Wieder einmal sind - weitere - Sanktionen der EU gegen Russland im Gespräch. Anlass ist die Vergiftung des bekanntesten, wenngleich umstrittenen Oppositionspolitiker Aleksej Nawalny. Allerdings kommt auch das russische Verhalten in Bezug auf die Krise in Weißrussland hinzu. Putin mag keine Demokratie zu Hause und keine in seiner Nachbarschaft. Und schon gar nicht mag er eine Orientierung dieser Länder am Westen, ob an der EU oder an der Nato. Und wie im Falle der Ukraine - aber auch in Bezug auf Georgien und Moldavien - sichtbar, ist er bereit, auch militärisch zu intervenieren und Gebiete zu annektieren, wenn seine Interessen nicht berücksichtigt werden.
Europa, USA und Russland
Wie sollte aber die EU auf eine solche Politik reagieren? Die Debatte wie man am besten der Politik von Präsident Putin begegnet, gibt es seit Putin die entscheidende politische Figur Russland ist - ob als Präsident oder Ministerpräsident. Im Allgemeinen sind Länder, die mit Russland bzw. der Sowjetunion im Laufe der Geschichte eine besonders schlechte Erfahrung gemacht haben, sehr kritisch gegen Putin und seine Politik eingestellt. Das sind vor allem die baltischen Staaten, Polen und Rumänien. In der Tschechischen Republik und der Slowakei schwankt die Stimmung und in Bulgarien ist sie eher positiv gegenüber Russland. In Ungarn wieder hat Ministerpräsident Orban ein gutes Verhältnis zu Putin. Aber überall gibt es Ausnahmen und Abweichungen von der Mehrheitshaltung. Und das betrifft auch die „westlichen“ Mitgliedsländer der EU.
Europa bildet also auch im Hinblick auf Russland ein sehr buntes Bild und es ist sehr schwierig zu einer einheitlichen Position zu kommen. Genau diese Differenzen werden immer wieder von den USA ausgenützt, um einen Keil in die EU zu treiben. Das war schon im Falle des Umsturzes in der Ukraine der Fall und wird jetzt im Zusammenhang mit der Pipeline Nord Stream 2 deutlich. Interessant dabei ist, dass gerade ein US Präsident, der Putin gegenüber sehr tolerant ist und auch im Wahlkampf Unterstützung von seiner Seite bekommen hat, den Bau dieser Gaspipeline mit Sanktionen belegt. Das hat verschiedene Gründe. Trump hat es besonders auf die EU und Deutschlands Rolle innerhalb der EU abgesehen. Und er möchte die Gasförderung in den USA und den Gasexport nach Europa unterstützen. Leider wird diese so offensichtlich aggressive Politik gegenüber der EU in diesem Fall auch von den Demokraten unterstützt.
Immer wieder gab und gibt es Versuche zwischen der EU und den USA gegenüber Russland eine gemeinsame Linie zu finden. Das sollte vor allem innerhalb der Nato gelingen, in der die Mehrheit der EU Staaten und die USA ein Verteidigungsbündnis eingegangen sind. Aber insbesondere seit Präsident Trump ist das immer schwieriger geworden. Und innerhalb der EU sind die Meinungsverschiedenheiten, wie man Russland gegenüber auftreten soll, nicht geringer geworden. Jedenfalls gibt es zwischen den USA und den Russland gegenüber generell kritisch eingestellten Ländern ein Zweckbündnis, das von Ländern wie Deutschland nicht einfach negiert werden kann. Deutschland und vor allem die deutsche Bundeskanzlerin bekam im Laufe der letzten Jahre die besondere Rolle zwischen den oft widerstreitenden Meinungen und Haltungen in der EU zu vermitteln. Im Falle der Gaspipeline Nord Stream 2 ist das besonders schwierig, da Deutschland einer der Hauptunterstützer dieser Verbindung zwischen Russland und der EU ist, sehr zum Unmut der russlandkritischen EU Mitglieder.
Gastransit von Russland nach Europa
Seit langem sind Russland (und früher die Sowjetunion) und die Staaten der EU über den Gasexporte aus Russland miteinander verbunden. Allerdings sind Drittstaaten dazwischen geschalten, vor allem die Ukraine und Weißrussland. Mit beiden Transitländern und Russland gab und gibt es immer wieder Streitigkeiten, nicht zuletzt über die Transitgebühren und auch über - illegale - Abzweigungen für den Eigengebrauch. Die Pipelines Nord Stream 1 und die vor der Fertigstellung befindliche Nord Stream 2 sollten die Zwischenschaltung von Transitländern unnötig machen. Das bekommt vor allem die Ukraine zu spüren. Auf Druck Deutschland, dem Hauptpartner der Nord Stream Pipelines kam es zu einem neuen Übereinkommen zwischen Russland und der Ukraine hinsichtlich des Gastransits in den nächsten Jahren.
Leider hat man die Situation nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion und noch vor dem Umsturz in der Ukraine nicht genützt, um eine dauerhafte Vereinbarung zwischen Russland, der Ukraine und der EU zu finden. Es gab Verhandlungen und einige Vereinbarungen aber keine radikalen Lösungen. Schon damals habe ich im EU Parlament vorgeschlagen, das für den Transit aus Russland in die EU bestehende und auszubauende Leitungsnetz ins gemeinsame Eigentum von Russland, der Ukraine und der EU bzw. der entsprechenden EU-Länder zu übertragen oder jedenfalls durch langfristige Verträge zwischen allen Partnern zu sichern. So hätte auch eine langfristig angelegte Sicherheit der Gasversorgung ein Element einer gesamteuropäischen Wirtschaftsstruktur darstellen können. Aber weder war ein großes wirtschaftliches Interesse daran vorhanden, noch wurden visionäre Vorstellungen über eine gesamteuropäische Friedensordnung entwickelt, um ein solches Projekt ernsthaft zu erörterten.
Unabhängig von den unmittelbaren Auswirkungen auf die Ukraine, waren die Nord Stream Projekte in der EU immer umstritten. Das Umgehen der Ukraine wurde in Russland gegenüber kritischen Ländern als Verrat an den demokratischen Kräften gesehen und als Unterwerfung unter Russlands Interessen. Viele südliche Länder, die nicht auf russisches Gas angewiesen sind, engagierten sich jedenfalls nicht für Nord Stream. So stehen im wesentlichen Deutschland und Österreich sowie die Firmen OMV, Wintershall, Uniper, Shell und Engie an der Verteidigungsfront ohne maßgebliche Unterstützung innerhalb der EU.
Wer braucht Nord Stream 2?
In den - vor allem deutschen - Medien wird eifrig diskutiert, ob Nord Stream 2 gebraucht wird und ob Russland im Falle eines Baustopps bzw. einer gänzlichen Absage leiden würde. Kurz zusammengefasst, kann man davon ausgehen, dass Nord Stream 2 die Sicherheit der Gasversorgung von Europa eindeutig erhöht. Trotz Dekarbonisierung des Energiesektors wird man noch auf einige Zeit auf Gas angewiesen sein. Aber insgesamt ist der globale Gasmarkt einer, wo relativ leicht Alternativen zu finden sind, nicht zuletzt der Import von Flüssiggas.
Außerdem funktionieren auch noch die Gasleitungen durch die Ukraine. Und das ist auch eine Antwort auf die Schadensfrage für Russland. Das bestehende Pipelinesystem könnte weiter benützt werden, auch wenn es nicht so effizient ist wie das Nord Stream 2 Netz es wäre. Zwar bekommt die Ukraine bei neuerlichen Transitverhandlungen mit Russland wieder eine stärkere Verhandlungsposition, aber insgesamt könnte Russland weiterhin Gas nach Europa exportieren. Ein Baustopp bzw. ein Verzicht auf Nord Stream 2 wäre also keine volkswirtschaftliche oder energiepolitischen Katastrophe, würde aber einen großen Schaden für die verschiedenen Investoren bzw. Schadensersatzansprüche entstehen lassen. Ist aber eine Kündigung von Nord Stream 2 bzw. solche Sanktionen generell sinnvoll?
Die Sinnhaftigkeit von Sanktionen
Sanktionen können, wenn sie massiv gestaltet, breit unterstützt und über längere Zeit verhängt werden, durchaus zu Verhaltensänderungen führen. Beispiele sind Süd Afrika und der Iran. Oftmals allerdings werden heute Sanktionen verhängt, um schärfere Maßnahmen, wie militärische, zu vermeiden. Das war auch im Falle des Ukraine Konflikts der Fall. In den USA aber auch in einigen EU Staaten gab es Kräfte, die zumindest eine Aufrüstung der Ukraine mit schweren Waffen forderten. Das hätte aber leicht zum Krieg zwischen der Ukraine und Russland führen können. Und deshalb haben vor allem Deutschland, Frankreich etc. den Sanktionen bei gleichzeitigen Verhandlungen zugestimmt. So war es auch möglich, dass die EU einheitlich auftreten konnte.
Was aber meiner Meinung nach gegen zusätzliche allgemeine Sanktionen gegen Russland spricht, ist die Gefahr einer immer stärkeren Abkoppelung der EU von Russland und umgekehrt. Die Trumpsche Politik des Decoupling gegenüber China ist genauso problematisch wie eine stärkere Abkoppelung der EU gegenüber Russland. Wir haben zu viele „gemeinsame“ Probleme und Herausforderungen, um eine weitere Abkoppelung und Entfremdung zwischen der EU und Russland zu befördern. Die EU sollte sicherlich eine stärkere gemeinsame Außenpolitik entwickeln und dazu gehört auch eine eigenständige Industriepolitik, inklusive eine stärkere Eigenversorgung mit seltenen Metallen, wie sie jüngst die EU Kommission vorgeschlagen hat. Aber eine solche Stärkung der EU muss nicht gleichbedeutend mit einer Abkoppelung vom Rest der Welt sein.
Statt ein fast schon vollendetes Projekt wie Nord Stream 2 zu beenden könnte man auch gegen einzelne Personen und deren Vermögen Sanktionen verhängen. Es sind also Reaktionen und damit auch Sanktionen möglich und sinnvoll, die nicht zur zusätzlichen wirtschaftlichen Isolierung führen. Was immer die EU an Maßnahmen setzt, werden sie ohnehin begrenzt wirksam sein. Von außen Entwicklungen in anderen Ländern zu beeinflussen oder gar zu steuern ist sehr schwierig, wenn nicht unmöglich. Allerdings ist auch zu verstehen, dass Schweigen und Untätigkeit im Falle von Vergiftungen politischer Gegner oder der Wahlfälschung und Verhaftung von friedlichen DemonstrantInnen - wie in Russland selbst oder in Weißrussland - für ein demokratisches Europa keine Alternative darstellt. Es wird eine schwierige, aber nicht unmögliche Aufgabe sein, einerseits deutliche Zeichen zu setzen und anderseits sinnvolle Verbindungen vor allem mit Russland nicht zu kappen. Auch ohne die Illusion, dass Putin kurzfristig zu einer anderen Politik bewegt werden kann, sollte das Gespräch mit ihm vor allem aber mit anderen Kräften in Russland nicht abbrechen.
English summary:
The poisoning of Alexej Navalny and Russia’s strong support for Lukashenko, the Belorussian dictator, has raised the issue of new sanctions against Russia. In this connection the disputed gas pipeline North Stream 2 became a subject of intensive discussions. From the beginning, this project was criticized in several Eastern EU member countries as a betrayal of the Ukrainian democratic revolution, as the pipeline would bypass Ukraine and reduce its income from transit fees. Especially the US with full support of President Trump is fighting against North Stream 2 and has decided to sanction firms engaged in finalizing this project. Unfortunately a common ownership of the transit network by Russia, Ukraine and the EU or its engaged member countries - as I proposed years ago in the EU Parliament - was never seriously considered. Now primarily Germany and the Chancellor Merkel is challenged to make a decision and to find a common position of the EU. As Germany was the main proponent of North Stream 2 - together with Austria - it is not easy to find a way out of the necessity to react and of not decoupling the EU more and more from Russia.
I fully understand that the EU wants to react to the new actions of Russia, which are violating fundamental rights, but I doubt, that an additional decoupling between the EU and Russia would be the best reaction. We need on the contrary more dialogue and also cooperation to deal with common issues and problems. Maybe some targeted sanctions against some persons and their wealth in European banks would be better for showing our dissatisfaction with Russia’s action against democratic principles. In reality all these sanctions will have a very limited effect and no basic change in Putin’s behavior can be expected. The change must come from within, but some signal for support for the democratic movements inside Russia by the EU is necessary. And it would also be in line with our democratic principles and values.
Picture: http://www.kremlin.ru/events/president/news/49674/photos
Dr. Hannes Swoboda, President of the International Institute for Peace (IP), started his career in urban politics in Vienna and was elected member of the European Parliament in 1996. He was Vice President of the Social Democrat Group until 2012 und then President until 2014. He was particularly engaged in foreign, enlargement, and neighborhood policies. Swoboda is also President of the Vienna Institute for International Economics, the Centre of Architecture, the University for Applied Science - Campus Vienna, and the Sir Peter Ustinov Institute.