Seit längerem wird in politischen und wissenschaftlichen Kreisen diskutiert, ob der Phase der Globalisierung eine Periode der De-Globalisierung folgen könnte. Bereits in den letzten Jahren ist es zumindest zu einem geringeren Wachstums des Handels gekommen. Für manche ExpertInnen war dies ein Anzeichen, dass die Globalisierung nicht weiter fortschreiten wird. Tatsächlich wurde das in der Bevölkerung westlicher Staaten durchaus positiv aufgenommen. Insbesondere der massive Widerstand gegen internationale Handelsabkommen weisen darauf hin - sowohl innerhalb der EU als auch in den USA.
Das Auftreten und die rasche Verbreitung des Corona Virus hat nun dieser Debatte neue Nahrung gegeben. Was nun den Virus und dessen Verbreitung betrifft, so muss man vorsichtig sein, dies mit der Globalisierung in Zusammenhang zu bringen. Pandemien hat es schon in früheren Zeiten gegeben, nicht zuletzt die Spanische Grippe. Dennoch fördert jede Form des internationalen Warenaustauschs und des Reisens natürlich die rasche Ausbreitung von Krankheitserregern.
Globalisierung der Pharmaindustrie
Was aber problematisch werden kann ist die Konzentration bestimmter Warenproduktionen in einem oder einigen wenigen Ländern. Diese Form der extremen Arbeitsteilung kann zu starken wirtschaftlichen Problemen führen, wenn Lieferungen von Vorprodukten ausfallen. Schlimmer ist aber die Lieferunterbrechung bei lebensnotwendigen Produkten wie Arzneimitteln. Die Konzentration der Medikamentenerzeugung in Ländern wie China und Indien ist profitabel aber gesellschaftlich unverantwortlich. So ist es bereits vor dem Auftreten des Corona Virus bei einigen Medikamenten zu Lieferproblemen gekommen.
Hinzu kommt für Europa, dass einige Pharmafirmen ihre Produkte lieber in Länder liefern, die höhere Renditen ermöglichen als die - vor allem europäischen - Länder, die Druck auf die Arzneimittelpreise ausüben. Zu beklagen ist auch die Konzentration der Forschung und Entwicklung auf Krankheiten und Medikamente, die höhere Gewinnmargen versprechen. Hier müssen die EU, aber auch die Mitgliedsstaaten und deren Sozialversicherungen, Wege finden die Versorgungssicherheit zu gewährleisten. Das Beispiel der Medikamentenversorgung zeigt, dass die kapitalistische „Lenkung“ und die globalisierte Arbeitsteilung keineswegs immer automatisch zum Wohle der Gesamtbevölkerung beiträgt.
Es wird nicht leicht sein die Pharmakonzerne zu einem Umdenken zu bewegen. Wir wissen ja, um die Macht der Konzerne - insbesondere in den USA. Wann immer ich in der Vergangenheit Senator Bernie Sanders in Washington traf, beschwerte er sich über deren Einfluss - auch auf die Demokraten. Sie verhinderten maßgeblich, dass die Obama-Reform des Gesundheitswesens effektiver und effizienter ausfiel. Aber auch in Europa ist der Einfluss der Konzerne nicht zu unterschätzen. Es ist die gemeinsame Anstrengung Europas und die Mobilisierung der Öffentlichkeit notwendig, um auch in Krisenzeiten die Versorgung der Bevölkerung mit Arzneimitteln sicherzustellen.
Bei dieser Gelegenheit muss auch erwähnt werden, dass von den USA bei allen Verhandlungen mit der EU über Handelsabkommen Druck in Richtung zunehmender Privatisierung der Gesundheitsdienste ausgeübt wurde. Auch Großbritannien wurde nach dem Brexit seitens Präsident Trumps ein Handelsabkommen unter der Bedingung angeboten, dass die amerikanischen Unternehmungen Zugang zum Gesundheitswesen bekommen. Aber gerade die jetzige Krise zeigt, wie wichtig ein öffentliches, nationales Gesundheitswesen ist. Nicht alles darf dem profitorientierten, globalen Wettbewerb unterworfen werden.
Boom für Videokonferenzen?
Die Reise und Kontaktbeschränkungen die in Folge der Verbreitung des Corona Virus verhängt worden sind, könnten aber auch langfristig zu vermehrten Videokonferenzen oder anderen Kommunikationsmöglichkeiten, führen. Das hätte für Konferenzstädte wie Wien große wirtschaftliche Nachteile. Vom Umweltstandpunkt sieht das allerdings anders aus. Wahrscheinlich wird sich das auf eine mittlere Position einpendeln. Nicht alle persönlichen Kontakte und Gespräche im Rahmen von bspw. Konferenzen sind durch die digitalen Instrumente ersetzbar. Dennoch könnte es zu vermehrten Einsätzen solcher Instrumente kommen. Das International Institute for Peace (IIP) hat bereits in der jüngeren Vergangenheit einige sehr erfolgreiche Videogespräche geführt und damit gute Erfahrungen gemacht.
De-Globalisierung, Nationalismus und Klimapolitik
Grundsätzlich ist es ein Amalgam von Entwicklungen und politischen Entscheidungen, die an der Globalisierung kratzen. Einerseits ein gesteigerter Nationalismus, wie ihn vor allem Donald Trump mit seinem „America first“ vertritt. Er fordert eine „Americanization“ statt der „Globalization“. Ein wichtiger zusätzlicher Faktor in der Globalisierung betrifft die Aktuelle Diskussion in Bezug auf die Folgen des Klimawandels und die Bedeutung nachhaltiger Produktionsweisen.
Zuletzt konnten die Auswirkungen der Maßnahmen gegen die Verbreitung des Corona-Virus auf das Klima bzw. die Luftqualität in betroffenen Gebieten beobachtet werden. Für manche sind aber auch die drastischen Maßnahmen zur Einschränkung der persönlichen Freiheit willkommener Anlass und eine Vorbereitung auf Einschränkungen für den Klimaschutz oder auch für den Schutz der Nation von „fremden“ Einflüssen. Da müssen alle Demokraten gut auf die Bewahrung und den Schutz der Demokratie aufpassen.
So wie die Globalisierung Sonnen- und Schattenseiten hatte und hat, gilt das auch für die De-Globalisierung. Es gilt vor allem auch die sozialen und verteidigungspolitischen Auswirkungen nicht außer Acht zu lassen. Denn auch die De-Globalisierung hat Kosten, die vor allem wieder die Ärmeren treffen würden - durch Verlagerung von Produktionen und Arbeitsplätzen und höhere Preise für die KonsumentInnen. Oftmals ist Politik im Zuge der Globalisierung ihrer Verantwortung nicht gerecht geworden. Das sollte im Prozess einer - wenn auch begrenzten – De-Globalisierung nicht nochmal passieren.
Noch wissen wir nicht wie sich das Corona-Virus langfristig auf unsere Gesellschaften und vor allem auf die Offenheit unserer Gesellschaften aber auch im Allgemeinen auf die Globalisierung auswirken wird. Prof. Harold James von Princeton meinte dazu kürzlich: “As the Dutch historian Johan Huizinga showed, the period following the Black Death in Europe turned out to be the „waning“ of the Middle Ages.“ For him, the real story was not just the economic aftereffects of a pandemic, but the mysticism, irrationalism, and xenophobia that eventually brought an end to a universalistic culture. Likewise, it is entirely possible that COVID - 19 will precipitate the „waning of globalization.“
Es bleibt zu hoffen, dass jeglicher Prozess der De-Globalisierung nicht mit verstärktem Mystizismus, Irrationalismus und einem weiteren Anwachsen von Fremdenfeindlichkeit verbunden ist.
Dr. Hannes Swoboda, President of the International Institute for Peace (IP), started his career in urban politics in Vienna and was elected member of the European Parliament in 1996. He was Vice President of the Social Democrat Group until 2012 und then President until 2014. He was particularly engaged in foreign, enlargement, and neighborhood policies. Swoboda is also President of the Vienna Institute for International Economics, the Centre of Architecture, the University for Applied Science - Campus Vienna, and the Sir Peter Ustinov Institute.