EU und die deutsche Ratspräsidentschaft

Normalerweise bedeuten und bringen die EU Ratspräsidentschaften keine besonders aufregenden Ereignisse und Ergebnisse. Sie ändern kaum den Lauf der Dinge. Dennoch ist ein deutscher EU Vorsitz, noch dazu mit Merkel als „Chefin“ ( das letzte Mal ?) etwas besonderes. Besonders sind aber vor allem die Herausforderungen, denen sich heute die EU und damit der aktuelle Ratsvorsitz stellen muß. 

Hier sollen vier aussenpolitische Herausforderungen angesprochen werden, zu denen gerade auch Deutschland viel zu „sagen“ hat.

1) Kann Russland in eine gesamteuropäische Friedenspolitik eingebunden werden oder zumindest von weiteren Provokationen abgehalten  werden? 

2) Wie kann die EU den verschiedenen Konfliktherden im Mittelmeerraum begegnen und zum Abbau von Konflikten beitragen 

3) Wie kann die EU sich angesichts des wachsenden Konfliktpotentials zwischen den USA and China positionieren bzw. eine eigene China Strategie entwickeln. 

4) Wie soll sich die EU auf ein Amerika einstellen, dass im November Trump bestätigt oder mit Biden einen „alten“ Bekannten ins Weiße Haus wählt. 

Ringen um die finanzielle Basis der EU

Zuerst allerdings musste die EU die Inneren Konflikte bereinigen. Viel ist davon gesprochen worden, dass die EU angesichts der Pandemie versagt hat. Wenn man aber die Auseinandersetzungen innerhalb einzelner Mitgliedsstaaten bzw. in außereuropäischer Staaten betrachtet, so ist das anfängliche Chaos in den EU Reaktionen nicht verwunderlich. Da sollte man die Kirche im Dorf lassen. 

Intensiver und bedeutender war der jüngste Streit um die finanzielle Ausgestaltung des mittelfristigen Budgetrahmens und um die Finanzierung des Corona Rettungspakets. Bedauerlich war nicht der Streit um die Höhe des Pakets und um das Verhältnis von Krediten und verlorenen Zuschüssen, sondern, dass man sich nicht über die Projekte unterhalten hat, die Europa aus der Krise führen könnten  und die beschlossenen Ziele der EU umsetzen sollten. Das Feilschen der Regierungs- und Staatschefs darum, möglichst wenig zu zahlen bzw. möglichst  viel zu bekommen hat alles überdeckt - auch in der medialen Berichterstattung. Niemand von ihnen hat Vorschläge unterbreitet, wie das Geld sinnvoll verwendet werden könnte. Dagegen hat zum Beispiel das WIIW aus Wien, gemeinsam mit einem deutschen und französischen Institut entsprechende Vorschläge ausgearbeitet, die wert wären bei den zukünftigen Beratungen Berücksichtigung zu finden - nachzulesen auf wiiw.ac.at  

Viele Kommentatoren waren ob der Einwände der vier bzw. fünf Sparsamen gegen die deutsch französischen Ideen überrascht. Man darf allerdings nicht davon ausgehen, dass ein deutsch- französischer Vorschlag alle Diskussionen hinfällig macht. Dass sich kleine Staaten rühren und auch geneinsam auftreten, ist vielleicht neu, sollte aber nicht überraschen. Die EU braucht eine deutsch- französische Zusammenarbeit aber diese ist nicht ausreichend für einen Konsens, Europa ist vielfältiger und mehrstimmiger. Das schafft gerade in der Außenpolitik Probleme ist aber nicht vermeidbar bzw. erfordert besondere Anstrengungen. Denn zum Unterschied zu finanziellen Kompromissen, könnten diese zu nebulösen und nichtssagenden Stellungnahmen führen. 

Die EU und Russland 

Hier ist nicht der Platz ausführlich auf das komplizierte Verhältnis zwischen  der Europäischen Union und Russland einzugehen. Was auch immer versäumt wurde, um Russland nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion in ein gemeinsames Europa zu integrieren, das heutige Russland hat kein Interesse an einer solch gemeinsamen europäischen Struktur. Präsident Putin hat seine eigenen Vorstellungen von einem starkem Russland  und ist bereit, völkerrechtliche Machtbegrenzungen zu missachten bzw. zu verletzen. Die Interessen der EU an friedlichen Konfliktlösungen sind allerdings zu groß, als dass man den Dialog mit Russland unterbrechen sollte. Und die Bereitschaft mit Waffengewalt den russischen Aktionen entgegenzutreten zu treten ist - glücklicher Weise -  zu gering, um Verhandlungen unnötig zu machen.  

Ein besondere Problem stellt dabei die transeuropäische Pipeline  Northstream 2 dar, die russisches Gas unter Umgehung der Ukraine nach Deutschland und dann in andere europäische Länder bringen soll. Das freut besonders die Russland gegenüber grundsätzlich kritisch eingestellten EU Mitgliedsstaaten nicht. Und es stört den amerikanischen Präsidenten, der sich als Vertreter der US amerikanischen Gasproduzenten sieht. Inzwischen  hat Trump sogar Firmen die an der Umsetzung des Projekt beteiligt sind mit Sanktionen belegt. Für Deutschland ist dies besonders peinlich, so wie auch die angekündigte Verlegung von US Truppen von Deutschland nach Polen. Wie aus den verschiedenen Tweets von Trump und zuletzt auch aus dem Buch von John Bolten über seine Zeit als US Sicherheitsberater zu entnehmen  ist , ist Deutschland und vor allem auch Bundeskanzlerin Merkel Präsident Trump ein besonderer Dorn im Auge. 

Trotz alledem, trauen die meisten EU Regierungen Deutschland einen ausreichenden Mix aus Härte und Gesprächsfähigkeit gegenüber Präsident Putin zu, um zumindest weitere territoriale Aggressionen zu verhindern. Allerdings sollte man sich keine innereuropäische Entspannung und keinen russischen Kurswechsel erwarten. Auch die Hackeraktivitäten aus Russland werden nicht ausbleiben. Dafür ist Putin zu sehr mit seinem früheren Beruf verbunden.

Die EU und der weitere Mittelmeerraum

Ein Gebiet wo sich Russland eine neue, gestärkte Position verschaffen hat, ist sicher der Mittelmeerraum von Syrien bis zu Libyen. Frieden in Syrien und in Libyen kann ohne Russland nicht hergestellt  werden. Nicht dass Russland unbedingt am Frieden interessiert ist, jedenfalls stehen die eigenen sicherheitspolitischen Interessen im Vordergrund. Für die Europäische Union geht es vor allem um eine Stabilisierung der Region, um dem „ islamischen“ Extremismus Einhalt zu gebieten und neue Flüchtlingsströme zu vermeiden. 

Angesichts des russischen und iranischen Engagements auf der Seite von Assad und des türkischen Engagements im Norden Syriens ist keine unmittelbare Beruhigung in Syrien zu erwarten. Die Kündigung des Nuklearabkommens mit dem Iran durch die USA hat die Gesprächsbasis auch zwischen der EU und dem Iran erschwert. Für die USA, Israel, Saudi Arabien und andere arabische Staaten ist der Iran der Hauptfeind. Und die Führung im Iran scheint sich in dieser Rolle zu gefallen. Jedenfalls ist auch von deren Seite keine Kompromissbereitschaft zu erkennen. 

Das jüngste Militärabkommen zwischen dem Iran und Syrien bestätigt den Eindruck, dass der Iran von seiner expansionistischen Politik in der Region nicht abrücken möchte und macht es für die EU schwer für die Beibehaltung des Nuklear Abkommens einzutreten. Allerdings kann auch Russland, dass sich für die Sicherheit Israels verantwortlich fühlt, nicht über eine noch verstärkte militärischen Zusammenarbeit zwischen dem Iran und Syrien glücklich sein. Das sollte auch ein Gegenstand intensiver Beratungen zwischen der EU und Russland sein. Denn bei aller berechtigten und richtigen Kritik an Israels Palästina Politik braucht Europa keine Eskalation in den Beziehungen zwischen Syrien und Israel. 

Mit Sorge erfüllt auch die Verantwortlichen in der EU die prekäre Situation im Libanon. Jegliche Instabilität in einem Land des Nahen Ostens gibt nur extremistischen Kräften Auftrieb. Ebenso ist geben die inneren Konflikte in Libyen Anlass zur Beunruhigung. Trotz der letzen Libyen Konferenz in Berlin ist es nicht zu einem Waffenstillstand gekommen. Die zwiespältige Haltung Frankreichs, das die internationalen anerkannte Regierung nicht eindeutige unterstützt, hilft auch nicht der EU zu einer wirksamen Politik zu kommen. Die Türkei unterstütz zwar die Regierung gegen den Störenfried General Haftar der von Russland sowie Ägypten, den Vereinigten Emiraten etc. unterstützt wird. Aber die Türkei verfolgt auch andere  problematische Interessen im östlichen Mittelmeer. Und inzwischen hat das ägyptische Parlament - nicht demokratisch gewählt - grünes Licht für einen Einmarsch der Armee in Libyen gegeben, sodass es zu einer Konfrontation zwischen türkischen und ägyptischen Soldaten kommen könnte. 

Wie gesagt, der Türkei geht es vor allem um einen starken Einfluss im östlichen Mittelmeer. Dabei scheint die Teilung Zyperns heute nicht nur gefestigter zu sein als je zuvor, dieser Teil des Mittelmeers ist hinsichtlich  der darunter  bzw. darin gelagerter Energieressourcen umstritten und birgt ein hohes Konfliktpotential. Und da kommt dann die Allianz zwischen der Türkei und der libyschen Regierung ins Spiel. Das macht trotz der Abkehr der Türkei von europäischen, rechtsstaatlichen Prinzipien den Dialog mit der Türkei wichtig. Auch hier weist Deutschland, trotz mancher Beleidigungen  von Erdogan speziell für Frau Merkel, die notwendige Mischung von klaren Standpunkten und Gesprächsfähigkeit auf. Aber man sollte es auch deutlich zum Ausdruck bringen: Präsident Erdogan hat Schritt für Schritt den Weg in Richtung Mitgliedschaft der EU verlassen. Was bleibt ist eine selbstbewusste, autoritär regierte Türkei, die die EU zur Lösung mancher Fragen in ihrer Nachbarschaft braucht. 

Die EU und China

China wurde für die USA und nach anfänglichen Zögern für Präsident Trump, immer mehr der Buhmann schlechthin. Dabei geht es um wirtschaftliche Konkurrenz  aber auch um geopolitischen Wettbewerb. In einem haben jedenfalls die - konservativen - China Gegner recht: China hat sich mit steigendem Wohlstand und erhöhter Akzeptanz in internationalen Organisationen wie der WTO nicht als verstärkt kooperativ gezeigt. Ob dafür der fast allmächtig erscheinende Staats- und Parteichef Ji Jinping verantwortlich ist, oder die wirtschaftliche Stärke oder beides sei dahin gestellt. Chinas Politik gegenüber Hong Kong oder seinen Nachbarn im süd-chinesischen Meer oder auch die Cyber Attacken und die Entwicklung eines digitalen Überwachungsstaates zeugen von einem sehr selbstbewussten und manchmal aggressiven Auftreten. 

Dennoch scheint auch in diesem Fall ein reiner Konfrontationskurs gefährlich und nicht zielführend. Selbstverständlich hat auch China das Recht,  seiner Bevölkerungsanzahl und seinem wirtschaftlichen Gewicht einsprechend, eine globale Rolle einzunehmen. Aber das gilt natürlich auch für Europa, es müsste nur diese Rolle ausfüllen und sich auf eine entsprechende Strategie einigen. Und vor allem die kleineren Mitgliedsstaaten, deren PolitikerInnen sich durch die Anerkennung durch Ji Jinping geehrt fühlen,  sollten erkennen, dass sie leicht zum Spielball des ungleich größeren China werden. Entscheidend ist auch, dass wirtschaftliche Vorteile nicht auch durch kritiklose Akzeptanz der autoritären Strukturen Verhaltenseisen erkauft werden. 

Der konservative,  aber immer lesenswerte Politologe Niall Ferguson hat kürzlich in der NZZ davor gewarnt eine naive Politik gegenüber China zu praktizieren. Eine Politik der “Rivalität und Partnerschaft“ ist zum Scheitern verurteilt. Die Vertreter dieser Position übersehen “die Möglichkeit, dass die Chinesen kein Interesse daran haben, freundschaftliche Feinde zu sein. Sie wissen genau, dass dies ein kalter Krieg ist, weil sie ihn begonnen haben“. Nun, wie auch immer dieser neue Kalte Krieg geführt und ein heißer Krieg vermieden werde kann, die EU sollte jedenfalls eine Strategie entwickeln, die europäische Interesse wahrt und China zu mehr globaler Verantwortung drängt. Das chinesische Mantra, dass China den Multilateralismus hoch hält genügt nicht. Auch das Bekenntnis zu den Pariser Klimazielen ist nicht immer glaubwürdig, wenn man sieht wieviel Kohlekraftwerke durch China im Land selbst und außerhalb gebaut werden.

Zu einer gemeinsamen Strategie gegenüber China gehört jedenfalls auch eine klare wirtschaftliche Haltung. Es darf keinen einseitigen Technologietransfer geben, es müsste die volle Reziprozität herrschen, insbesondere bei öffentlichen Ausschreibungen und Sicherheitsaspekte müssen voll berücksichtigt werden. Auch hier kann Deutschland, das ob seiner Exporte nach China klare wirtschaftliche Interessen hat, in eine schwierigen Lage kommen. Allerdings hat Deutschland selbst schon einige Gesetzebestimmungen erlassen, die den Ausverkauf von Technologien verhindern können und es ist auch interessiert manche wichtige Produktionen nach Europa zurückzuholen.

Die EU und die USA

Die letzten Jahre waren durch einen erratischen Kurs der USA gekennzeichnet. Der ehemalige Sicherheitsberater von Präsident Trump, John Bolton, hat in seinem „White House Memoir“ mit dem Titel „The Room where it Happened“ sehr im Detail beschrieben, wie oft Trump seine Meinung geändert hat und wie immer wieder sein persönliches, wirtschaftliches Interesse im Vordergrund stand. Eine Meinung allerdings hatte er durchgängig zum Ausdruck gebracht: seine Missachtung gegenüber der Europäischen Union und im speziellem gegenüber der deutschen Bundeskanzlerin Im Besonderen. Immer wieder meinte er: „The EU is worse than China, only smaller“. Es ist schwierig auf eine solche Einstellung eine adäquate Antwort zu finden. Jetzt kommt hinzu, dass der Ausgang der Präsidentschaftswahlen im November ungewiss ist und wie Trump im Falle einer Wahlniederlage in der restlichen Amtszeit agieren würde. 

Dennoch ist klar, dass viele Seiten der gegenwärtigen politischen Haltung - soweit man bei Trump von einer Haltung sprechen kann - grundsätzlich der amerikanischen Position entspricht. Schon Obama sprach von einer Hinwendung zu Asien (pivot to Asia) und Joe Biden unterscheidet nichts in seiner China kritischen Position von Trump, allerdings würde er mehr Allianzen mit Europa suchen. 

Hinsichtlich Iran ist nicht mit einer bedingungslosen Rückkehr zum Nuklear Abkommen zu rechnen. Das iranische Raketenprogramm und die aktive Einflussnahme in den Nachbarländern würde auch unter Biden Gegenstand der Auseinandersetzungen mit dem Iran bleiben. Europa sollte sich auf solche Verhandlungen vorbereiten, im Falle Iran ist zu solchen Gesprächen bereit. Die EU sollte jedenfalls Iran dazu zu überzeugen versuchen. Bezüglich Israel wäre die enge und bedingungslose Brüderschaft mit Netanyahu zu Ende, aber die grundsätzliche Unterstützung der israelischen Politik wird sicherlich fortgesetzt werden. 

Auch Biden würde Druck auf die europäischen Nato Partner ausüben, ihre finanziellen Beiträge bzw. Militärausgaben zu erhöhen. Aber er würde das nicht in dieser feindselige Art tun wie Trump. Bezüglich Russland sind keine neuen Initiativen zu erwarten, das bleibt Europa überlassen. Und das betrifft auch die Ukraine. Auf dem Gebiet der Klimapolitik ist allerdings auf eine Kehrtwende zu hoffen und das könnte das Verhältnis zu Europa wesentlich verbessern 

Insgesamt ist es bedauerlich, dass die EU die ihr gegenüber feindlich gesinnte Haltung von Trump nicht genutzt hat, um eine stärkere eigenständige Strategie zu entwickeln. Nun jede gegen die USA gewandte Strategie wäre zu schnellem Scheitern verurteilt. In der heutigen geopolitischen Lage müssen die EU und die USA in vielen Bereichen kooperieren. Aber die EU müsste mehr eigne Gedanken einbringen und auch in dieser Kooperation durchsetzen.

Sehen Sie unsere bevorstehende Veranstaltung zur deutschen Ratspräsidentschaft hier.


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Dr. Hannes Swoboda, President of the International Institute for Peace (IP), started his career in urban politics in Vienna and was elected member of the European Parliament in 1996. He was Vice President of the Social Democrat Group until 2012 und then President until 2014. He was particularly engaged in foreign, enlargement, and neighborhood policies. Swoboda is also President of the Vienna Institute for International Economics, the Centre of Architecture, the University for Applied Science - Campus Vienna, and the Sir Peter Ustinov Institute.