Israel, Europa und der Antisemitismus 🎬

Israel bekam vor kurzem eine neu Regierung. Aber es bleibt der alte Regierungschef und die alte Politik der Okkupation und Annexion von fremdem Territorium. Ja, die Politik der kolonialen Unterdrückung der Palästinenser durch Netanyahu und Likud hat sogar einen neuen internationalen Mentor -die USA mit Präsident Trump -  und einen neuen Koalitionspartner bekommen. Trump wollte und will sich als Dealmaker beweisen, allerdings hat er den Deal nur mit Israel abgeschlossen und nicht mit den Palästinensern. Und Gantz, der neue Koalitionspartner, der nie mit Netanyahu koalieren wollte, bekundete die Absicht,  das Land von der Pandemie zu retten, hatte aber wie die israelische Zeitung Haaretz kürzlich meinte, nur Netanyahu das politische Leben gerettet. 

Netanyahu und Gantz haben knapp vor der Angelobung  noch den Segen des unsäglichen US Außenministers Mike Pompeo bekommen. Er ist - so Haaretz - wie ein Vertreter der Weltgemeinschaft, also der UNO aufgetreten und hat nochmals klar gemacht, dass die Annexion weiterer palästinensischer Gebiete in Ordnung geht. Was den Unterschied zur Annexion der Krim durch Russland ausmacht hat er allerdings nicht erklärt. 

Diesen Unterschied zu erklären wird sicher  manchem rechtsgerichteten Politiker in Europa schwerfallen, aber einige sind ohnedies auf der Seite von Putin., und damit auf der Seite derjenigen, die sich fremdes Territorium einverleiben. Jedenfalls haben sie besonders gute Beziehungen zu Netanyahu. Sie können sich so über die antisemitischen Tendenzen in ihren Parteien und Bewegungen hinwegschwindeln. Außerdem zieht heutzutage die Islamophobie in vielen Ländern ohnedies mehr als der Antisemitismus. 

Im Übrigen haben gerade Netanyahu und viele seiner Freunde es geschafft, jegliche Kritik an Israel mit der Keule des Antisemitismus zu erschlagen. Leider  sind auch viele PolitikerInnen außerhalb der extremen Rechten - auch in Österreich- in diese Falle geraten. Manche glauben, man könne die ungeheure Schuld die viele unserer Vorfahren auf sich geladen haben, durch  Akzeptanz und Toleranz gegenüber den Verletzungen der Menschenrechte und der Kolonialsierunspolitik in Israel wettmachen. Aber die Verbrechen, insbesondere des Holocaust, können niemals ausgelöscht werden, vor allem nicht durchs Wegschauen von Diskriminierung und Verfolgung in Palästina.

Die israelische Soziologin und Schriftstellerin Eva Illouz hat jüngst in „Der Zeit“ gemeint: „Die israelische Regierung hat gespürt, dass Protest ihre Politik der Annexion bedrohte, und statt ihre Politik inhaltlich zu verteidigen, hat sie eine Kampagne gestartet, um die Welt davon zu überzeugen, dass die Opposition gegen die Besatzung antisemitisch sei.“ Eva Illouz hat sogar mit anderen jüdischen Intellektuellen den Rücktritt von Felix Klein gefordert, der als Antisemitismus Beauftragter der deutschen Regierung besonders oft Kritik an Israel mit Antisemitismus verwechselt. 

Nun ist es besonders in Deutschland und Österreich wichtig gegenüber dem Antisemitismus hellhörig und wachsam zu sein. Aber erstens sollte diese Wachsamkeit gegenüber allen Arten des Rassismus und der Phobie  geübt werden. Und zweitens sollte man keiner Doppelmoral anhängen und die Realität leugnen: „Viele Palästinenser werden von der israelischen Armee eingekerkert, getötet und gefoltert.“( Eva Illouz). Anstatt sich in den Kampf gegen die Boykottbewegung BDS - die ich persönlich nicht unterstütze - zu verzetteln, hätte man sich lieber für den Schutz und die Lebensberechtigung aller(!) Menschen im Nahen Osten einsetzen sollen. 

So ist die Kritik an Israel nicht als Reinwaschung von Menschenrechstverletzungen auf Seiten der Palästinenser zu verstehen. Selbst die Methoden und Maßnahmen des israelischen Militärs rechtfertigen nicht die undemokratischen Verhältnisse und die Verfolgung von Dissidenten auf palästinensischer Seite. Aber die Palästinenser sollten endlich die Möglichkeit bekommen, einen normalen Staat aufzubauen und nicht noch mehr gezwungen werden in kleinen von Israel kontrollierten Restgebieten („Bantustans) zu leben. Aber genau das ist, was die neue Regierung mit Trumps Segen vorhat. 

Es ist zu befürchten, dass weder Europa noch die  arabischen Nachbarn eine Strategie entwickeln werden, die fähig ist, Israel zum Umdenken und zu seriösen Verhandlungen zu bewegen. Das könnte nur durch die Androhung von Sanktionen einerseits und durch einen vernünftigen Verhandlungsvorschlag anderseits erfolgen. Das wiederum kann nur geschehen, wenn die EU und arabische Staaten sich auf solche Vorschläge einigen. Und es wäre von Vorteil wenn sich Russland so einer Strategie anschließen würde. Aber die jüngsten Beratungen der EU Außenminister haben die Uneinigkeit innerhalb der EU aufgezeigt. Und nicht verwunderlich war das Verhalten von Deutschland und vor allem von Österreich von jener Doppelmoral, vor der Eva Illouz und andere israelische Intellektuelle warnen, gekennzeichnet. 

Sogar der US Plan sieht ja nicht nur die Annexion, sondern auch einen palästinensischen Mini Staat vor. Netanyahu spricht allerdings von einem „state- minus.“ Und das ist wenigsten ehrlich. Es ist kaum vorstellbar, dass Netanyahu die wenigen für Palästina  positiven Elemente des Trump Plans ernsthaft in Erwägung zieht. Nur ein gemeinsames Vorgehen aller Staaten - außer den USA - könnte die israelische Politik noch vom Kurs der weiteren Kolonialisierung und Annexion abbringen. Aber das gehört wahrscheinlich ins Reich der Träume. Dennoch sollte vor allem Europa einen klaren Standpunkt einnehmen: Annexion bleibt Annexion, von wem immer sie unternommen wird.


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Dr. Hannes Swoboda, President of the International Institute for Peace (IP), started his career in urban politics in Vienna and was elected member of the European Parliament in 1996. He was Vice President of the Social Democrat Group until 2012 und then President until 2014. He was particularly engaged in foreign, enlargement, and neighborhood policies. Swoboda is also President of the Vienna Institute for International Economics, the Centre of Architecture, the University for Applied Science - Campus Vienna, and the Sir Peter Ustinov Institute.