Die ehemalige britische Premierministerin Theresa May meinte einmal in ihrer Rede vor dem Parteitag der Konservativen, dass diejenigen, die sich als Weltbürger fühlen, nirgendwo zu Hause sind („If you believe you’re a citizen of the world, you’re a citizen of nowhere“). Das ist besonders grotesk, wenn das aus dem Munde der Regierungschefin eines Landes kommt, das ein Weltreich aufgebaut hat. Dieses Land hat seine Kaufleute und seine Soldaten in die Welt geschickt, um Kolonien zu gründen, hat Sklavenhandel organisiert und ist jüngst aus der EU ausgetreten, um besser global agieren zu können. Allerdings war die Anwesenheit von -europäischen- ArbeitnehmerInnen, die eine Zeit lang dringend gebraucht wurden, ein Anlass für den Brexit. Wie sich diese Selbstisolierung auswirken wird, werden wir ja erst sehen. Ich gehe davon aus, dass viele enttäuscht sein werden, wenn sie merken, dass die Welt nicht an den Landesgrenzen aufhört.
Die stärkste Erinnerung an die globalen Zusammenhänge erfolgte jüngst im Zusammenhang mit der Verbreitung des Corona Virus. Solche Viren und zum Teil Bakterien haben sich immer global verbreitet, aber die heutige Geschwindigkeit ist doch unvergleichlich höher als in früheren Zeiten. Es ist angesichts der erfolgten wirtschaftlichen Verflechtung eine Illusion, eine generelle Deglobalisierung für möglich oder wünschenswert zu halten. Sicher ist es sinnvoll, einige Puffer einzubauen, die Versorgungsprobleme mit kritischen Produkten im Falle von Verkehrsunterbrechungen verhindern. Korrekturen der Globalisierung sind sowohl im Interesse der eigenen Versorgungssicherheit als auch zum Abbau von Ungerechtigkeiten sinnvoll und notwendig. Aber wir werden in einer Welt mit globalen wirtschaftlichen Zusammenhängen leben und wir sollten unsere Kinder und Jugendlichen darauf vorbereiten. Dabei ist zu bedenken, dass diese Zusammenhänge auch oft ungerechte Verhältnisse widerspiegeln – und genau diese gilt es zu korrigieren. Die Kolonialisierung ist nicht etwa bloß eine Angelegenheit der Vergangenheit. Auch das muss Gegenstand einer Ausbildung von heute und fürs Morgen sein. Nur so können die Menschen auf die notwendigen Veränderungen vorbereitet werden.
Natürlich geht es nicht nur um die wirtschaftliche Globalisierung, sondern auch um die globalen Umwelt- und Klimaverhältnisse. Wir wissen, dass es gegenüber den Auswirkungen der Klimaveränderungen keinen Schutz und keine Grenzen gibt. Wir müssen alle an einer wirksamen Klimapolitik arbeiten, wollen wir überall Verbesserungen unserer natürlichen Lebensgrundlagen erreichen. Eine solche Verbesserung unserer Umwelt bedarf also aktiver BürgerInnen, die ihre lokale Situation genauso erkennen, wie auch die globalen Zusammenhänge, die sich lokal auswirken. Die Klima- und Umweltkatastrophen stellen eine entscheidende Herausforderung an eine Bildung dar, die man als „Global Citizenship Education“ bezeichnen kann.
Wie oben erwähnt geht es nicht nur darum zu vermitteln wie die Welt heute funktioniert, sondern auch darum, wie sie zu ändern ist. Im Bericht der Österreichischen UNESCO Kommission zu diesem Thema meinen die AutorInnen, dass Global Citizenship Education immer von einer an Menschenrechten orientierten Werthaltung ausgehen muss. Es geht dabei auch um Ideen für eine Demokratie im Weltmaßstab, um eine kritische Reflexion der Rolle von Europa in Vergangenheit und Gegenwart und im Besonderen um einen offenen Blick auf Migrationsgesellschaften. Dabei ist immer auch eine Verbindung zwischen dem Globalen und Lokalen herzustellen. Die von Theresa May – und vielen anderen - angeführte Alternative, entweder verschwimmt und verschwindet man im Universellen, Globalen oder man ist im Lokalen verankert, lehnt eine Global Citizenship Education ab. Was sie ablehnt ist ein Verharren im Konzept des Nationalstaats: „Es wird der Anspruch formuliert, dass bestimmte Rechte und das Mensch-Sein an sich stärker verbinden als eine Nation“. Das ist natürlich Nationalisten ein Gräuel.
Einer der AutorInnen der UNESCO Studie, Werner Wintersteiner, meint an anderer Stelle: „Bildung zur Demokratie kann nur gelingen....wenn sie über das nationale Paradigma hinausgedacht wird. Das bedeutet keineswegs, dass die nationalstaatlich verfasste Demokratie – die einzige, die wir bislang haben – zu missachten oder als obsolet zu betrachten wäre. Es geht vielmehr darum, das Lokale wie das Nationale („und ich würde hinzufügen das Europäische“) im Paradigma des dekolonialen Kosmopolitismus wahrzunehmen.“ Es geht also sowohl um Demokratie als auch um die Thematisierung von Kolonialismus und Neokolonialismus. (Siehe dazu auch meine jüngsten Blog-Beiträge: A Mini Ice Age for Africa und Das Virus, Klimawandel und soziale Ungleichheit)
Man muss allerdings auch festhalten, dass es bei einer umfassenden Friedenserziehung nicht um eine Ideologisierung und um Gehirnwäsche geht. Wie Nida-Rümelin und Klaus Zierer jüngst in einem Kommentar in der NZZ festgestellt haben: „Bildung meint nicht das was man aus meinem Leben gemacht hat, sondern das, was ich(!) aus meinem Leben mache......Das alte – humanistische – Bildungsideal der Urteilskraft ist daher zentrales Ziel von Bildung und somit auch von digitaler Bildung.“ Bei der Erziehung zum Frieden geht es immer auch um Stärkung des Ichs in Verbindung mit der Aufklärung von kolonialen und neokolonialen Zusammenhängen. Demokratie ob auf lokaler, nationaler, europäischer oder globaler Ebene ist ohne Stärkung der Urteilskraft nicht möglich. Das gilt vor allem auch im digitalen Zeitalter. Um nochmals Nida-Rümelin und Zierer zu zitieren: „Im Mittelpunkt hat der Mensch zu stehen, seine Urteilskraft, seine Entscheidungsstärke und sein Tatendrang. Auch digitale Bildung muss darauf gerichtet sein, die Bedingungen dafür zu schaffen, dass der Mensch der Autor seines Lebens ist.“ Nur ein solcher Mensch wird fähig und bereit sein, sich gegen autoritäre Systeme und Führerfiguren zu wehren. Und nur ein solcher Mensch kann die Vorrausetzungen für Frieden schaffen.
P.S. Am 18.6. – von 10 bis 18 Uhr - veranstaltet das Peter Ustinov Institut eine – digitale – Veranstaltung zum Thema „Global Citizenship Education“. Näheres auf ustinov.at
Dr. Hannes Swoboda, President of the International Institute for Peace (IP), started his career in urban politics in Vienna and was elected member of the European Parliament in 1996. He was Vice President of the Social Democrat Group until 2012 und then President until 2014. He was particularly engaged in foreign, enlargement, and neighborhood policies. Swoboda is also President of the Vienna Institute for International Economics, the Centre of Architecture, the University for Applied Science - Campus Vienna, and the Sir Peter Ustinov Institute.