Der europäische Rat für Außenpolitik (ECFR) hat jüngst Meinungsumfragen zum Krieg in der Ukraine veröffentlicht. Gefragt wurden Menschen in 9 EU-Ländern - vor allem im Westen inklusive Deutschland und im Süden. Aber diesmal wurden auch die Bevölkerung der USA sowie von China, Indien und der Türkei mit einbezogen. Hinsichtlich der EU-Länder sprach sich eine große Mehrheit für die Unterstützung der Ukraine aus. Mehr noch als am Beginn des Krieges will die Mehrheit einen Sieg der Ukraine und eine Wiederherstellung der territorialen Integrität des Landes. Das Ende des Krieges steht dabei nicht im Vordergrund. Noch ist kein Zurückweichen von dieser Linie zu bemerken. Selbstverständlich gibt es Bevölkerungsgruppen, die dies anders sehen, aber die Mehrheitsmeinung hat sich als stabil erwiesen, sie wurde sogar stärker zum Ausdruck gebracht.
Gespaltetes Votum in der UNO
Schon in der ersten Abstimmung in der UNO zum russischen Einmarsch in der Ukraine und in den darauffolgenden Voten wurde klar, dass nicht alle Regierungen dem westlichen Narrativ folgen. Aber es sind nicht nur die Regierungen, die diese Haltung zum Ausdruck bringen, sondern diese spiegelt die Mehrheitsmeinung der Bevölkerung in diesen Ländern wider. Sie wollen ein baldiges Ende des Krieges, unabhängig davon wie das Ende - vor allem für die Ukraine - aussieht. Die Menschen in diesen Ländern haben keine so negative Meinung über Russland wie die Menschen im Westen. Das gilt insbesondere für Indien.
Während im Westen die Unterstützung für die Ukraine mit der Verteidigung der Demokratie und der eigenen Sicherheit argumentiert wird, argumentieren die Menschen vor allem in Russland und China, dass es dem Westen vor allem um die Bewahrung der eigenen Vormacht geht. Interessant sind auch die Antworten auf die Frage welche Länder der „wahren Demokratie“ am nächsten kommen. 77 Prozent der befragten Chines*innen geben China an, in Indien sind 57 Prozent von der indischen Demokratie überzeugt und in der Türkei immerhin noch 36 Prozent. Nur in Russland sind bloß 20 Prozent der Bevölkerung überzeugt, dass in Russland die wahre Demokratie vorherrscht.
Westliche Beurteilungen sind umstritten
Diese Reaktionen und Antworten auf weitere Fragen stellen klar, dass es zurzeit eine klare Mehrheitsmeinung im Westen gibt, die die russische Aggression verurteilt, aber dass der „globale Süden“ die Dinge anders sieht. Aber das betrifft nicht nur den russischen Angriffskrieg sondern auch so grundsätzliche Einstellungen wie die zur Demokratie. Hinzu kommt, dass auch die nicht-westlichen globalen bzw. regionalen Mächte große Unterschiede in der Bevölkerungsmeinung aufweisen. Es gibt nicht den(!) globalen Süden.
Jedenfalls war und ist es falsch den „globalen Süden“ als eine Einheit zu betrachten und besonders ist es gefährlich anzunehmen, dass diese Länder die Meinungen und Haltungen des Westens teilen müssen. Sie tun es vielfach nicht, und zwar betrifft das nicht nur die Regierungen sondern oftmals auch die Mehrheit der Bevölkerung. Das sollte nicht zu einem Relativismus führen, wonach alle Systeme als gleichwertig zu behandeln sind. Der Westen sollte also nicht einfach die Unterstützung von Menschenrechten aufgeben. Aber er müsste sich zuerst fragen, wo er selbst die Rechte, die er - heute – vertritt, im Laufe der Jahrhunderte verletzt hat. Er sollte auch die heutigen Haltungen gegenüber autoritären Regimes kritisch überprüfen. Vor allem sollte er die globalen Konflikte nicht vereinfacht unter dem Titel Demokratie versus Diktaturen behandeln. Und was die Klimaschäden betrifft so ist eindeutig, dass der industrialisierte Westen einen weitaus höheren Fußabdruck - jedenfalls pro Einwohner - hat als die Länder des Südens. Sie sind es, die vornehmlich von den Schäden ergriffen sind.
Westliche Verbrechen und Fehler rächen sich
Die Welt lässt sich nicht einfach in Schwarz und Weiß einteilen. Es gibt viele Grauschattierungen. Mancher Grauschleier legt sich auch über westliche Länder. Diese Erfahrung machen wir auch innerhalb der Europäischen Union. Und auch die westliche Unterstützung für die Ukraine darf manche innenpolitischen Grauschattierungen in der Ukraine nicht übersehen. Von solcher differenzierten und selbstkritischen Haltung hängt auch die Glaubwürdigkeit ab, mit der wir unsere Überzeugungen vermitteln. Dabei geht es gar nicht so sehr darum, die anderen von unserer Haltung vollständig zu überzeugen. Aber wenn wir andere Mächte als Partner - zum Beispiel für eine einigermaßen gerechte Lösung im Ukraine Konflikt - haben wollen, so müssen wir deren Interessen und Haltungen zuerst einmal versuchen zu verstehen. Dem kann dann ein Dialog folgen, der zum erstrebten Ziel führen kann.
Viel ist in der Vergangenheit - bis in die jüngste hinauf - von westlichen Staaten an Menschen anderer Staaten verbrochen worden. Vom Kolonialismus und der Sklaverei bis zum Klimawandel waren und sind westlichen Staaten und Gesellschaften auf der Täterseite. Die Untaten westlicher Staaten rechtfertigen allerdings weder die russische Aggression gegenüber der Ukraine noch die neutrale Haltung mancher Staaten, wenn es um die Verurteilung dieser Aggression geht. Und schon gar nicht rechtfertigt es die Waffenlieferungen an den Aggressor.
Westliche Bescheidenheit gefragt
Aber es geht dabei nicht nur um Moral. Es geht auch um Interessen. Und viele Länder wollen keine unipolare Welt, die vom Westen beherrscht wird. Sie wollen oftmals nicht einmal eine von den USA und China gestaltete bipolare Welt. Vor allem Indien wünscht sich eine Welt, in der es in Russland einen gewichtigen Partner haben kann. Der Westen muss also viel differenzierter denken und handeln, wenn er selbst die anderen Mächte als Partner und jedenfalls nicht als Gegner haben möchte. Wenn er auch weiterhin globalen Einfluss haben möchte, muss der Westen viel bescheidener auftreten.
Eine solche überlegte, selbstbewusste, aber auch selbstkritische Haltung würde dann auch helfen, einige Länder des Südens auf die westliche Seite zu ziehen, indem sie die russische Aggression zumindest kritisch sehen. In der Folge könnten sie auch mitzuhelfen, dass die Ukraine diese Aggression abwehren und auf einen einigermaßen gerechten Frieden hoffen kann. Vor allem brauchen wir die Diplomatie aber auch UNO-Truppen aus diesen Ländern, damit sie mithelfen, die Nachkriegsordnung in Europa abzusichern. Wenn der Westen von den „südlichen“ Ländern erwartet, dass sie diesen europäischen Krieg als globales Problem anerkennen, so muss man ihnen auch eine Mitsprache bei der Lösung zugestehen.
Dr. Hannes Swoboda, President of the International Institute for Peace (IIP), started his career in urban politics in Vienna and was elected member of the European Parliament in 1996. He was Vice President of the Social Democrat Group until 2012 und then President until 2014. He was particularly engaged in foreign, enlargement, and neighborhood policies. Swoboda is also President of the Vienna Institute for International Economics, the Centre of Architecture, the University for Applied Science - Campus Vienna, and the Sir Peter Ustinov Institute.