Der letzte Wahlkampf in Israel war vor allem durch das Versprechen bzw. die Drohung durch Natanyahu , weitere Gebiete Palästinas zu annektieren gekennzeichnet. Das vorgesehene Datum des ersten Juli ist ohne konkrete Aktionen verstrichen. Aber die Annexion etlicher Siedlungsgebiete bleibt auf der Tagesordnung. Anstatt Friedenspläne zu entwickeln und vorzulegen, werden Annexionspläne gewälzt. Ein selbstständiges Palästina rückt in immer weitere Ferne.
Seit vielen Jahren habe ich mich immer wieder mit der Situation im Nahen Osten beschäftigt. Viele Besuche in Israel und im palästinensischen Gebiet – sowohl im Westjordanland als auch in Gaza haben mir direkte Eindrücke verschafft. Meine Aufenthalte in Tel Aviv, Jerusalem, Ramallah, Nablus, etc. bleiben mir immer in Erinnerung. Meine Gesprächspartner waren PolitikerInnen von Arafat über Shimon Peres bis zu den Außenministern beider Seiten und zu den israelischen und palästinensischen Parlamentariern. Manche von Ihnen waren klug und am Frieden interessiert. Andere wieder konnten oder wollten keine Phantasie entwickeln, die zum Frieden führen könnte. Aber auch zahlreiche VertreterInnen der Zivilgesellschaft waren unter meinen GesprächspartnerInnen. Die verschiedenen Besuche in unterschiedlichen Regionen von Israel und Palästinas waren für mich unersetzlich, um auch im EU Parlament entsprechende Entscheidungen zu treffen. Dabei ging es nicht nur um politische Resolutionen sondern auch um finanzielle Leistungen aus dem EU Budget für die Palästinenser und um die Handelsbeziehungen und wirtschaftliche Kooperationen mit Israel. Die israelische Regierung, die eine sehr intensive und effiziente Lobby Tätigkeit in Brüssel entwickelte, kritisierte immer wieder die finanziellen Zuschüsse an die Palästinensische Behörde. Anderseits war sie froh, weil sie sich als Besatzungsmacht de facto von den notwendigen Unterstützungsmaßnahmen befreit sah.
Trotz der Krisen und Kriege und der Ausgangslosigkeit eine Lösung zu finden, bewahre ich nach wie vor eine Faszination für diese Region. Vor allem wenn ich an die vielen palästinensischen Kinder und Jugendlichen denke, die in den besetzten Gebieten oder auch in den Flüchtlingslagern in Jordanien oder im Libanon kaum eine gesicherte Zukunft haben. Israel verweigert sie ihnen, aber oft versagt auch die palästinensische Führung, die mehr an sich und weniger an die Zukunft der Jugend denkt. Man kann auch nicht auf die Solidaritätsbekundigungen aus den arabischen Nachbarstaaten bauen. Sie haben eigene Interessen. Und der Iran heizt die Konflikte an, ohne allerdings an einer Lösung für die Palästinenser zu arbeiten – daran sind sie nicht interessiert. Auch ihnen geht es um Machtausdehnung und nicht um einen Friedenschluss zwischen Palästinensern und - jüdischen – Israelis. Die aggressive Haltung des Iran dient der israelischen Regierung nur dazu, die Welt von der Richtigkeit ihrer harten Haltung zu überzeugen. Schon Bruno Kreisky hat Arafat davor gewarnt, auf die Iraner zu setzen .- mit dem Argument, dass ein Land das die eigenen Kurden drangsaliert kein Freund des kleinen palästinensischen Volkes sein kann.
Kreisky’s Vision
Wahrscheinlich war es Bruno Kreisky, der mir ursprünglich die Faszination des Nahen Osten vermittelt hat. Der ehemalige österreichische Bundeskanzler war ja in Vielem eine Ausnahmeerscheinung. Gerade auch was sein unermüdliches Eintreten für ein friedliches Zusammenleben von Juden und Arabern, vor allem von Israel und Palästina betrifft. Als Jude, der allerdings den Zionismus ablehnte, hatte er besondere Vorrausetzungen für eine solche Einstellung und die entsprechenden Friedensbemühungen. Aber auch die Tatsache, dass er Emigrant war und jahrelang im Exil leben musste, hat ihn ebenfalls angetrieben, sich sowohl für die Existenz Israels einzusetzen als auch für einen eigenen palästinensischen Staat. Seine Vision eines zukünftigen Nahen Ostens definierte er einmal folgendermaßen: „Meine Zukunftsvision für diese Gebiet ist, um es deutlich zu sagen, dass zwei Völker, zwei Staaten nebeneinander existieren und zur Erkenntnis kommen, dass sie einander dringend brauchen. Zwei Völker, die beide über ein ungeheures intellektuelles Potential verfügen – die Palästinenser sind nämlich die entwickelsten unter den Arabern – und die beide zum Glück kein Öl haben und daher gezwungen sind, all ihre menschlichen Ressourcen maximal auszunützen. Durch so einer Föderation kann eine Region des Fortschritts und der kulturellen Entwicklung entstehen.“ (Inzwischen hat allerdings Israel Energieressourcen im Meer entdeckt und hat einen weiteren Vorteil für sich erzielen können.)
Bruno Kreisky verfolgte und propagierte also ein Konzept der Selbständigkeit von zwei Staaten, die aber eng miteinander kooperieren. Er wusste allerdings, dass vor allem in Israel manche Leute von einem Großisrael träumen, die allerdings „vergessen, dass noch kein einziger Staat mit Protektoraten standgehalten hat.......Nur wer von einer faschistischen Mentalität hoffnungslos befallen ist, kann dies nicht so sehen. Man kann doch nicht glauben, dass es eine israelische Demokratie geben kann, wenn die Araber Staatsbürger zweiter Klasse sind und gelichzeitig in einem Polizeistaat leben.“ In der Tat, die israelische Behauptung, sie seien die einzige Demokratie im Nahen Osten führen sie selbst ad absurdum, wenn man die Lage und Rechte der Palästinenser in Israel oder in den von Israel besetzten Gebieten betrachtet. Unabhängig davon gibt es leider in dieser Region kein Land mit einer ernst zu nehmenden Demokratie. Auch die jüngsten Demonstrationen im Libanon zeugen von der deutlichen Schwäche des dortigen politischen Systems auf. Die palästinensischen Flüchtlinge im Libanon können ebenfalls ein Lied davon singen. Aber das rechtfertigt keineswegs die massive Diskriminierung der Palästinenser durch israelische Behörden und vor allem durch das Militär – im Auftrag der Regierung.
Israel ein Kolonialstaat?
Die israelischen Regierungen verfolgen schon seit Jahren - viele würden sagen von Anbeginn an – eine andere Strategie. Ihnen geht es nicht um Kooperation sondern um Beherrschung. Vor allem der wiedergewählte Premierminister Netanyahu verfolgt die Ausdehnung des israelischen Hoheitsgebietes. Der auch von mir immer wieder erhobene Vorwurf, da handelt es sich um Kolonialismus, wird besonders in letzter Zeit immer wieder bestätigt. Der deutsche Historiker Wolfgang Reinhard hat angesichts der neu aufgeflammten Debatte um Kolonialismus und Antisemitismus in Deutschland (siehe meine diesbezüglichen Beiträge auf dieser Website) in einem Interview in der FAZ festgestellt: „Die Staatsgründung Israels verbindet, typologisch gesprochen, den Typus der Siedlerkolonie und den Typus der Beherrschungskolonie. Das eine ergibt sich aus dem anderen, da selbst die israelischen Araber nicht voll gleichberechtigt sind.....Für Menschen in der Westbank und Gaza gilt das sowieso. Also, wenn es Kolonialismus gibt – die Begriffe sind ein bisschen dubios -, dann würde ich sagen, das ist Kolonialismus. Ein Ausbeutungssystem, ein Herrschaftssystem, ein Diskriminierungssystem, - was wollen sie mehr?“ Nun, ich ziehe daraus nicht den Schluss, dass Israel von der Landkarte verschwinden sollte. Nein, das wäre absurd und verbrecherisch. Nicht die Existenz des Staates Israel geht auf Kolonialismus zurück, sie ist ja eine Konsequenz einer UN Entscheidung von 1947. Es geht vielmehr um die Politik, die dieser Staat in den letzten Jahren betreibt und die er stattdessen betreiben sollte. Israel sollte also – so auch Bruno Kreisky – eine Politik entwickeln und praktizieren, die die Existenz Israels absichert, ohne sich bloß auf eine starke Armee und das gewaltvolle Niedrighalten der Palästinenser verlässt. Das aber ist das Konzept von Netanyahu und er findet starke Unterstützung durch Trump und die rechtsgerichteten Evangelikalen in den USA, eine wichtige Wählergruppe für Donald Trump.
Die von beiden vertretene Politik der weiteren Annexion liegt also auf der Linie der Kolonialpolitik, die vor allem die rechten Regierungen schon seit längerem durch immer wieder neue Siedlungsgebiete und die Vergrößerung der bestehenden Siedlungen vertreten haben. Und die politische Linke in Israel, soweit es sie noch gibt, hat da nie eine eindeutige Position bezogen. Die Proteste der EU konnten von Israel negiert werden, da die USA jegliche ernst zu meinende Kritik und vor allem Maßnahmen gegen die israelische Regierung, im Sicherheitsrat blockierten. Und zuletzt haben die Rechten in Europa, vor allem der ungarische Regierungschef Orban und Österreichs Bundeskanzler Kurz eine kritische Haltung gegen einer immer wahrscheinlicher werdende Annexion in Teilen des Westjordanlandes verhindert. Orban und Kurz sind ja besondere Freuende des autoritären israelischen Regierungschefs. Diese rechtsgerichtete Koalition von Trump und Netanjahu unterstützt von Kurz und Orban ist schon ein besonderes Phänomen. De facto hatte die israelische Rechte vor allem unter Sharon und Netanjahu eine freie Hand ihre Kolonialpolitik zu betreiben und das wurde in letzter Zeit durch diese Politiker noch verstärkt.
Trump’s Aufforderung zur Annexion
Zuletzt hat der USA „Friedensplan“ eigenmächtig Israel sogar zur Annexion aufgefordert. Ich weiß nicht ob es innerhalb diese Plans Hinterlist oder Naivität ist – oder beides , daß die Annexionsaufforderung an Israel mit einem aus einzelnen Teilgebieten bestehenden und in „Aussicht“ gestellten palästinensischen Staat verbunden wird. Jedenfalls enthält der US Plan keinerlei realistische Angebote für die Palästinenser. Und inzwischen ist selbst von einem rudimentären palästinensischen Staat keine Rede mehr. In einem Kommentar in der jüngsten Ausgabe des US Magazins „Harper“ kennzeichnet Kevin Baker den Plan mit Hinblick auf die Palästinenser folgendermaßen: „Give up all your hope and your holiest places, embark on a terrible civil war with your brothers, hand over all your weapons, and we’ll give you $50 billion of other people’s money, and a whole lot of desert! Plus a tunnel.“ Das ist eine zynische aber korrekte Zusammenfassung des US Plans soweit es die Palästinenser betrifft. Allerdings liegt der Zynismus nicht so sehr bei Kevin Baker sondern vor allem bei denen, die diesen einseitigen Plan entworfen und vorgestellt haben – übrigens nur mit den Spitzenvertretern aus Israel. Es gibt kaum eine herablassendere und überheblichere Art auf die Bedürfnisse einer unterdrückten Bevölkerungsgruppe zu reagieren bzw. sie zu missachten. Aber diese missachtende Art Menschen zu behandeln hat – auch – in den USA Tradition. Denken wir an die Kolonialisierung der USA durch die weißen Europäer- einschließlich der Vernichtung und Vertreibung der bestehenden Einwohnergruppen, die Behandlung der Schwarzen, die verschieden Vorfälle während des Vietnam Krieges, im besetzten Irak und in Afghanistan, zuletzt die Behandlung der Kurden in Syrien. Eine solche Vorgansweise findet man natürlich nicht nur bei den USA. Aber die oftmals von offiziellen US VertreterInnen zur Schau gestellte moralische Überlegenheit entspricht nicht der realen Handlungsweise. Zur Ehrenrettung von Trump muss man allerdings anmerken, dass bei ihm von Moral nicht viel die Rede ist. Er spricht mehr von Macht, Wiederwahl und Geld, das sind die Kategorien in denen er denkt.
Was bleibt von der Zwei Staaten Lösung?
Als es zur Gründung Israels kam war seitens der UNO ein zweiter – palästinensischer Staat mit vorgesehen. Aber schon die Engländer als Kolonialmacht in Palästina hatten keine Ideen und keinen Willen zu einer Lösung des Konflikts zwischen Juden und Arabern beizutragen. Sie haben es sich mit beiden Seiten verscherzt, haben ihre Versprechen, die sie den Arabern in dieser Region gegeben haben, gebrochen und sind abgezogen. Die USA haben unterschiedlich stark die „Zwei Staaten“ Maxime vertreten, aber nichts gegen die gegenteilige Politik Israels unternommen. Sie haben einen immer wieder zugunsten von Israel geänderten status quo akzeptiert. Und sowohl Israel als auch großteils die Palästinenser haben dem Wort der USA mehr Gewicht gegeben als den relativ schwachen Worten der EU. Die EU war sich auch immer dem Vorwurf seitens Israel ausgesetzt, dass die kritische Haltung viel mit dem nach wie vor vorhandenen Antisemitismus zu tun habe.
Selbstverständlich kann man auch die palästinensische Führung für ihre mangelnde Flexibilität kritisieren. Vor allem hat sie immer wieder Hoffnungen geweckt – nicht zuletzt hinsichtlich einer Rückkehr der Flüchtlinge - die nie zu erfüllen waren. Die Phase des organsierten Terrorismus hat ebenfalls viele Palästinenser glauben lassen, dadurch könnte man Israel zum Nachgeben zwingen. Aber das war eine völlige Verkennung der Realität. Gerade auch bei meinem bzw. unserem letzten Besuch ( siehe Bericht darüber auf dieser Website ) erlebte ich die Enttäuschung vieler Jugendlicher über die bürokratische und ideenlose Politik der eigenen politischen Elite. Und nicht alles konnte und kann auf die israelische Intransigenz zurück geführt werden.
Jegliche neue Annexion bedeutet jedenfalls eine neuerliche Machtverschiebung zugunsten Israels., auch wenn die israelische Zeitung Haaretz kürzlich einen Beitrag mit dem Titel versah: „For Palestinians, from Hebron to Nabus, annexation is already here.“.Die Vision eines eigenständigen, wenn auch demilitarisierten palästinensischen Staates wird damit in noch weiterer Ferne gerückt. Das wäre vielleicht nicht so schlimm, würde ein gemeinsamer Staat oder eine kooperative Föderation eine ernsthafte Alternative sein. Ein gemeinsamer israelisch - palästinensischer Staat oder eine Föderation zweier selbstständiger aber eng zusammen arbeitender Staaten könnte theoretische eine Zukunftslösung darstellen. Damit haben wir uns vor einiger Zeit auch in einer Arbeitsgruppe im Bruno Kreisky Forum beschäftigt. In der Publikation: „Rethinking the Politics of Israel/Palestine“ habe ich dazu gemeint: „ One such solution could be a two-state federation with some common institutions: from elements of security , water supply, and especially , a joint Human Rights Court that guarantees basic rights to all citizens. A joint court comprising judges from Israel and Palestine and, initially external third party resources could slowly help to indiscriminately implement basic rights for all as well as strengthen the civil society on both sides.“ Aber leider steht eine solche Lösung, wie immer sie auch rechtlich ausgeformt sein würde nicht auf der Tagesordnung. Wahrscheinlich hätte sie auf beiden Seiten derzeit keine Chance auf Unterstützung und Realisierung. Aber die israelische Politik will geradezu das Gegenteil, die Ausdehnung der Siedlungstätigkeit und die Annexion fremder Gebiete. Was auf der Tagesordnung bleibt ist also die Kolonialisierung der Palästinenser innerhalb Israels und in den besetzten Gebieten.
Palästina 2030
In diesen Tagen hat die „Palestine Strategy Group“, eine Gruppe die für ihren Bericht von der EU und vom Norwegischen Außenministerium finanziell unterstützt wurde, drei mögliche Reaktionen auf zusätzliche Annexionen durch Israel definiert. Der Bericht mit dem Titel Palestine 2030 geht von einem immer kleiner werdenden Gebiet für Palästina infolge der kontinuierlichen israelischen Annexionen aus. Er sieht folgende Strategien für eine Reaktion auf Israels Vorgehen vor: erstens, eine Aufgabe jeglicher Zusammenarbeit mit Israel und einen Rückzug vom Osloer Abkommen, zweitens, eine Stärkung der palästinensischen Aktivitäten und Institutionen mit dem Ziel das Selbstbestimmungsrecht umzusetzen und drittens, die Entkolonialisierung und einen gemeinsamen Staat anzustreben. Alle drei Varianten haben keine große Aussicht auf Erfolg solange es keine – wenigstens partielle – internationale Unterstützung gibt. Aber derzeit gibt es nicht nur keine Unterstützung für das Selbstbestimmungsrecht, sondern auch keine Forderung für eine Gleichbehandlung der Palästinenser in Israel und die Anerkennung der wesentlichen Grund- und Freiheitsrechte in den besetzten Gebieten.
Auch 2030 wird es noch Palästinenser geben. Sie werden genauso wenig verschwunden sein, wie Israel. Ob sie aber einen eigenen Staat haben werden, mit Juden in einem geneinsamen Staat leben werden oder aber nach wie vor als kolonialisiertes Volk leben werden? Niemand kann es heute sagen. Die Strategie eines Netanjahu ist klar und er hat jedenfalls tatkräftige Unterstützung. Die Strategie der Palästinenser ist weniger klar und sie bekommen kaum internationale Unterstützung. Es gibt auch keine PolitikerInnen wie Bruno Kreisky, Willy Brandt und Olaf Palme. Gerad noch die Norweger – in Erinnerung an das Abkommen von Oslo – versuchen noch die Arbeit am Frieden im Nahen Osten auch konkret zu unterstützen. Und die EU, soweit es Kurz und Orban etc. zulassen.
Dr. Hannes Swoboda, President of the International Institute for Peace (IP), started his career in urban politics in Vienna and was elected member of the European Parliament in 1996. He was Vice President of the Social Democrat Group until 2012 und then President until 2014. He was particularly engaged in foreign, enlargement, and neighborhood policies. Swoboda is also President of the Vienna Institute for International Economics, the Centre of Architecture, the University for Applied Science - Campus Vienna, and the Sir Peter Ustinov Institute.