Betrachtet man die Entwicklung unserer Welt aus einer westlich - demokratischen Perspektive - durchaus in ihrer Realverfassung - so ergibt sich die Frage, mit welchen Begriffen die neuesten inner-westlichen und globalen Entwicklungen am besten zu fassen sind. Handelt es sich bloß um eine Umordnung wie sie fast permanent stattfindet oder um einen doch radikaleren Umbruch und leben wir daher in einer dramatischen Unordnung? Davon hängt natürlich auch ab, ob bzw. wie diejenigen, die sich mit dem Nachkriegswesten und seinen Werten grundsätzlich identifizieren, auf diese Entwicklungen reagieren sollten - und welchen Spielraum sie überhaupt haben, um eine neue Ordnung herzustellen.
1) Neuordnung nach 1945
Die Neuordnung nach dem Zweiten Weltkrieg hat eine relative Stabilität und auch die Hoffnung auf eine zunehmende Demokratisierung und steigenden Wohlstand gebracht. Es kam zu einem, von den meisten politischen Kräften und einer überwiegenden Mehrheit der Bevölkerung getragenen Konsens, die vergangenen kriegerischen Auseinandersetzungen und deren Ursachen zu überwinden. Dieser Konsens war einerseits mit einer Stärkung der nationalen Selbstbestimmung und anderseits mit dem Aufbau internationaler Organisationen verbunden. Die Gründung der Vereinten Nationen und mehrerer multinationalen Organisationen haben jedenfalls lange Zeit umfassende Kriege und Krisen wie nach dem Ersten Weltkrieg verhindert. Man darf nicht vergessen, dass der nach dem Zweiten Weltkrieg entwickelte Multilateralismus wesentlich zur Stabilität und zum globalen Frieden beitrugen. Und wenn sich auch der Westen nicht immer vorbildhaft verhalten hat, grundsätzlich hat er diese neue Weltordnung unterstützt. Und man muss das westliche Projekt und insbesondere die Europäische Union als „work in progress“ verstehen.
Man darf auch nicht vergessen, dass die vielfach gescholtene Globalisierung auch einen Beitrag zu dieser neuen Ordnung und vor allem zur globalen wirtschaftlichen Entwicklung und zur Verringerung der weltweiten Armut geleistet hat. Man kann deutlich nachweisen, dass das Wachstum und der damit zusammenhängende gestiegene internationale Handel wesentlich zum Abbau globaler Armut beigetragen hat - wenngleich auch die klimatischen Schäden nicht unterschätzt werden dürfen.
Aber gleichzeitig haben die globalen Wirtschaftsbeziehungen manche Arbeitnehmergruppen in den Industrieländern in ihrer Entwicklung zurückgeworfen. Zusätzlich hat sie zur verstärkten Abhängigkeit dieser Länder von ausgelagerten Produktionen bzw. generell von Billigimporten und Importen von sensiblen Produkten geführt. Lange Zeit konnte aber diese Neuordnung, vor allem durch die Gründung des Gemeinsamen Markt innerhalb der EU, ohne größere Friktionen aufrecht erhalten werden.
Jedenfalls haben die führenden politischen Köpfe in Europa versucht aus dem wirtschaftlichen und politischen Chaos und der Gewalttätigkeit der Zwischenkriegszeit, die zu globalen Auseinandersetzungen führten, zu lernen. Das führte dann insbesondere zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und später zur Etablierung der Europäischen Union. Möglich und gekennzeichnet war diese Entwicklung durch einen umfassenden Entkolonialisierungsprozess - unter dem auch die Anfang der Neunzigerjahre erfolgte Auflösung der Sowjetunion und des Warschauer Pakts verstanden werden kann. Diese inner - europäische Neuordnung nach dem Zusammenbruch des kommunistischen Ostens hat zwar kurzfristig zu Unruhe geführt aber die Integration der ost-europäischen Staaten in die Europäische Union hat bald eine neue Stabilität geschaffen. Nochmals sei betont, dass die nach dem Zweiten Weltkrieg hergestellte Neuordnung keineswegs perfekt war und vor allem viele Menschen hinter dem „Eisernen Vorhang“ unter der Unfreiheit und wirtschaftlichem Mangel litten. Aber insbesondere nach dem Fall dieser quer durch Europa verlaufenen Trennlinien erwuchs die Hoffnung auf eine stabile, demokratische Neuordnung, die nun den Großteil Europas umfassen sollte.
2) Individualisierung und seine Grenzen
Parallel zu der politischen Neuordnung gab es - jedenfalls in den Gesellschaften Europas - einen Individualisierungsprozess der sich in einer Schwächung der traditionellen Familienbande und einer Diversifizierung des Wahlverhaltens ausdrückte. Die traditionellen Kräfte der linken und rechten Mitte wurden geschwächt, neue Parteien entstanden und die Wahlfreiheit erhöht. Das hat grundsätzlich einmal die Demokratie und die individuellen Freiheiten gestärkt. Aber die Auflösung familiärer, sozialer und politischer Bindungen hat auch neue Herausforderungen und vermehrte Unübersichtlichkeiten gebracht. Vor allem haben die sozialen Medien und einige führende Persönlichkeiten dieser Medien mit ihren ressentimentgeladenen Äußerungen zu neuen Unordnungen beigetragen.
Ein Mann wie Elon Musk bekam Macht, über die kaum ein Politiker verfügt und er benützt sie auch, um verstärkt rechte Gruppierungen auf X zu Wort kommen zu lassen und mischt sich selbst massiv in Wahlauseinandersetzungen ein. Seit er Twitter übernommen hat, ist die Anzahl seiner Follower massiv in die Höhe gegangen. Er hat mehr Follower als die Spitzenreiter aus Politik und Unterhaltung wie etwa Barack Obama, Christian Ronaldo, Taylor Swift etc. Und er unterstützt eindeutig die rechtsextremen Aktivitäten auf X. Musk war es auch der die gegen Zuwanderer gerichteten gewaltsamen Aktivitäten in Großbritannien unterstützte. Gideon Rachman bezeichnete ihn unlängst in der Financial Times als „unguided geopolitical missile.“
Aber die sozialen Medien werden auch von anderen Akteuren benützt, um Wahlen zu beeinflussen. Insbesondere betrifft das Russland und in geringerem Maße auch China und inzwischen dürften sich auch einige kleinere Länder für externe Wahlbeeinflussungen interessieren. Sie versuchen durch weit verbreitete Fake News die Wähler*innen zu täuschen und zu entmachten. Aber die Wähler*innen spielen ja auch in ihren eigenen Ländern keine entscheidende Rolle.
Die sich ausbreitenden Individualisierung bewirkte auch eine Diversifizierung der Geschlechterfrage. Anstatt einer klaren Zuordnung zu männlich oder weiblich kam es zu einer Vielfalt an Gendern. Diese Diversifizierung, die letztendlich auch zur Selbstbestimmung des eigenen Geschlechts führte, wurde von einigen als Befreiung gesehen, von anderen aber als Zerstörung der natürlichen Ordnung. Und Russland und andere orthodoxe Kräfte erkannten darin die Dekadenz der westlichen Gesellschaft.
Eigentlich im Gegensatz zu dieser Individualisierung und zur Befreiung vom Rassendenken hat sich in manchen Kreisen eine extreme „wokeness“ entwickelt, nach der nur Schwarze Lieder und Gedichte von Schwarzen vortragen und Weiße keine Rasta Locken tragen dürfen etc. Das Bewusstsein von rassischer Diskriminierung und der Kampf gegen diese nachhaltige Diskriminierung wurde in neue Zwänge übergeführt. Überhaupt bestimmt nach Anschauung vieler die „Identität“ das Leben, wobei sie übersehen, dass jeder Mensch verschiedene Identitäten besitzt und daher durch keine einzige definiert ist. Jeder Mensch ist so vielfältig wie die Gesellschaft und lässt sich nicht auf ein Charakteristikum reduzieren.
Das Abschütteln alter Bindungen und Zuschreibungen sollte nicht in neue Zwänge führen, sondern Anerkennung und Toleranz ermöglichen. Eine neue westliche Gesellschaftsordnung, die sich durch eine große Toleranz, Offenheit und Diversität auszeichnet, wurde unlängst im Rahmen der Eröffnung der Olympiade in Paris sichtbar. Dabei wurde versucht aus der neuen Unübersichtlichkeit ein positives Bild zu ziehen. Für den Kommentator der Süddeutschen Zeitung, Holger Gertz, wurden in Paris „Momente kreiert, die wertvoll sind in Zeiten, in denen die online und offline schwer verletzte und vernetzte Welt in Teile zerfällt.“ Genau diese Bilder einer offenen, multikulturellen und vielfältigen Welt waren aber auch Anlass für viele Kritiker, die blasphemisches und allzu provokantes darin entdeckten. Sie konnten diese Vielfältigkeit nicht ertragen.
3) Ein neuer Krieg auf europäischem Boden
Sicher gab es in der zweiten Hälfte des 21. Jahrhunderts, die eine vorher kaum erlebte Stabilität brachte, auch Kriege und Krisen. Kriege, wie die im Nahen Osten, in Korea und in Vietnam sowie in Afghanistan und im Kongo, vor allem aber auch im ehemaligen Jugoslawien. Hinzu kamen Krisen wie die Kubakrise und verschiedene Energiekrisen. All dies hat immer wieder die Gefahren größerer militärischer und wirtschaftlicher Konflikte an die Wand gemalt. Aber durch ein Minimum an Verständigung und Kooperation innerhalb und außerhalb der UN-Familie konnten größere Kriege zwischen den oppositionellen ideologischen und militärischen Mächten verhindert werden.
Der wesentliche Einschnitt - jedenfalls aus westlicher Sicht - kam durch die stufenweise russische Aggression gegenüber seinen Nachbarn und vor allem durch den russischen Einmarsch in die Ukraine. Russland hat sich mit einer Neuordnung, die seinem Status als Atommacht und vor allem seinem Selbstverständnis als imperiale Macht nicht gerecht wurde nie so richtig abfinden können. Es hat auch kaum Vorschläge gemacht, wie ein gemeinsamer Weg in die Zukunft beschritten werden könnte. Vor allem hat es sich nicht mit seiner eigenen imperialen und diktatorischen Geschichte kritisch auseinander gesetzt. Organisationen die das taten - wie zum Beispiel „Memorial“ - wurden zunehmend diskreditiert und unter Druck gesetzt. Man darf die innere Härte und Brutalität gegen kritische Stimmen im Land selbst nicht von der Aggression nach Außen trennen.
Russisches Unbehagen und Sticheleien gegen den Westen kamen nicht gerade überraschend aber der massive Angriff auf die Ukraine war eine von vielen nicht erwartete radikale Kehrtwendung. Allein die Dauer der militärischen Auseinandersetzungen und die innere Verhärtung der politischen Verhältnisse in Russland in Richtung Diktatur machen deutlich, dass es sich nicht nur um eine Umordnung, sondern um einen Umbruch und aus westlicher Sicht um eine krasse Unordnung handelt, die der Krieg mit sich bringt. Und die nach dem Zweiten Weltkrieg gewonnene Friedensdividende wurde damit aufgebraucht was zu verstärkten Rüstungsanstrengungen führte.
4) Das Erstarken der extremen Rechten
Einerseits war die klare Antwort des offiziellen Westens und unterstützt von weiten Teilen der Medien und der Bevölkerung überraschend klar, anderseits versuchen etliche rechte und manche linken Kräfte nicht dem Aggressor sondern dem Westen, insbesondere der NATO, die Schuld am Krieg zu geben. Meist sind das Kräfte, die ebenfalls an der Störung und manchmal an der Zerstörung der bestehenden politischen Ordnung interessiert sind. Eine französische Front National, eine AfD, eine FPÖ und auch das Bündnis Sarah Wagenknecht (BSW) und etliche andere Gruppierungen haben das bewusste Ziel der Zerstörung der politischen Nachkriegsordnung, die auf der Überwindung von Rassismus und Autoritarismus beruhen.
In diesem Zusammenhang meinte die deutsche Schriftstellerin Ines Geipel in einem Beitrag in der FAZ unter dem Titel „Die Landnahme der Gefühle“: „Der Gewinner der Europawahl heißt Wladimir Putin. Er führt einen Vernichtungskrieg in der Ukraine, und es feiern diejenigen Zugewinne, die auf seiner Günstlingsagenda stehen: die AfD und das BSW in Deutschland, das Rassemblement National in Frankreich, die Partei für die Freiheit in Holland, die Freiheitliche Partei in Österreich. Und Sarah Wagenknecht macht Heimat-Wahl. Gegen den Westen, für die Unterwerfung eines von Deutschen weggemordeten Volkes.“
Die jüngsten Wahlen in zwei (ost-)deutschen Bundesländern haben diese Entwicklung bestätigt. Die AfD und das BSW haben deutlich zugelegt, beide Parteien versuchen - mit Erfolg - durch Ressentiments gegen die „Eliten“ und gegen die Fremden Stimmen zu gewinnen.
Hauptangelpunkt dieser politischen Kräfte ist die Zuwanderung in die reicheren Staaten des Westens. Ohne Zweifel bedeutet die verstärkte Einwanderung in die wohlhabenden Länder des Westens, insbesondere seit 2015, eine Umordnung und einen Umbruch. Einen Umbruch muss man aber auch in der Abwanderung und in der Folge im Bevölkerungsverlust etlicher Teile der, vor allem ost-europäischen, Staaten erkennen. Dem steht der Mangel an Arbeitskräften sowie die Überalterung in vielen westlichen Staaten gegenüber. Allerdings machen sich diese Entwicklungen inzwischen auch in einigen ost- und südost-europäischen Ländern bemerkbar.
Die Migration - in einer kontrollierten und regulierten - Form könnte hier zumindest zum Teil den Bedarf an Sozialversicherungsbeiträgen zahlenden Arbeitskräften decken. Aber eine solche Neuordnung wird von den anti-Migrations Kräften torpediert. Unordnung ist deren Ziel und nicht Umordnung.
Mehrere Autoren und Autorinnen gehen davon aus, dass das Empfinden einer unsicheren Zukunft zu Rückgriffen auf alte, bekannte Muster führt. So meint der Politologe Jonathan White in einem Interview mit „Die Zeit“: „In der Demokratie ist die Zukunft immer ein Versprechen, weil wir mit unserer Stimme Einfluss auf sie haben. Wenn die Zukunft aber nicht mehr offen und gestaltbar erscheint, gerät die Demokratie aus dem Takt…..Viele Menschen verlieren den Glauben an den Fortschritt, weil sie das Gefühl haben, Probleme nicht mehr mithilfe der ehemals vertrauten sozialen Strukturen lösen zu können, etwa durch Parteien oder indem sie einer Gewerkschaft beitreten.“
Und weil dieser Glaube an die Gestaltbarkeit der Zukunft verloren geht, wählen immer mehr Menschen gerade den (die), der (die) sie in diesem Moment am besten anspricht. Und das sind Populisten, die die Rückkehr zu den ruhigen und glücklichen Zeiten versprechen. Das sind vor allem Zeiten, in denen sie sich nicht mit Problemen der Zuwanderung ( oder auch der Abwanderung ) bzw. mit dem „Eindringen“ fremder Kulturen auseinander setzen mussten.
Die Migration spielt auch nach den Autoren einer repräsentativen Studie in einigen ausgewählten europäischen Ländern eine entscheidende Rolle. Einer der Autor*innen Detlef Pollack schrieb dazu kürzlich in der FAZ: „ In dieser Studie kommen wir zum Ergebnis, dass ein Dreiersyndrom aus Abwehr des Fremden, wahrgenommener Nichtanerkennung und Misstrauen gegenüber Institutionen entscheidend für die Ausbildung rechtspopulistischer Neigungen ist“ Die Politik mutet ihnen zu, “Zuwanderung und die damit verbundene wachsende kulturelle und ethische Diversität willkommen zu heißen, und erwarte von ihnen, sie sollen Migranten mit ihren Steuerzahlungen finanziell unterstützen, neue Geschlechterverhältnisse und alternative Lebensstile akzeptieren und ihren Stolz auf das eigene Leben bezähmen.“ Will man den Entwicklungen nach weit Rechts entgegen treten, dann muss man mehr auf die Kränkungserfahrungen schauen und nicht so sehr auf sozio-strukturelle Bedingungen. Man muss allerdings auch akzeptieren, dass dagegen „tatsächlich nur relativ wenig getan werden kann. Die Geschichte lässt sich nicht umkehren.“
5) Covid-Impfungen und Klimawandel stören die natürliche Ordnung
Für die nationalistische und zu Verschwörungstheorien neigende Rechte war der Unordnung bringende Covid Virus bzw. wissenschaftliche Empfehlungen, wie mit ihm umzugehen sei, ein weiterer Anlass, sich gegen die Aussagen aus Wissenschaft und Forschung und die sie unterstützenden politischen Kräfte zu wehren. Die politische Ordnung nach 1945 war einerseits besonders darauf bedacht rassistische Vorurteile und anderseits solche, die sich ausschließlich auf Glauben und Natürlichkeit beriefen, zurückzudrängen. Die Behauptung einer Überlegenheit von bestimmten Rassen wurde ebenso verpönt wie die Ablehnung von wissenschaftlichem und technischem Fortschritt. Aber dagegen wuchsen Kräfte heran, die einerseits den Kampf für Gleichberechtigung aller Menschen mit Skepsis und Unmut betrachteten und/oder wissenschaftliche Erkenntnisse für fragwürdig hielten. Die Tatsache, dass solche Erkenntnisse immer einer Überprüfung und oft einer Korrektur unterzogen wurden, gab ihnen augenscheinlich Recht.
Jedenfalls wurden die restriktiven Maßnahmen zum Schutz vor einer Verbreitung des Virus und die Forderungen nach verstärkten Impfungen und vor allem die Diskussion um die Einführung einer Impfpflicht von vielen als Verrat an westlichen Freiheitsversprechen und als übertriebene staatliche Gängelung empfunden. Und auch als Leugnung und Geringschätzung der natürlichen Abwehrkräfte.
Die natürliche Ordnung spielt aber auch in der Klimadebatte eine entscheidende Rolle. Das Klima ist sicher durch viele menschliche Kräfte in Unordnung gebracht worden. Insbesondere im vielfach genannten Anthropozän - der Begriff bleibt umstritten - sind durch die wachsende Verwendung fossiler Brennstoffe die Erderwärmung und damit zusammenhängende Veränderungen beschleunigt worden.
In diesem Zusammenhang ist aber eine Spaltung zu beobachten. Einerseits gibt es Kräfte, die radikale Veränderungen in unserer Lebensweise - vom Wohnen bis zum Verkehrsverhalten - verlangen. Manche davon haben auch durch radikale Maßnahmen deutliche Unordnung in unser gewohntes Leben gebracht. Anderseits sind auf der Rechten die Klimaleugner aktiv, die eine große Verschwörung wittern und denen in diesem Fall die dauerhaften Störungen der natürlichen Umwelt keine Sorgen bereiten. So bringt nicht nur der Klimawandel, sondern auch die unterschiedliche Reaktion darauf Unordnung in unsere politischen Verhältnisse.
6) Der Nahostkonflikt und seine vielfältigen Auswirkungen
Konflikte außerhalb der westlichen Hemisphäre haben immer schon Auswirkungen auf die innerwestlichen Verhältnisse und Debatten gehabt. Auch das scheint sich verstärkt zu haben. So hat der Konflikt im Nahen Osten, der schon lange schwelt, durch die brutale Attacke der Hamas und die brutale - und aus Sicht vieler unverhältnismäßige - Reaktion der israelischen Armee neue Unruhen in die Debatten, vor allem auch im akademischen Bereich, gebracht. Das Recht aller(!) Völker auf Selbstbestimmung und auf eine eigene staatliche Organisation war nicht mehr der gemeinsame Ausgangspunkt der Diskussion, sondern antisemitische Äusserungen einerseits und der schnelle Vorwurf des Antisemitismus gegen die Kritiker der israelischen Politik anderseits beherrschte die unordentlich gewordene öffentliche Diskussion.
Aber unabhängig davon hat der Konflikt bereits eine deutlich spürbare Eskalation gebracht und droht jederzeit sich weiter auszubreiten. Und da insbesondere die USA nach wie vor in der Nah-Ost Region direkt engagiert ist, kann eine solche Eskalation weltweite Auswirkungen haben. Hinzu kommt, dass Russland eng mit dem Iran - und Nord-Korea - verbündet ist und eine solche regionale Konfrontation leicht globale Konsequenzen haben kann. Noch zögert Russland auch außerhalb Syriens mit dem Iran und den vom Iran abhängigen Milizen gemeinsame Sache zu machen, aber das kann sich rasch ändern.
7) Der Kampf gegen den westlichen Einfluss
China hält sich aus diesem Konflikt weitgehend heraus. Aber eine stärkere Konfrontation zwischen den USA und China kann auch auf diesen Konflikt negative Auswirkungen haben. Jedenfalls kann die Auseinandersetzung zwischen China und den USA und deren Verbündete in Asien jederzeit in einen kriegerischen Konflikt münden. Die Wahl eines an Unordnung interessierten amerikanischen Präsidenten, oder zumindest eines, der internationale Zusammenarbeit als schädlich für sein eigenes Ego sieht, kann jederzeit zu einem bewaffneten Konflikt in Asien führen. Und China selbst ist aktiv bemüht seine Interessenssphäre, ja sogar sein Territorium im südchinesischen Meer auszudehnen. In beiden Ländern, den USA und China sind Kräfte am Werk, die von friedlicher Koexistenz nicht viel halten. Ob sie Oberhand gewinnen, hängt nicht zuletzt vom Ausgang der US-Wahlen ab.
Inzwischen sind sowohl China als auch Russland aktiv dabei den globalen Einfluss des Westens zurückzudrängen. Das kann man durchaus als legitimes Unterfangen ansehen. Wenn man aber manche Methoden betrachtet, mit denen insbesondere Russland in Afrika vorgeht, so wenn es brutale Milizen finanziert, dann geht es dabei auch um die Ausbreitung und Unterstützung von eindeutig anti-westlichen Diktaturen und ein Anheizen von Flüchtlingsbewegungen in Richtung Europa.
Die interessensgeleitete Unterstützung von Diktatoren ist allerdings keine besondere Eigenschaft Russlands, wenn man die Geschichte des Kolonialismus und des Neo-Kolonialismus betrachtet. Sowohl europäische Mächte als auch die USA - insbesondere mittels des CIA - haben unrühmliche Aktivitäten entfaltet. Heute sind aber die russischen und zum Teil chinesischen Aktivitäten gezielt als anti-westliche zu verstehen. Es geht dabei nicht nur um den eigenen politischen und wirtschaftlichen Vorteil, sondern auch um absichtliche Störung der vom „Westen beherrschten internationalen Ordnung“.
Dabei wird aber auch eine Ordnung, in der jedenfalls alle Großmächte ohnedies ein entsprechendes Gewicht haben - denken wir nur an das Vetorecht im UN Sicherheitsrat -, in Gefahr gebracht. Aber die Vereinten Nationen - bei all ihrer Schwäche - können nicht durch Organisationen wie die nun erweiterte BRICS Organisation ersetzt werden.
Allerdings wird man sich grundsätzlich überlegen müssen, wie man zu einer Kooperation der Großmächte kommen kann, um die rein auf Konkurrenz und gegenseitigen Schaden ausgelegte Unordnung in eine neue Ordnung umzugestalten. Wahrscheinlich wird es auf eine - hoffentlich friedliche - „unordentliche Neuordnung“ von Demokratien westlicher Prägung und anderen politischen Systemen hinauslaufen.
8) Auf dem Weg zu einer globalen Neuordnung
Die Versuche der USA und Europas mit unterschiedlichen militärischen oder zivilen Mitteln die demokratischen Verhältnisse weltweit auszubreiten sind gescheitert. Nun gehört es zum Selbstverständnis der Europäischen Union sich für Menschenrechte und Demokratie einzusetzen. Allerdings müssen dabei ohnedies viele Kompromisse eingegangen werden, will man andere Ziele wie Friedenssicherung, Bekämpfung des Klimawandels etc. nicht aufgeben und vernachlässigen. Und schon im eigenen Haus gibt es Schwierigkeiten die vereinbarten Grundwerte durchzusetzen. Ohne die wichtigen und in internationalen Vereinbarungen festgelegten Werte und Rechte aufzugeben muss auch der Westen die schwierige Durchsetzung anerkennen. Eine stärkere Umsetzung innerhalb der EU und den USA ist jedenfalls das beste Argument und die beste Empfehlung für die Gesellschaften außerhalb der westlichen, atlantischen Gemeinschaft. Weder militärisch noch wirtschaftlich können Demokratie und die Anerkennung von Menschenrechten exportiert werden.
Herfried Münkler - der diesjährige Träger des Bruno Kreisky Preises für das Politische Buch - fordert in seinem jüngste Werk „Welt in Aufruhr“ dazu, „dass der „Westen“, wer immer dazugehören mag, den globalen Geltungsanspruch seiner Werte und Normen einschränkt und sich stattdessen wesentlich auf sein eigenes Territorium konzentriert.“ Der Westen muss sich entscheiden was ihm wichtiger ist: “das folgenlose Geltendmachen von Werten oder die Verständigung auf verbindliche Regeln“.
Das heißt nun nicht, dass der moralische Anspruch und die entsprechenden Werte aufgegeben werden sollen, sondern dass diese nicht auf Kosten einer möglichen Verständigung auch mit Ländern gehen darf, die diese Ansprüche nicht teilen oder diese Werte grob verletzen. Gerade wenn - was vielfach belegt wird - die russische Aggression gegen die Ukraine nicht nur in Putins persönlicher Obsessionen ihren Ursprung nimmt, müssen Wege gesucht werden, wie Russland zur Anerkennung bestimmter grundlegender Verhaltensregeln gebracht werden kann. Insbesondere dann, wenn wir dem Konzept einer „Weltordnung der großen Fünf“, wie sie Herfried Münkler vorschwebt, zustimmen.
Betrachtet man das wirtschaftliche Potential, die Bevölkerungszahl aber auch die militärischen und insbesondere die nuklearen Kapazitäten dann ist es logisch, dass die USA, China und Russland und dann auch die Europäische Union und wahrscheinlich auch Indien durch eine verstärkte Zusammenarbeit eine Neuordnung der globalen Verhältnisse erzielen könnten. Aber das setzt auch voraus, dass sich die Europäische Union auch als globaler Akteur versteht und nicht nur als Rechtsgemeinschaft. Und das wieder bedeutet, dass neben der vollen Unterstützung der Ukraine bei der Abwehr der russischen Aggression auch und gleichzeitig an der Möglichkeit eines Waffenstillstands und an einer friedlichen Neuordnung in Europa gedacht werden muss. Auch wenn das aus heutiger Sicht illusorisch erscheint, ist das eine Voraussetzung für eine globale Neuordnung.
Und eine solche Neuordnung ist wiederum die Voraussetzung für die Neuordnung der Migrationsbewegungen und der Klimapolitik. Beide setzen ein Minimum an globaler Kooperation voraus - wie auch die Verhinderung bzw. die effektive Bekämpfung zukünftiger Pandemien. Diese Kooperation verhindert nicht einen fruchtbaren und friedlichen Wettbewerb zwischen den großen Mächten, aber sie sollte nicht gemeinsame Lösungen verbauen. Nicht die Störung oder sogar die Zerstörung der anderen darf das Ziel sein, sondern die Erzielung von Vorteilen durch bessere und beispielgebende Lösungen. Und mit gewaltfreien Mittel sollten die „Großen Fünf“ um Unterstützung bei den anderen Ländern werben.
9) Neuordnung im Nahen Osten
Die vielfältige und meist katastrophale Verknüpfung der europäischen mit der Geschichte im Nahen Osten ist bis heute spürbar. Die Besetzung von arabischen Ländern und nicht eingehaltene Versprechen an deren Führer und die über Jahrhunderte andauernde Diskriminierung und Verfolgung der Juden bis zur beispiellosen Vernichtungspolitik im Nazi Regime haben große Schuld auf europäische Schultern geladen. Diese wird aber nicht durch einseitige Sympathien und Bekenntnisse, die die allgemeinen Menschenrechte leugnen, abgetragen. Die Anerkennung der sicheren Existenz Israels wird am besten durch die Anerkennung des Selbstbestimmungsrechts der Palästinenser unterstrichen und untermauert. In welcher konstitutionellen Form dieses dann auch umgesetzt werden kann ist eine nachfolgende Frage.
Da bleibt die westliche Debatte oftmals hinter der inner-jüdischen bzw. inner-israelischen Diskussion zurück. So meinte der israelische Schriftsteller Dror Mishani, unmittelbar nach den Anschlägen vom 7. Oktober, man müsse „zuerst einmal nachdenken. Nachdenken nicht nur darüber, wie wir angreifen sollen oder den nächsten Angriff verhindern können, sondern darüber, wie wir hier mit unseren Nachbarn leben wollen, auch mit unseren derzeitigen Feinden - was nicht alle sind, das dürfen wir nie vergessen -, mit unseren Feinden, die vielleicht eines Tages, wenn sie sich eine würdigere Führung als die Hamas gewählt haben, und wir selbst uns eine würdigere Führung als die derzeitige gewählt haben, wieder zu unseren Nachbarn in Frieden werden können.“
Es kann sein, dass einige Politiker*innen aus Österreich oder Deutschland auch in diesen Worten Antisemitismus erkennen, aber sie drücken so viel Hoffnung auf eine bessere Zukunft aus, wie sie gerade in so dunklen Zeiten wie diesen notwendig sind. Hoffnung auf eine Welt, in der beide Seiten „würdigere“ politische Führungen wählen, nämlich solche, die den Weg in Richtung Frieden gehen. Und in der Folge müssten sie sich gemeinsam gegen alle wenden, die diesen Konflikt für ihre eigenen politischen Ziele missbrauchen.
10) Eine Neuaufstellung der westlichen Gesellschaften
Schritte zu einer globalen Neuordnung lösen noch nicht die Frage, wie der „Westen“ seine eigenen gesellschaftlichen Herausforderungen begegnen soll. Dabei gibt es auch im Inneren unterschiedliche Herangehensweisen. So sind die USA viel stärker gegen Eingriffe in die Freiheit der - vor allem sozialen - Medien eingestellt als die Europäer. Und sicher sind diesbezügliche Eingriffe mit Vorsicht vorzunehmen. Allzu schnell können sie missbraucht werden, um missliebige Kritik zu unterbinden. Jedenfalls dürfen Demokratien die sozialen Medien nicht jenen überlassen, die die Demokratie aushöhlen wollen. Da geht es um die Durchsetzung von Regeln aber auch um aktives Engagement der Demokraten in diesen Medien.
Demokratien müssen es grundsätzlich schaffen wieder diskursfähig zu werden. Von welcher Seite auch immer Versuche unternommen werden, um freie und offene Debatten zu unterbinden, solche Vorstöße sind zurückzuweisen. Entscheidend sind sowohl Respekt für andere Meinungen als auch die Bereitschaft nach Wahrheit zu suchen. Und damit auch ein grundlegender Respekt für Wissenschaft und Forschung. Es geht also nicht um Toleranz gegenüber den Intoleranten und Ignoranten, sondern um Regeln wie man durch die Anerkennung von gemeinsamen Regeln miteinander Meinungen austauscht. Dazu gehört jedenfalls die Gewaltfreiheit und die Anerkennung von gleichen Rechten - unabhängig von sexueller Orientierung, Glauben, ethnischer Herkunft etc. Vor allem muss verhindert werden, dass Menschen durch einseitige Identitätszuschreibungen ein neues Korsett angelegt wird. Genau solche Tendenzen spalten die westlichen Gesellschaften und schwächen sie auch im Hinblick auf ihren globalen Einfluss.
Schlussfolgerungen
2022 schrieb David Brooks in der New York Times einen Beitrag unter dem Titel „Globalization is over. The Global Culture Wars have begun.“ Nun, wie immer bei solchen Aussagen, ist die Globalisierung keineswegs zu Ende, auch wenn es in vielen Staaten oder Regionen Bemühungen gibt, die Eigenständigkeit bei sensiblen Produkten und Produktionen zu erhöhen. Aber richtig ist, dass die globalen kulturellen Auseinandersetzungen zugenommen haben und zusätzliche Konflikte hervorgerufen haben. Und richtig ist auch der Hinweis auf die Parallelität der globalen und nationalen Auseinanderentwicklungen auf kulturellem und gesellschaftlichem Gebiet.
So meint David Brooks: “In fact, what haunts me most is that this rejection of Western liberalism, individualism, pluralism, gender equality and all the rest is not only happening between nations but also within nations. The status resentment against Western cultural, economic and political elites that flows from the mouths of illiberal leaders like Putin and Modi and Jair Bolsonaro of Brazil sounds quite a lot like the status resentment that flows from the mouths of the Trumpian right, from the French right, from the Italian and Hungarian right.“ Und man kann die FPÖ, die AfD und die BSW etc. hinzufügen und ebenso den neuen Präsidenten von Argentinien, Javier Milei. Die Auseinandersetzungen mit diesen autoritären Bewegungen sind nicht nur für die Erhaltung der Demokratie in westlichen Ländern sondern auch für die Stärkung des westlichen Einflusses auf globale Entwicklung wichtig. Die autoritären Führer außerhalb der westlichen Hemisphäre wissen dass und gerade deshalb unterstützen sie finanziell und durch Wahleinmischung die autoritären Bewegungen des Westens.
Die vielfältigen Unordnungen und Unübersichtlichkeiten, die unsere Gegenwart auszeichnen, stellen große Herausforderungen an einen Westen und vor allem an Europa, das sich zwar nach dem Zweiten Weltkrieg erneuert hat aber nicht genug für Krisen gewappnet hat. Europa war weder auf die Finanzkrise noch auf eine Pandemie wie Covid noch auf die russische Aggression gegen die Ukraine noch auf den neu entflammten Krieg im Nahen Osten gut vorbereitet. Die Finanzkrise konnte zwar relativ rasch bewältigt werden - allerdings ohne Garantien für die Zukunft.
Ähnliches kann man für die Covid Epidemie sagen - allerdings hat sie stärkere gesellschaftliche und politische Auswirkungen. Diese sind jedenfalls ein Verstärker für rechtsextreme Gruppierungen, die die „restriktive“ Haltung der Politik zur Epidemie genauso kritisieren wie die „laxe“ Haltung zur Zuwanderung. Und für einige Verschwörungstheoretiker war bzw. ist der Virus genauso wie die Zuwanderung von bösen Kräften absichtlich in die Gesellschaft eingeschleust worden, um zur Umvolkung beizutragen.
Was speziell die Migration betrifft wird Europa nicht um eine Neuordnung herumkommen will es den Trend zur extremen, populistischen Rechten stoppen. Dabei sollte sich Europa nicht von allgemeinen Grundsätzen der Menschlichkeit verabschieden. Überlegenswert sind allerdings jene Vorschläge, die einen „Abtausch“ zwischen der irregulären und unkontrollierten Zuwanderung durch eine reguläre und organisierte Migration einfordern. So forderte unlängst der Europarechtler Daniel Thym in der FAZ: einen „ Umbau, der Zurückweisungen ohne Verfahren an die Bedingungen legaler Zugangswege knüpft.“
Und auch Kay Heilbronner vom Zentrum für Asyl- und Ausländerzentrum an der Universität Konstanz geht - ebenfalls in der FAZ - davon aus, dass das Kündigen von einschlägigen internationalen Verträgen - vor allem der Europäpischen Menschenrechtkonvention ( EMRK ) „weder notwendig noch sinnvoll“ ist. „ Nicht ausgeschlossen ist aber, dass die Vertragsparteien der Konvention mittels einer gemeinsamen Staatenpraxis oder Absprachen über eine zeitgemäße Auslegung der Konvention die Rechtsentwicklung beeinflussen und damit dem Gerichtshof Vorgaben machen, die er bei seiner zukünftigen Rechtssprechung nicht ignorieren kann.“
Es gibt keinen Königsweg in der Migrationspolitik der alle Wünsche erfüllt. Aber kontrollierte und gewünschte Zugänge sollten so weit als möglich die unkontrollierten und unerwünschten - und oftmals der gefährlichen - ersetzen. Bei der Umsetzung der jüngst beschlossenen EU Migrations- und Asylpolitik müssten entsprechende Ergänzungen und Klarstellungen erfolgen, um die Ziele einer breiter akzeptierten und die irreguläre Zuwanderung zurückdrängenden Migrationspolitik zu erreichen.
Eine Neuordnung der Migrationspolitik betrifft insbesondere den Nachbarkontinent Afrika. Immer wieder gibt es Versuche, durch ein verstärkte Zusammenarbeit zwischen Europa und Afrika die gemeinsamen Probleme vom Klimawandel bis zur Migration zu „lösen“. Auf beiden Seiten gibt es aber zu wenig Bereitschaft zu einer radikalen Neuordnung. Und die Wahlgewinne der extremen Rechten werden diese Bereitschaft in Europa noch weiter schwächen. So wird es ohne größeren finanziellen Einsatz seitens Europa für den ökologischen Umbau in Afrika und mehr gezielte Zuwanderung aus Afrika nach Europa nicht gehen. Beides müsste aber gegen eine erstarkte extreme Rechte durchgesetzt werden.
Die Europäische Union sollte sich jedenfalls um eine globale Neuordnung kümmern die internationale Zusammenarbeit und den Multilateralismus wieder belebt. Stephen M. Walt hat im Magazin „Foreign Policy“ von zwei großen globalen Trends gesprochen, die im Gegensatz zueinander stehen. Einerseits gibt es eine wachsende Zahl von zielgenauen und tödlichen Waffen. Denken wir nur an die Drohnen. Auf der anderen Seite gibt es einen erstarkten Nationalismus. Und damit unterliegen viele Staaten bzw. deren Führer der Versuchung sich durch Waffengewalt ein größeres Territorium zu verschaffen. Vor allem dann wenn gravierende Verletzungen des Völkerrechts bzw. der völkerrechtlich geschützten Ordnung nicht geahndet werden. Und gerade deshalb, ist eine Neuordnung die sich auf allgemein anerkannte Prinzipen stützt notwendig - wenn man Frieden will. Wie immer ein zukünftiger Multilateralismus ausgestaltet sein wird, die Welt braucht ihn dringender denn je - nicht zuletzt für eine effiziente Klimapolitik. Kleinere Umordnungen genügen da nicht, es braucht eine tiefgreifende Neuordnung.
In diesem Zusammenhang ist auch wichtig die steigenden Ausgaben des Westens, vor allem auch der europäischen Staaten, für die Rüstung als ein leider notwendiges aber keineswegs hinreichendes Element der globalen Neuordnung zu definieren. Die russische Aggression und die Aufrüstung Chinas aber auch vieler kleiner Länder machen eine diesbezügliche Reaktion der westlichen Länder verständlich. Dennoch müsste sich auch der Westen Gedanken machen wie dem Wettrüsten ein Ende bereitet werden kann. Und sich besser zu rüsten darf nicht den Weg zu einer friedlichen multilateralen Welt - so illusionär sie auch heute erscheinen mag - versperren. Zu viel Geld und Zeit wird für die Aufrüstung verwendet im Vergleich zu den Investitionen für eine globale, friedliche Neuordnung.
Es ist nicht leicht für all diese Krisen und Haltungen Auswege bzw. Lösungen zu finden. Und dennoch darf sich der Westen weder in Selbstsicherheit wiegen noch verzweifeln. Jonathan White meinte am Schluss des oben zitierten Interviews, wir sollten „uns trotz allem Schlechten in der Welt einer Art organisierten Optimismus anschließen.“ Man kann nicht wissen, ob der Optimismus, den die Demokraten und vor allem Kamala Harris und Tim Walz ausstrahlen, Erfolg haben werden. Aber es ist einen Versuch wert.
Dr. Hannes Swoboda, President of the International Institute for Peace (IP), started his career in urban politics in Vienna and was elected member of the European Parliament in 1996. He was Vice President of the Social Democrat Group until 2012 und then President until 2014. He was particularly engaged in foreign, enlargement, and neighborhood policies. Swoboda is also President of the Vienna Institute for International Economics, the Centre of Architecture, the University for Applied Science - Campus Vienna, and the Sir Peter Ustinov Institute.