affairs. He has held various Fulbright Fellowships and the Austrian Chair at Stanford University. He was Austrian Marshall Plan Foundation Fellow at the Johns Hopkins University in Washington DC. Among other things, Gärtner chairs the Strategy and Security advisory board of the Austrian Armed Forces and the Advisory Board of the International Institute for Peace (IIP) in Vienna. He has published widely on international security, nuclear non-proliferation and disarmament, US foreign policy, geopolitics, Iran, and the Middle East.