Buchbesprechung: "The Button: The New Nuclear Arms Race and Presidential Power from Truman to Trump" - William J. Perry and Tom Z. Collina

Die alleinige Autorität des Präsidenten, einen Nuklearkrieg zu beginnen

Das Buch beginnt mit einem erschreckenden Szenario, in dem ein US-Präsident auf Grund eines falschen Alarms einen Nuklearkrieg mit allen dramatischen humanitären Konsequenzen auslöst. Der „Druck auf den Knopf“ steht für die Metapher, dass der amerikanische Präsident die alleinige Autorität besitzt, innerhalb weniger Minuten Nuklearwaffen einzusetzen. Tatsächlich hat der Knopf aber die Form eines amerikanischen Footballs, der mit einem Code („biscuit“) verbunden werden muss. Der Football wird immer von einem Offizier hinter dem Präsidenten getragen. Laut Verfassung käme aber die Entscheidung, Krieg zu erklären, dem Kongress zu. Als Präsident Truman erfuhr, dass das Militär 1945 nach Hiroshima und Nagasaki eine dritte Bombe über Japan abwerfen wollte, beschloss er, dass die Entscheidung, Atomwaffen einzusetzen, unter ziviler Kontrolle bleiben sollte. Unter ziviler Kontrolle verstanden er und alle darauf folgenden Präsidenten jeweils sich selbst und nicht den Kongress.

Für manche, die die Jahrzehnte des Kalten Krieges erlebt haben, mag das Bekenntnis der Autoren (schließlich diente William Perry als Verteidigungsminister) überraschend kommen, dass die Wahrscheinlichkeit, dass Sowjetunion und Russland, einen nuklearen Überraschungsangriff starten würden, extrem gering war und weiter ist. Dieses Argument aber war die Triebkraft für den nuklearen Rüstungswettlauf, sowohl was die Anzahl von Nuklearwaffen vor allem während des Kalten Krieges als auch den Modernisierungsschub danach betrifft. Die tatsächliche Gefahr für einen Nuklearkrieg kam aber nicht aus dem Osten, sondern von Fehlalarmen und instabilen Präsidenten. Nixon war oft betrunken, Kennedy abhängig von schweren Schmerzmedikamenten, Reagan hatte in den letzten Regierungsjahren Zeichen von Alzheimer. Zudem zählt das Buch eine Reihe von falschen Warnungen über sowjetische Raketenangriffe auf. Raketen würden auf Grund von Warnungen abgeschossen werden, bevor die gegnerischen Raketen überhaupt ihr Ziel erreicht haben („launch on warning“), und das in einer Situation, wenn die Nerven gespannt, die Emotionen hoch sind und die Zeit kurz ist.

Die Autoren schließen daraus, dass überkommene Einrichtungen, die aus dem Kalten Krieg stammen, abgeschafft werden müssten, weil sie extrem gefährlich seien und die Sicherheit der Vereinigten Staaten unterminieren würden. Die alleinige Entscheidungsautorität des Präsidenten müsste aufgehoben werden, weil Präsidenten überfordert wären, innerhalb kürzester Zeit rationale Entscheidungen zu treffen. Der Ersteinsatz von Nuklearwaffen („first use“) sollte unterbunden werden. Der Ersteinsatz bedeutet, einen Nuklearkrieg zu beginnen, ohne mit Nuklearwaffen angegriffen worden zu sein. Damit verbunden wäre die fälschliche Annahme, dass sich ein Nuklearkrieg begrenzen ließe. Tatsächlich würde ein Ersteinsatz eine nukleare Eskalation auslösen, weil sie eine „gesicherte Vergeltung“ Russlands zur Folge hätte und damit zum nuklearen Selbstmord führen würde.

Seit den Atombombenabwürfen von Hiroshima und Nagasaki hatten sich US-Präsidenten den Einsatz von Nuklearwaffen überlegt – während der Berlinblockade 1948, im Koreakrieg 1950-1953, gegen China 1958, während der Kubakrise 1962 und im Vietnamkrieg. Nixon wollte die Nordvietnamesen wissen lassen, dass er die Hand am Nuklearknopf hätte und „alles“ tun würde, um den Krieg zu beenden, was sein Stabschef Haldeman als „Madman Theory“ bezeichnete.

Während die Präsidenten dachten, dass Nuklearwaffen in diesen Fällen letztlich nicht anwendbar gewesen wären, haben sich die strategischen Planer Gedanken darüber gemacht, wie sie doch einsatzbar gemacht werden können. Da wird das Paradoxon des Ersteinsatzes sichtbar: Trotz der Beteuerungen, keinen Nuklearkrieg beginnen zu wollen, halten sich die Präsidenten diese Option offen. Damit verbunden bleibt die Drohung mit Massenvernichtung. Präsident Trump sprach in einem Interview im Jänner 2020 diese Wahrheit klar aus: „Wenn wir Nuklearwaffen haben, warum können wir sie dann nicht einsetzen?“

Falsche Lücken

Um das Ziel, einen begrenzten Nuklearkrieg führen zu können, zu erreichen, haben Präsidenten immer wieder „Lücken“ entdeckt. Mit immer neuen Waffenkategorien sollten die diversen Eskalationsstufen kontrolliert werden können. Eisenhower entschied eine große Anzahl von taktischen Nuklearwaffen zu produzieren und in Europa zu stationieren. Der junge Henry Kissinger schrieb 1961, dass es 1961-1965 eine „unvermeidliche Raketenlücke“ geben würde. Diese Lücke stellte sich als Mythos heraus. Um aber die sowjetischen konventionellen Streitkräfte auszugleichen brachten die USA bis Ende der sechziger Jahre tausende taktische Nuklearwaffen nach Europa. Die Sowjetunion begann ihrerseits ihr Arsenal von taktischen Nuklearwaffen aufzustellen.

Mitte der siebziger Jahre tauchte die „Lücke“ wieder auf. Der Rüstungskontrollverhandler Paul Nitze sprach von einem „Fenster der Verwundbarkeit“, in dem die Sowjetunion bei den Interkontinentalraketen (ICBMs) eine Überlegenheit erreichen würden, einer Erkenntnis, der die CIA widersprach. Als die Sowjetunion (SS-20) und die USA (Pershing II, Cruise Missiles) Ende der siebziger Jahre landgestützte Mittelstreckenraketen in Europa stationierten, hätte ein Nuklearkrieg auf Europa beschränkt werden können. Der INF-Vertrag von 1987 zwischen Reagan und Gorbatschow eliminierte dann diese Kategorie von Waffen, nicht ohne dass die USA bereits zielgenaue seegestützte Raketen stationiert hatten, die Osteuropa und Russland treffen konnten.

Dieser INF-Vertrag wurde von Präsident Trump 2019 gekündigt. Weder die USA noch Russland sind jetzt durch den Vertrag gebunden, keine territorialgestützte Mittelstreckeneuropa in Asien oder Europa zu stationieren, was beiden wegen Chinas Mittelstreckenarsenal, das nicht von dem Vertrag erfasst war, wohl recht sein dürften. Für Europa bedeutet das, dass derartige amerikanische Tomahawk in Polen und Rumänien sowie russische Raketen in Kaliningrad sofort aufgestellt werden können.

Wieder geht der Trend in den USA dazu, Nuklearwaffen mit „kleinerer“ Sprengkraft zu entwickeln und zu stationieren, um russische kleinere Nuklearwaffen begegnen zu können. Die Autoren des Buches betonen hingegen, dass es wieder keine „Lücken“ gibt. Es geht vielmehr darum, niemals eine Nuklearwaffen einzusetzen – ganz gleich welcher Größe. Denn wenn einmal ein Staat mit Nuklearwaffen angegriffen wird, würde er „mit allem antworten, was er hat“. Lange vor den Autoren hatte in der vornuklearen Zeit schon Carl von Clausewitz die Beobachtung gemacht, dass der Krieg stets zum Äußersten drängt.

Mythos Raketenabwehr

Ein anderer Mythos ist, dass ein Raketenabwehrschild Amerika schützen könnte. Der Vertrag über das Verbot von einem Anti-Raketen Schutzschild von 1972 (ABM) sollte ursprünglich eine wirksame Abschreckung durch gesicherte Zweitschlagfähigkeit ermöglichen. Es hatte immer starke Gegner dieses Vertrages und Befürworter und Lobbisten eines Raketenabwehrschildes aus Politik und Wirtschaft gegeben. Die Autoren weisen darauf hin, dass es lächerlich ist, zu glauben, dass US-Abwehrraketen hunderte russische Interkontinentalraketen (ICBMs) abfangen könnten.

Die Terroranschläge des 11. September 2001 boten Präsident George W. Bush Gelegenheit, den Vertrag diesmal mit dem Hinweis auf die Gefahr von Terroristen und Schurkenstaaten aufzukündigen. Der Anti-Raketenschild sollte nicht nur Europa sondern auch die USA vor iranischen Interkontinentalraketen – die es nicht gibt – schützen. Im Buch nicht zitierte historische Dokumente zeigen, dass die Nixon Administration vor dem Abschluss ABM-Vertrages eine analoge Argumentationsstrategie verwendet hatte, wie der damalige Sicherheitsberater Henry Kissinger zehn Jahre später 1979 zugab, dass „ … ursprünglich das ABM System nur als Schutz gegen die Chinesen und nicht gegen die sowjetische Bedrohung verkauft werden konnte.“ (NATO – The Next Thirty Years, Remarks in Brussels on September 1, 1979,The Center for Strategic & International Studies, Georgetown University, Washington, D.C) Die USA hielten das Bild einer iranischen Nuklearbedrohung auch nach dem Abschluss des Nuklearabkommens 2015 aufrecht, aus dem sich nicht der Iran sondern die USA 2018 zurückzogen. Die Autoren beurteilen das Anti-Raketen-System illusorisch und deshalb gefährlich, weil es falsche Versprechungen macht, die es nicht halten kann.

Hacker

Vor den amerikanischen Wahlen 2020 gibt es wieder die Vermutung, dass sich ausländische Mächte, wie Russland, China oder der Iran mit Cyberangriffen in die amerikanischen Wahlen einmischen würden. Das Buch hingegen bringt Beispiele, wie die USA elektronisch 2009 das iranische Nuklearprogramm mit dem Computervirus „Stuxnet“ lahmlegen sollte, es aber schließlich auch die Energieversorgung beeinträchtigte und global ziviles Internet infizierte. Dennoch entwickelte die Regierung Obama ein ähnliches Programm, „Nitro Zeus“, das aber nicht zur Anwendung kam. Seither hat es weitere Cyberangriffe gegeben. Damit haben die USA demonstriert, dass sie zur hybriden Kriegsführung fähig sind.

Unmögliche Verhandlungen

Die Autoren befürworten eine Verlängerung des unter Präsident Obama ausgehandelten bilateralen Neuen-START-Vertrages zwischen den USA und Russland, der 2021 ausläuft und die Anzahl der nuklearen Sprengköpfe auf Interkontinentalraketen auf jeweils 1550 begrenzt. Sie sind aber skeptisch und zitieren den damaligen Sicherheitsberater John Bolten, dass eine Verlängerung „unwahrscheinlich“ sei.

Die Trump-Regierung hat hingegen vorgeschlagen, dass neben Russland auch China in die Verhandlungen einbezogen werden sollen und dass sie „alle Waffen, alle Sprengköpfe, und alle Raketen“ einschließen müssen. Dieser Ansatz ist aber zum Scheitern verurteilt. Abgesehen davon, dass kaum taktische Raketen, Mittelstrecken- und Interkontinentalraketen in einem Vertrag erfasst werden können, gibt es eine ungleiche Verteilung. Es ist nicht anzunehmen, dass China seine 180 Nuklearsprengköpfe verhandeln will, besitzen die USA und Russland doch etwa jeweils 5000 von ihnen. In einem Aufsatz, der nach dem Erscheinen dieses Buches publiziert wurde, drückt Rose Gottemoeller (Rethinking Nuclear Arms Control, The Washington Quarterly, 15 September 2020, 148) die Hoffnung aus, dass China dazu gebracht werden könnte, zumindest über die territorial gestützten Mittelstreckenraketen zu verhandeln, weil es verhindern will, dass Russland und die USA diese Raketen in Asien stationieren. Trotz der guten Absicht dieses Arguments hat es China aus gutem Grund zurückgewiesen, besteht sein Raketenarsenal zu 80 Prozent aus eben diesen Raketen. Außerdem würden Russland und die USA nicht auf die Stationierung verzichten, geht es hier auch um Machtprojektion und um die Abschreckung nordkoreanischer Raketen.

Der Neue-START-Vertrag macht laut den Autoren ein größeres Problem sichtbar. Präsidenten der Demokratischen Partei tendieren dazu, Rüstungskontrolle zu unterstützen, aber es wurde nahezu unmöglich, für einen Rüstungskontrollvertrag, der von Demokraten verhandelt wurde, mindesten 67 Stimmen im Senat zu bekommen. Republikanische Präsidenten, die historisch Rüstungskontrolle befürwortet haben, sind jetzt dagegen.

Nukleare Abschreckung nicht in Frage gestellt

Obwohl die Autoren die Nuklearwaffen die am meisten unterschätzte Gefahr für die Existenz unserer Zivilisation bezeichnen und die Welt mit einer „atomaren Titanic“ vergleichen, nehmen sich ihre Vorschläge zur nuklearen Abrüstung eher bescheiden aus: Dem Präsidenten müsse das Monopol auf den Einsatz von Nuklearwaffen entzogen und deren Ersteinsatz auf der Basis von Warnung verboten werden. Bodenstationierte Interkontinentalraketen (ICBMs), die erstes Ziel eines gegnerischen Angriff seien und deshalb abgeschossen werden müssen, bevor sie getroffen werden („use it or lose it“) sollten aus der nuklearen Triade (Luft-, See-, und Bodengestützte Raketen) herausgenommen werden. Der Neue-START-Vertrag soll verlängert und das Raketenabwehrprogramm begrenzt werden.

Das System der nuklearen Abschreckung, das die Ursache für die Existenz von Nuklearwaffen und die nukleare Aufrüstung ist, wird nicht in Frage gestellt. Vielmehr noch, es wird die Rückkehr zur nuklearen Zweitschlagfähigkeit („second strike retaliation“) gefordert. Nukleare Abschreckung und Vergeltung sollte der einzige Zweck („sole purpose“) von Nuklearwaffen sein. Der Vertrag über das Verbot von Nuklearwaffen (TPNW), der wahrscheinlich bald in Kraft treten wird, wird deswegen nur wohlwollend erwähnt, ihm aber keine größere Bedeutung beigemessen. Verlangt wird nicht die vollständige Abschaffung der Nuklearwaffen, wie das der TPNW tut, sondern der Abbau von „nicht notwendig großen US und russische nuklearen Streitkräften“ oder von „übermäßig großen Arsenalen“.

Die Autoren glauben, dass man wegen der Mehrheitsverhältnisse im Kongress nicht auf Rüstungskotrollverträge wohl aber auf einen verantwortungsvollen Präsidenten warten sollte. Hoffnung wird auf eine Massenbewegung gegen die Bombe gesetzt, die es aber wohl nur geben wird, wenn das nukleare System insgesamt in Frage gestellt wird.


Heinz Gaertner.jpg

Univ. Prof. Dr. Heinz Gärtner ist Lektor an den Universitäten Wien und Krems sowie Vorsitzender des Beirates des International Institute for Peace (IIP) sowie des Beirates Strategie und Sicherheitspolitik der Wissenschaftskommission des Österreichischen Bundesheeres. Bis Ende 2016 war Heinz Gärtner wissenschaftlicher Direktor des Österreichischen Instituts für Internationale Politik. Er hatte zahlreiche internationale Forschungsaufenthalte und Gastprofessuren. Er publizierte zahlreiche Bücher und Artikel zu Fragen der USA, internationaler Sicherheit, Abrüstung und Rüstungskontrolle. U. a. ist er Autor des Buches „Der Kalte Krieg“, marixwissen, 2017.