Die Region südlich und südöstlich von Europa - die MENA-Region - ist eine von vielen Konflikten durchwachsene. Daran sind die europäischen Länder nicht ganz unschuldig. Viele, vor allem arabische Staaten und deren Bevölkerungen waren Opfer kolonialer Konflikte und Besetzungen. Und Israel wurde nicht zuletzt ein entscheidender Zufluchtsort für Jüdinnen und Juden, die vor den in vielen Teilen Europas stattfindenden Pogromen und letztendlich dem Holocaust flüchteten. Notwendigerweise führte das zu Konflikten mit der arabischen Bevölkerung in Palästina.
Europa kann die Mitverantwortung für Probleme und Konflikte in dieser Region nicht leugnen, auch wenn sich viele in Europa von dieser Verantwortung drücken. Nicht unerwähnt sollte aber bleiben, dass die engen Verbindungen zwischen den Regionen um das Mittelmeer eine schon viel längere Geschichte haben. Und ebenso ist zu erwähnen, dass die Fluchtbewegungen über das Mittelmeer Verbindungen über diese Region hinaus herstellen. Die MENA-Region bleibt auch in Zukunft eine Region der Chancen aber immer auch eine Region der Konflikte und Krisen. Und gerade in letzter Zeit haben noch dramatische Veränderungen des Klimas in diesem Raum neue Probleme verursacht.
(Auf Grunde der Größe und Vielfältigkeit dieser Region kann in diesem Rahmen allerdings nur auf einige Konflikte eingegangen werden.)
Israel und Palästina
Die Konflikte in dieser Region betreffen keineswegs nur das Verhältnis zwischen Europa und den betreffenden Ländern der Region. Auch untereinander bestehen viele Konflikte. Einer davon ist der zwischen Israel bzw. der jüdischen Bevölkerung - vertreten durch die israelische Regierung und die Sicherheitskräfte - und der arabischen Bevölkerung in Israel selbst sowie in Palästina. Die jetzige rechts-religiöse Regierung unter Premierminister Netanyahu ist in besonderem Maße dabei die arabische Bevölkerung zu vernachlässigen bzw. noch weiter zu vertreiben. Selbst Zurufe aus den alliierten Ländern, von befreundeten Politiker*innen und die massiven Demonstrationen in Israel selbst können die Regierung nicht von ihren Vorhaben abbringen, die einerseits etliche demokratische Grundlagen Israels zerstören und anderseits die palästinensische Bevölkerung noch weiter aus ihren ohnedies unterversorgten Siedlungsgebieten vertreiben.
Gleichzeitig versucht Israel Verträge mit verschiedenen arabischen Regierungen zu schließen, zuletzt die Abraham Accords - unter tatkräftiger Mithilfe von Präsident Trump. Derzeit arbeitet die Regierung Biden an der Anbahnung eines Abkommens zwischen Israel und Saudi-Arabien. Biden - zum Unterschied zu Trump - möchte allerdings auch etwas für die Palästinenser „herausholen“. Man hat aber den Eindruck, dass die israelische Regierung möglichst noch vor einem etwaigen Abkommen, vor allem durch eine aggressive Siedlungspolitik, vollendete Tatsachen herstellen möchte.
Grundsätzlich verfolgt die israelische Politik die Strategie, die Gründung eines palästinensischen Staates und damit die Zweistaatenlösung zu verhindern und auf der anderen Seite Sicherheit seitens der arabischen Nachbarn zu bekommen. Wie aber das Verhältnis zwischen Juden und den Arabern in den besetzten Gebieten gestaltet werden soll, wenn für die politischen Mehrheitskräfte in Israel weder eine Zweistaatenlösung noch ein gemeinsamer Staat - in dem die Juden und Jüdinnen die Minderheit hätten - in Frage kommen, bleibt vollständig offen.
Aus eigener Erfahrung, durch die Arbeit im Europäischen Parlament und infolge vieler Besuche in Israel und Palästina, muss ich feststellen, dass es kaum eine schwieriger zu lösende Frage gibt. Aber klar ist für mich, dass auch die Europäische Union keine nachhaltige und überzeugende Strategie zur Lösung des Palästina Konflikts entwickelt hat. Da gab und gibt es immer die Angst durch konkrete Kritik an der israelischen Politik des Antisemitismus geziehen zu werden. Und viele israelische Politiker*innen haben auch immer wieder dieses Argument als Waffe gegen eine friedensorientierte Politik der EU verwendet. Zweitens waren die USA noch viel zurückhaltender in ihrer Kritik an Israels Verhalten und blockierten durch ihr Veto viele Resolutionen des UN-Sicherheitsrates - auch wenn die EU einen Kompromiss ausgearbeitet hat. Und auch die arabischen Regierungen waren keineswegs besonders interessiert den Palästinensern zu helfen, wie man auch daran sehen kann, wie schnell ohne Rücksicht auf deren grundlegenden Anliegen Abkommen mit Israel geschlossen werden.
Es ist sehr bedauerlich, dass kein Weg gefunden wurde, um parallele Prozesse der Lösung des Palästina-Konflikts einerseits und der Versöhnung zwischen Israel und seinen Nachbarn anderseits in Gang zu setzen. Es ist außerordentlich von Vorteil für die Entwicklung der MENA-Region, wenn Israel stärker durch Zusammenarbeit mit seinen Nachbarn in diese Region integriert wird. Aber die Vernachlässigung der Grundrechte der Palästinenser bleibt eine offene Wunde. Dabei sind sicher „kooperative“ Lösungen auch jenseits der Ein- oder Zweistaatenlösung möglich. In einer Arbeitsgruppe im Rahmen des Bruno Kreisky Forums haben wir einige solche Modelle der Föderation zweier unabhängiger Staaten erarbeitet und publiziert: Rethinking the Politics of Israel/Palestine.
Ich werde jedenfalls nie vergessen, wie ich bei meinen „privilegierten“ Grenzübertritten als Europäer erleben konnte, wie Palästinenser an den vielen Checkpoints gedemütigt wurden. Aber ich werde auch nie vergessen, wie viele Israelis immer wieder versuchen, trotz furchtbarer Attentate durch palästinensische Terroristen, mit ihren arabischen Nachbarn an einer gemeinsamen Zukunft zu arbeiten. Umso bedauerlich ist es, dass das nicht bei den Wahlen in Israel zum Ausdruck kommt. Da überwiegt dann immer die Angst vor schmerzhaften Veränderungen über die bekannte, wenngleich unsichere Gegenwart. Und ebenso bedauerlich ist, dass innerhalb der palästinensischen Parteien jungen Menschen wenig Spielraum gegeben wird, um neue Wege zu gehen - auch wenn es ihnen die israelische Regierung schwer machen würde. Aber die Gespräche, die ich mit jungen Palästinenser*innen führen konnte - zuletzt im Rahmen einer IIP Delegation -, waren das einzig Hoffnung gebende.
Europa und der Iran
Ein Staat, der es prinzipiell ablehnt, die Existenz Israels zu akzeptieren ist der Iran. Daraus wurde sogar eine Staatsdoktrin gemacht. Und vor allem die Hezbollah im Libanon ist diesbezüglich ein enger Verbündeter. Sicher ist, dass die Hezbollah durch ihre unnachgiebige und oftmals aggressive Haltung gegen Israel mithilft, dass Libanon schon seit Jahren nicht aus der Krise kommt. Aber sie akzeptiert die sogar immer schlechter werdende Situation im Libanon, um ihren innenpolitischen Zielen willens. Aber da ist sie nicht allein, viele andere Kräfte im Libanon denken und handeln ähnlich. Dabei soll nicht verschwiegen werden, dass die israelische Politik gegenüber dem Libanon und insbesondere die Brutalität gegen die palästinensischen Flüchtlinge im Libanon, die Lage immer wieder verschärft hat.
Für den Iran sind die Hezbollah und ähnliche Milizen in der Region Instrumente, die dem Regime in Teheran und seinem regionalen Machtanspruch dienen. Dem dient auch die Atompolitik des Regimes, die möglichst weit in die Nähe der Erzeugung einer Atombombe kommen soll. Die israelische Bombe ist dabei ein willkommenes Argument. Und es ist auch Israel, das sich am stärksten gegen die Diskussion um die Errichtung einer atomwaffenfreien Zone in der MENA-Region wehrt. Auch wenn eine solche Zone derzeit unrealistisch ist, sollte sie die Europäische Union auf der politischen Agenda behalten. Jedenfalls wäre das eine vernünftigere Strategie als zuzusehen, wie sich andere Staaten - wie Saudi Arabien - daran machen, sich auf die Produktion einer Bombe vorzubereiten.
In den letzten Monaten ist es - nicht zuletzt durch die Vermittlung Chinas - zu einer Annäherung zwischen Saudi-Arabien und dem Iran gekommen. Das wäre jedenfalls für das Ende der Kämpfe und einen politischen Kompromiss zwischen den verschiedenen „politischen“ Gruppen im Jemen von Vorteil. Parallel könnten auch die Initiativen der USA für die Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen Saudi-Arabien und Israel zu einem Ergebnis kommen. Hier sollten aber auch die Palästinenser davon profitieren. Ob dann - in ferner Zukunft - auch der Iran seine aggressive Haltung gegenüber Israel aufgeben könnte, steht heute noch in den Sternen. Der Iran ist sicher nicht so flexibel wie die Türkei unter Präsident Erdogan, der schon einige außenpolitische Kehrtwendungen vollzogen hat.
Was nun die Frage der iranischen Atompolitik betrifft, so hat sich das IIP insbesondere durch die wissenschaftlichen Tätigkeit von Heinz Gärtner damit ausführlich beschäftigt. Die Europäische Union hat sich trotz israelischer Kritik, die insbesondere von Premierminister Netanyahu vorgebracht wurde, immer für konstruktive Verhandlungen eingesetzt. Trump hat das ausgehandelte „Wiener Abkommen“ leider zerstört und damit Iran die Chance einer Weiterentwicklung seiner atomaren Kapazität gegeben.
Selbstverständlich ist es auch für die EU nie leicht gewesen zur Politik von Verhandlungen zu stehen. Die intransparente Politik des Iran und seine aggressive regionale Außenpolitik, die sich insbesondere im Libanon und in Syrien zeigt, waren ebenso zu bedenken wie die repressive Innenpolitik, die gerade auch in den letzten Monaten wieder deutlich sichtbar wurde. Aber die Verhinderung einer atomaren Weiterverbreitung ist und bleibt ein wichtiges geopolitisches Ziel. Und wie erwähnt wäre natürlich in der MENA-Region die Schaffung einer vertraglich vereinbarten und international überwachten Zone ohne Waffen der Massenvernichtung bilateralen Verträgen vorzuziehen.
Europa und der arabische Frühling
Die Hoffnungen, die mit den arabischeren Revolutionen bzw. Aufständen vor allem im Europa gehegt wurden, haben sich nicht erfüllt. Von den beharrenden Kräften wurden die Revolten niedergeschlagen oder ins Gegenteil verkehrt. Hätte Europa anders reagieren können? Ich kann mich noch gut erinnern, wie bei meinem Besuch in der jordanischen Hauptstadt Amman ein Vertreter der syrischen Opposition mir gegenüber von Europa nicht verbale Solidarität, sondern Waffen verlangt hat.
In Ägypten hoffte ich nach vielen Gesprächen - auch mit Vertretern der Muslim-Brüderschaft und dann mit Präsident Mursi selbst -, dass diese die Chancen nach dem Sturz von Mubarak nützen werden, zu einem Kompromiss mit den jungen aufgeklärten „Revolutionären“ zu kommen. Aber sie haben die Chance verpasst und die alte Garde unter General Sisi putschte sich an die Macht - mit Unterstützung der von Präsent Mursi enttäuschten aktiven Zivilgesellschaft. Viele von ihren Aktivist*innen wurden später allerdings vom eben diesem neuen Präsidenten Sisi ins Gefängnis gesteckt.
Wir hatten oftmals im Europäischen Parlament Besuche von tunesischen Abgeordnet*innen die argumentierten, dass der autoritäre Präsident Ben Ali der Garant für eine behutsame Demokratisierung sei. Aber gerade dort begann der - kurzlebige - arabische Frühling. Und obwohl sich in Tunesien die islamische Partei zurückhaltender und kooperativer gezeigt hat, hat sich ein neuer autoritärer Präsident mit anscheinend weitgehender Zustimmung der Bevölkerung durchgesetzt.
Und in Algerien hat es die vor allem militärisch geprägte Macht gar nicht erst zu einer Revolution kommen lassen. Durch eine Mischung von repressiven Maßnahmen und finanziellen Leistungen - aus den reichlich fließenden Einnahmen aus dem Gasgeschäft - wurde den Demonstrant*innen die Kraft geraubt. Ich war bei meinen vielen Besuchen in Algerien Wahlbeobachter und hatte viele Gespräche mit den führenden Vertreter*innen aller politischen Parteien und auch den damals noch freieren Medien. Und mir fiel immer die Intransparenz und Undurchdringlichkeit eines gesellschaftlichen Systems auf, dass auch noch Jahrzehnte nach der Unabhängigkeit seine antikoloniale Politik und die - durchaus berechtigte - Angst vor der Machtübernahme durch die radikalen Islamisten ausnützte, um die Bevölkerung in Schach zu halten.
Die Politik der Europäischen Union in den Jahren vor dem arabischen Frühling war es mit den verschiedenen Potentaten eine Zusammenarbeit, vor allem für geo-politische Ziele, beizubehalten aber auch gleichzeitig die Zivilgesellschaft zu unterstützen, um demokratische Kräfte zu entwickeln und auszubilden. Das stieß oft auf Kritik der herrschenden Machthaber, die mit Recht darin eine Gefahr für sich selbst sahen. Und die von der EU oder auch von den USA - unterstützten NGOs - hatten daher meist kein leichtes Leben.
Die Zusammenarbeit zwischen der EU und den Ländern Nordafrikas konzentrierte sich in der Vergangenheit vor allem auf die Wirtschaft und in einigen Ländern besonders auf die Energie. Das ist auch heute so, aber inzwischen sind die Abwehr irregulärer Flucht und die Sicherheitsfrage in den Vordergrund gerückt. Die grundsätzliche Problematik bleibt die gleiche. Es besteht die Notwendigkeit einer Kooperation mit Regierungen, die zum Teil keine demokratische Legitimation bzw. kein Interesse an der Akzeptanz und der Durchsetzung der Menschenrechte haben.
Dass ein Minimum der europäischen Aufmerksamkeit den Menschenrechten gilt, dafür sorgt vor allem das Europäische Parlament. Aber auch da sieht man keinen Ausweg aus dem Dilemma mit Regierenden zusammen zu arbeiten, deren Haltung zu den Grund- und Freiheitsrechten und zur Demokratie der europäischen Haltung deutlich widerspricht. Und wo ist die Grenze zwischen berechtigter Intervention in die innenpolitischen Verhältnisse und einem Neokolonialismus?
Die Türkei - eine regionale Macht
Ein außerordentlich wichtiges Land der MENA-Region ist sicher die Türkei. Insbesondere seit der zunehmenden Macht von Recip Tayyip Erdogan als Präsident versucht die Türkei als dominierende Regionalmacht anerkannt zu werden. Allerdings nicht immer mit Erfolg. Vor allem weil die Türkei in den vergangenen Jahren zwischen ideologischer Solidarität mit den Muslimbrüdern bzw. den Palästinensern einerseits und zwischen Anerkennung der realen Machtverhältnisse - und das heißt vor allem von Saudi-Arabien und Israel - schwankte. Zurzeit befindet sich die Türkei wieder in einer die Realitäten und Machtverhältnisse anerkennenden Phase. Das war auch beim letzten NATO-Gipfel und seiner Zustimmung der Aufnahme von Finnland und(!) Schweden zu sehen. Und in diesem Zusammenhang kam von Erdogan auch wieder die Forderung einer EU-Mitgliedschaft aufs Tapet.
Die Akzeptanz des Beitrittsgesuch der Türkei war immer umstritten. Nur mit Müh und Not konnte die notwendige Mehrheit für diesen Schritt bei den Staats- und Regierungschefs der EU Ende 1999 hergestellt werden. Aber die Diskussionen gingen weiter. Auch im europäischen Parlament gab es bei den jährlichen „Fortschrittsberichten“ immer wieder heftige Diskussionen. Die mangelnden Fortschritte in der Demokratisierung und bei Durchsetzung der Menschenrechte waren ebenso Themen wie die Behandlung der Kurden und der Genozid an den Armeniern gegen Ende des 1.Weltkriegs.
Was die Demokratiefrage und die Durchsetzung der Grund- und Freiheitsrechte betrifft so gab es vor allem in der ersten Phase der Regierung Erdogan einige Erfolge. Wir konnten auch als EU-Parlamentarier einige Gefängnisse besuchen und mit den „politischen“ Gefangenen offen reden. Aber insbesondere nach dem noch heute undurchsichtigen Militärputsch gegen Erdogan kam es zu entscheidenden Rückschritten hinsichtlich der Grund- und Freiheitsrechte, vor allem auch zu massiven Einschränkungen der Medienfreiheit. Was nun die Vertreibung und massenhafte Tötung der Armenier betrifft - man kann dies durchaus mit Recht als einen Genozid bezeichnen - argumentierten die verschiedenen Regierungen und türkischen Parlamentarier einerseits, dass man dafür nicht die heutige Türkei, die ja erst 1923 gegründet wurde, verantwortlich machen kann und anderseits, dass diese Ereignisse so gar nicht stattgefunden haben.
Die Frage, die mich am meisten beschäftigt hat, war die Kurdenfrage. Ich hatte viele Gespräche mit den Vorsitzenden der - unterschiedlich genannten - Kurdenpartei (zuletzt HDP) und den kurdischen Bürgermeistern, auch mit jenen, die jetzt im Gefängnis sitzen. Ich besuchte mehrmals die kurdische Region und ihre „Hauptstadt“ Diyarbakir. Ich war nie ein Anhänger der PKK, weil ich auch sah, dass die terroristischen Anschläge außer noch mehr Leid für Kurden und Nicht-Kurden nichts brachten. In diesem Sinn halte ich auch den historischen und noch immer im Gefängnis sitzenden Führer der PKK Abdullah Öcalan nicht für einen Helden, auch wenn dessen Konterfei sogar auf der jährlichen Wiener Maidemonstration von einigen Kurden vor sich hergetragen wird.
Aber leider hat es auch Erdogan - nach einigen zaghaften Versuchen zu einem, für ihn günstigen, Deal zu kommen - nicht verstanden die politischen Anliegen der kurdischen Bevölkerung zu respektieren. Dabei geht es nicht - wie immer behauptet wird - um eine Abspaltung von der Türkei, sondern um territoriale und kulturelle Rechte innerhalb der Türkei. Sicher gibt es berechtigte Ängste, dass angesichts der verschiedenen kurdischen Gruppierungen auch in den benachbarten Ländern Syrien, Irak und Iran sezessionistische Aspirationen nicht ausbleiben. Aber eine dauerhafte Unterdrückung von vernünftigen Ansprüchen auf Anerkennung und Respekt hilft da auch nicht weiter. Die Türkei könnte sogar ein Modell der kurdischen Autonomie- und Anerkennungspolitik abgeben und dabei trotzdem die terroristischen Aktivitäten von Splittergruppen bekämpfen.
Die Türkei als Partner im Mittelmeer?
Mein Argument für die Beitrittsgespräche mit der Türkei waren einerseits die Unterstützung von demokratischen Kräften in der Türkei und anderseits die Zusammenarbeit mit der Türkei, um Probleme in der Mittelmeerregion zu lösen, nicht zuletzt die Zypernfrage. Bei der Präsentation meines Türkei Berichts im EU-Parlament, aber auch in der Türkei selbst, habe ich argumentiert, dass wenn in einigen Jahren kein Beitritt vereinbart werden könnte, andere Wege der Zusammenarbeit gefunden werden sollten. Und diese „Frist“ ist längst abgelaufen.
Die Türkei hat sich leider hinsichtlich der Beitrittsbedingungen immer mehr von der Europäischen Union wegbewegt. Die einem Beitritt gegenüber grundsätzlich negativ eingestellten Länder der EU - wie Frankreich und Österreich - waren insgeheim froh über diese Entwicklung. Und Länder wie Zypern und Griechenland, die verbal immer die Wichtigkeit des Beitritts betonten, taten nichts, um den Weg einer Annäherung zwischen der EU und der Türkei zu ebnen. Alle Versuche auf der Insel Zypern zu einer Annäherung und zu einem Minimum einer Kooperation zu kommen scheiterten auch (!) an der griechisch zypriotischen Seite. Das betrifft auch den Umgang mit den Gasvorhaben in der Nähe Zyperns die zu einer beispielgebenden Zusammenarbeit hätten führen können. Und das gab der Türkei immer eine Gelegenheit ebenfalls die Distanz zur EU zu erhöhen.
Auf dem Weg zur Mittelmeerunion?
Die MENA-Region bleibt eine Region der Konflikte. Zu den hier erwähnten Konflikten muss jedenfalls noch der zwischen Algerien und Marokko erwähnt werden, der eng mit dem Konflikt um die Westsahara verknüpft ist. Und der betrifft dann auch europäische Länder, wenn sie sich gezwungen sehen, sich auf die Seite Marokkos zu stellen oder sich mit der Freiheitsbewegung für die Westsahara, der Polisario solidarisch erklären. Marokko kennt diesbezüglich kein Pardon und reagiert scharf gegen über Ländern die aktiv die Polisario unterstützen. Und Algerien reagiert umgekehrt.
Anderseits muss auch auf die nach wie vor katastrophale Lage in Libyen verwiesen werden, die die vor allem von England und Frankreich - allerdings auch von der Arabischen Liga - betriebene Intervention hinterließ. Auch Russland und einige arabische Staaten und die Türkei mischen jetzt mit und erhalten die chaotischen Zustände am Leben. Angesichts der Flüchtlingsbewegungen, die nach wie vor auch über Libyen laufen, bedeuten solche Verhältnisse nicht nur für die einheimische Bevölkerung, sondern auch für die Migrant*innen eine Katastrophe.
Die MENA-Region zeigt deutlich, dass es angesichts der Vielzahl von Konflikten und Krisen und der unterschiedlichsten Einflüsse auch von Mächten außerhalb der Region kein Patentrezept gibt, um Stabilität und die Wahrung der Menschenrechte zu fördern. Die Herausforderungen aus der Region zeigen aber auch auf, dass nur eine gemeinsame europäische Politik die Stärke besitzt, einige Ziele umzusetzen. Da gab es in der Vergangenheit seitens der EU und auf Betreiben einiger Mitgliedsländer immer wieder Versuche eine Art „Mittelmeerunion“ zu erreichten. Solche Versuche sind aber vor allem an den Differenzen innerhalb der südlichen Partnerländer gescheitert. Die EU sollte aber diese Idee nicht völlig aufgeben, sondern versuchen, in Schritten dieser Vision näher zu kommen.
Dr. Hannes Swoboda, President of the International Institute for Peace (IIP), started his career in urban politics in Vienna and was elected member of the European Parliament in 1996. He was Vice President of the Social Democrat Group until 2012 and then President until 2014. He was particularly engaged in foreign, enlargement, and neighborhood policies. Swoboda is also President of the Vienna Institute for International Economics, the Centre of Architecture, the University for Applied Science - Campus Vienna, and the Sir Peter Ustinov Institute.