Wenige Tage vor der nächsten Klimakonferenz COP27 in Sharm-El-Sheik erschien der diesjährige World Economic Outlook der Internationalen Energie Agentur. Fatih, Birol der Direktor der Agentur, macht schon in seinem Vorwort klar, dass mit dem Krieg Russlands gegen die Ukraine nicht nur eine geopolitische Wende eingeleitet wurde sondern auch die „erste wahrhaft globale Energiekrise“ losgetreten wurde.
Neue Fraktionen für Wirtschaft und Gesellschaft
Man muss sich ja nur vorstellen wie sich in den letzten Jahren die Europäische Union mit ihren Mitgliedsländern, aber auch viele andere Staaten, auf eine schrittweise Energiewende, weg von fossilen Energien, vorbereitet haben und plötzlich die Rahmenbedingungen geändert wurden. Gaslieferungen aus Russland wurden reduziert und die Preise für Öl und Gas aber auch für davon abhängige Produkte wie Dünge- und Lebensmittel sind rapid nach oben gegangen. Mehr als bei der letzten Energiekrise haben die Verknappung des Angebots aus Russland und die Preissteigerungen in der ganzen Wirtschaft durchgeschlagen. Aber vielleicht war auch die psychische Betroffenheit nach langen Jahren der Wohlstandssteigerung einerseits und nach der einigermaßen gut überwundenen Finanzkrise und der Corona Epidemie anderseits stärker als 1973.
Derzeit findet jedenfalls infolge der massiven Preiserhöhung ein finanziell nicht unbedeutender Vermögenstransfer von den Konsumenten von fossilen Energien zu den Produzenten statt. Aber solche Transfers belasten nicht alle Schichten gleichermaßen. Sicher ist - und darauf verweist der Energy Outlook 2022 dankenswerterweise mehrmals -, dass die Armut auf Grund der Energiekrise und deren Folge wieder deutlich zugenommen hat. Weniger Menschen haben durch die exorbitanten Preiserhöhungen Zugang zu modernen Formen der Energieversorgung. Das ist nicht nur ein soziales Problem, sondern auch eine Gefährdung der Stabilität in betroffenen Ländern und bringt neue Spannungen in das Verhältnis des reichen „Westen“ und des armen „Süden“.
Mit Recht fordert der Energy Outlook eine „faire und inklusive“ Energiewende. Das betrifft die schwächeren sozialen Schichten innerhalb der reichen Länder aber auch die Unterstützung für den ärmeren Teil der Welt insgesamt. Und da Europa sowohl hinsichtlich des Krieges als auch bezüglich der energiepolitischen Folgewirkungen der russischen Aggression im Mittelpunkt der derzeitigen Krise steht, ist die Europäische Union besonders gefordert.
Aber natürlich sollten sich auch jene Länder für eine Unterstützung der ärmeren Länder engagieren, die von der globalen Umverteilung infolge der Unterbrechung im Energiehandel Europas mit Russland profitieren, nämlich die USA und die energiereichen Länder des Nahen Osten. Wenn man bedenkt, dass gerade die Entwicklungs- und die sich in einem Industrialisierungsprozess befindlichen Länder besonders stark in ihren Anstrengungen zur Erreichung der Klimaziele nachhinken, wäre eine Unterstützung durch die Gewinner der Energiekrise besonders wichtig.
3 Szenarien der Energienachfrage
Der Energy Outlook 2022 präsentierte - wie schon die Jahre zuvor - 3 Szenarien wie sich die Energienachfrage und das entsprechende Angebot entwickeln könnten. Dabei verhehlen die AutorInnen des Berichts nicht ihre Präferenz für das Szenario, das zu null Emissionen im Jahre 2050 führt. Das am wenigsten anspruchsvolle Szenario geht von den derzeitigen politischen Vorhaben und Maßnahmen der einzelnen Regierungen aus. Schon etwas anspruchsvoller ist das Szenario, dass die angekündigten Versprechungen der einzelnen Regierungen ernst nimmt und zum Ausgangspunkt der Berechnungen hat.
Das Netto Null Szenario (Net Zero Scenario - NZS) verlangt einen raschen Ausstieg aus fossilen Energien und verstärkte Investitionen in nachhaltige, saubere Energien. Das jedenfalls zusätzlich zum Energiesparen und zu Maßnahmen zur Steigerung der Energieeffizienz. Eine solche Strategie ist schnell entworfen, aber ihre Umsetzung ist mit einer Reihe von Engpässen konfrontiert. Wie auch die gleichzeitig aus dem Bereich der UNO publizierten Berichte im Hinblick auf die COP27 feststellen, blieben die Investition in die grüne Energie deutlich hinter den Versprechungen und den energiepolitischen Notwendigkeiten zurück. Es braucht also mehr Investitionen in die nachhaltigen Energien und das in Zeiten einer Wirtschaftskrise und von finanziellen Aufstockungen der Militärausgaben. Mindestens doppelt, wenn nicht sogar dreifach so viel, müsste an Geld in die nachhaltige Energieerzeugung fließen, soll das Netto Null Emissions Ziel erreicht werden.
Engpässe müssen rasch überwunden werden
Ohne zusätzliche finanzielle Mittel ist das in Paris und danach beschlossene Klimaziel nicht zu erreichen. Darüber hinaus bleiben manche für die Energiewende wichtige Produktionen, so z.B. die von Wärmepumpen deutlich hinter dem Bedarf zurück und müssten erhöht werden. Entscheidend ist aber die Versorgung mit jenen Mineralien und seltenen Erden, die für die Elektrifizierung unseres Energiesystems - nach herkömmlichen Technologien - notwendig sind. Die massiv verstärkte Elektrifizierung der Industrie und der Mobilität ist eine tragende Säule der Energiewende. Und je mehr wir das Netto Null Szenario verwirklichen wollen, desto mehr müssen wir die fossilen Energien durch nachhaltig erzeugten Strom ersetzen.
2050 sollten 50% des Energieendverbrauchs durch klimaneutralen Strom gedeckt werden. Um Strom zu lagern und für den jeweiligen Verbrauch bereit zu halten, braucht es aber Batterien. Und derzeit sind es vor allem die Lithium-Ionen Batterien, die diese Aufgabe erfüllen. Aber diese Batterien brauchen viele Rohstoffe die nur schwer - und das mit hohen Kosten - zu gewinnen sind. Insbesondere dann, wenn die Gewinnung mit hohen ökologischen Standards erfolgen soll. Und wir sehen vor allem in Europa von Serbien bis Portugal, aber auch weltweit viele Proteste von Menschen, die nachhaltige Schäden an der Umwelt befürchten. Eine auf die gängigen Batterietechnologien basierende Elektrifizierung erfordert jedenfalls eine Unmenge von neuen Bergwerken in besonders sensiblen Gebieten mit all den erwähnten Risiken. (Siehe dazu die Debatte zu „Geopolitics and Climate change“ organisiert vom IIP und dem Club of Rome auf iipvienna.com )
Nun gibt es verschiedene Forschungen und Versuche, wie man ohne diese große Zahl an kostbaren Ressourcen Batterien erzeugen kann. Und Ähnliches gilt für die Erzeugung von grünem Wasserstoff. Aber wir sind noch lange nicht so weit, um schon in größerem Ausmaß auf diese Technologien setzen zu können. Aber die Forschungen in diese Richtung müssen fortgesetzt und intensiviert werden. Was wir aber jedenfalls brauchen sind verstärkte Anstrengungen des Recyclings im Rahmen einer Kreislaufwirtschaft, die bezüglich vieler Rohstoffe die Wiedergewinnung ermöglichen muss. Aber auch das alles erfordert zusätzliche finanzielle Mittel.
Entscheidend ist es aber auch, genügend Fachkräfte für die Umsetzung der Energiewende zu haben. Derzeit ist der Mangel an solchen Fachkräften - von Forschern bis zu den Elektrikern und zu den Installateuren - ein Engpass, den es bald zu überwinden gibt. Langfristig allerdings kann gerade das Netto Null Szenario einen deutlichen Beitrag zur Schaffung von Arbeitsplätzen schaffen.
Positive Trends müssen verstärkt werden
Zusammenfassend lässt sich sagen - und das sind die Schlussfolgerungen des Energy Outlooks aber auch der aktuellen UN Berichte - dass einige positive Schritte in den letzten Jahren gesetzt wurden. So sind die schädlichen Emissionen in den USA und der EU sowohl insgesamt als auch pro Kopf zurückgegangen. Und bezüglich des weltweit größten Emittenten, China gibt es zwar nach wie vor steigende Emissionen, insgesamt und pro Kopf zu verzeichnen, aber eine Verflachung des Anstiegs ist zu bemerken. Und hoffentlich ist dies nicht nur auf die durch COVID bedingte Verlangsamung des Wachstums zurückzuführen.
Anderseits braucht es jedenfalls verstärkte Investitionen in die nachhaltige Stromproduktion. Ohne Elektrifizierung auf nachhaltiger Basis kann unser Klimaziel nicht erreicht werden. Und eine Reihe von Engpässen sind zu überwinden, soll es mit der Elektrifizierung vorankommen. Und was immer vor allem in Europa kurzfristig gemacht werden muss, um die Bevölkerung mit ausreichend Energie zu versorgen, die Energiewende muss gleichzeitig mit Nachdruck verfolgt werden.
Am 19.12 veranstaltet der Club of Rome - Austrian Charter - gemeinsam mit einigen anderen Instituten eine Präsentation des Energy Outlooks in Wien mit Fatih Birol und nachfolgender Diskussion. Es ist auch eine digitale Teilnahme mit Anmeldung über den Club of Rome möglich.
Dr. Hannes Swoboda, President of the International Institute for Peace (IIP), started his career in urban politics in Vienna and was elected member of the European Parliament in 1996. He was Vice President of the Social Democrat Group until 2012 und then President until 2014. He was particularly engaged in foreign, enlargement, and neighborhood policies. Swoboda is also President of the Vienna Institute for International Economics, the Centre of Architecture, the University for Applied Science - Campus Vienna, and the Sir Peter Ustinov Institute.