STARTSCHUSS FÜR DEN ARABISCHEN FRÜHLING

Am 17. 12 2010 steckte sich in der tunesischen Stadt Sidi Bouzid der Gemüsehändler Mohamed Buazizi in Brand. Das war vor allem ein Protest gegen die ständigen Schikanen der Sicherheitskräfte gegen kleine Händler wie er einer war. Mohamed Bouazizi starb Anfang Jänner 2011 an den Folgen seiner Verbrennungen. Aber seine Tat hatte da schon begonnen massive Proteste gegen die sklerotischen und autoritären Systeme und Staatsführer in den arabischen Länder hervorzurufen. Ein arabisches Land nach dem anderen wurde davon in Mitleidenschaft gezogen und nicht nur der tunesische Staatschef Zine El Abidine Ben Ali sondern auch der Ägyptische Präsident Hosni Mubarak und der langjährige jemenitische Staatschef Ali Abdullah Saleh mussten zurücktreten. Für sie alle galt in besonderem Maße der bekannt gewordene Ausspruch von Michael Gorbatschow: „Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben.“

Die Tat von Mohamed Bouazizi war der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte bzw. der Funke, der das Feuer in den meisten arabischen Ländern entfachte. Wahrscheinlich war es ein Zufall, dass die Arabische Revolte gerade in Tunesien begann. Tunesien wurde bereits 1956 unabhängig und wurde lang als Muster für eine gelungene Entkolonialisierung und für eine demokratische Entwicklung angesehen. Der Kämpfer für die Unabhängigkeit und erste Präsident Habib Bougiba setze liberale Strukturen durch, wurde aber zunehmend autokratisch und konnte die aufkommenden islamistischen Kräfte nicht mehr kontrollieren. 1987 wurde er von seinem Ministerpräsidenten Ben Ali gestürzt und ersetzt. Ben Ali unterstützte die für eine islamisches Land liberalen Gesellschaftsstrukturen aber baute gleichzeitig einen mächtigen Sicherheitsapparat auf. Unter dem Vorwand des Kampfes gegen die islamistische Gefahr wurde ein Überwachungsstaat errichtet, der vor allem dazu diente, seine persönliche Macht abzusichern.

Im Europäischen Parlament gab es immer wieder Kritik an diesen Entwicklungen und an den systematischen Verletzungen der Menschenrechte. Oftmals kamen Abgeordnete aus dem tunesischen Parlament nach Brüssel bzw. Straßburg, um ihre Argumente für die Situation in Tunesien vorzubringen. Man müsse mit Tunesien Geduld haben, die Bevölkerung sei noch nicht reif für eine ausgebildete Demokratie nach westlichem Muster. Man habe schon viel getan, auch was die Emanzipation der Frauen betrifft. Und im Übrigen bewege sich die demokratische Entwicklung in die richtige Entwicklung. Es stimmte auch, was die Frauenrechte betraf, so war Tunesien weiter als andere arabische Länder, aber die Schrauben des Sicherheitsapparates wurden immer enger angezogen. So war es nicht verwunderlich, dass die tragisch verursachten Funken von Sidi Bouzid eine Revolution entfachte.

Tunesien und seine Bevölkerung erlebte keine leichte Zeit nach dem Sturz von Ben Ali. Auch die islamischen Kräfte vor allem der Partei Ennahda versuchten aus den Protesten und dem Chaos Profit zu schlagen. Es war ein großes Glück, dass diese Partei einen Vorsitzenden hatte, der zu politischen Kompromissen bereit war und demokratische Grundregeln anerkannte. Rached al-Ghannouchi verbrachte mehrere Jahre im Gefängnis und lebte ab 1989 im britischen Exil. Das führt auch dazu, dass er als zweite Sprache neben Arabisch Englisch sprach und nicht französisch, was mich bei meinem Besuch bei ihm überraschte. In all seinen Argumentationen - auch in unserem Gespräch - schien er aus den Erfahrungen im Nachbarland Algerien ( siehe meinen Blog dazu ) und dann auch in Ägypten gelernt zu haben. Im Großen und Ganzen, hat sich mein damaliger Eindruck auch durch sein nachträgliches Verhalten bestätigt. Das war für ihn auch nicht immer leicht, hatte er doch einem Druck zu radikalerem, islamistischen Verhalten aus seiner Partei standzuhalten.

Immer wieder gab es in den letzten Jahren für Tunesien die Notwendigkeit einen Ausgleich zwischen islamistisch geformten und beeinflussten Gesellschaftsauffassungen und liberalen, z. B. auf Gleichberechtigung ausgerichteten Auffassungen zu finden. Die demokratischen Wahlen geben der islamischen Partei Ennahda eine starke Stellung, zum Teil sind sie bei freien und demokratischen Wahlen die stärkste Partei geworden. Man kann sich gerade in Europa nur wünschen, dass das Experiment einer Einbindung einer islamischen Partei in einen demokratischen „Verfassungsbogen“ gelingt. Eine Demokratie mit einer Vielfalt von Parteien, sowie unabhängigen gesellschaftlichen Organisationen von Gewerkschaften bis zu solchen der Zivilgesellschaft können das erreichen. Vor allem dann, wenn den sozialen Anliegen auch entsprechende Aufmerksamkeit gewidmet wird.

Eine solche demokratische Entwicklung wird nicht ganz verhindern, dass auch aus Tunesien Terroristen kommen, die ihre Untaten in anderen Ländern zum Beispiel in Europa begehen. Das kleine Tunesien kann die Gewaltbereitschaft mancher Islamisten nicht aus der Welt schaffen. Aber es ist wichtig islamische Kräfte zu haben, die den Beweis führen können, dass man durch die Akzeptanz demokratischer Spielregel mehr erreicht als durch Terror. Dabei muss aber Europa auch durch wirtschaftliche Zusammenarbeit helfen. Angesichts der eigenen Wirtschaftskrise ist das nicht leicht aber es liegt im ureigensten europäischen Interesse. Immerhin ist Tunesien bisher das einzige Land das es vermeiden hat aus einem demokratischen, arabischen Frühling in einer autoritären Winter überzugehen. Besonders schlimm ist die Situation in Ägypten, aber dazu in einem Blog im Jänner.


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Dr. Hannes Swoboda, President of the International Institute for Peace (IP), started his career in urban politics in Vienna and was elected member of the European Parliament in 1996. He was Vice President of the Social Democrat Group until 2012 und then President until 2014. He was particularly engaged in foreign, enlargement, and neighborhood policies. Swoboda is also President of the Vienna Institute for International Economics, the Centre of Architecture, the University for Applied Science - Campus Vienna, and the Sir Peter Ustinov Institute.