Quo Vadis Europe? Challenges of the 21st: Wege aus der Krise

Wege aus der Krise im Nahen Osten

Geographisch ist das heutige Krisengebiet identisch mit der Einflusszone des Osmanischen Reichs östlich der heutigen Türkei. Auch in seinem europäischen Teil sind bis heute strukturell ähnliche Erscheinungen zu registrieren, gemildert durch die Selbsterfahrungen in den Balkankriegen und die Hoffnung auf ein besseres Leben in der EU ohne Faschismus und Stalinismus. Die Wurzeln liegen kulturhistorisch tiefer in der Verwaltungsstruktur des osmanischen MilletSystems. Sie zu kennen ist Voraussetzung für erfolgversprechende Lösungsansätze. Das Millet-, arabisch Milla-System war die religiös definierte Rechtsordnung eines formal multikonfessionellen Gemeinwesen in den vom osmanischen Reich eroberten Gebieten, am Balkan, im Nahen Osten und im Maghreb. Der Sultan gab Schutz, kassierte Dschizya aber die Steuereinhebung erfolgte über die religiös kirchliche Führung. Bei Streitigkeiten zwischen Christen und Moslems galt die Sharia. Moslems saßen am längeren Ast. Die Umma war die islamisch-osmanische Glaubensgemeinschaft. Der Sultan war der Kalif. Die Sunna umfasste die Abweichungen wie Schiiten, Alawiten, Alewiten, Yesiden, ohne eigenen Rechtsstatus. Eine gewisse feudale Autonomie genossen die Drusen vom Dschebel al Duruz und Libanongebirge – wo sie heute noch mit der Familie Dschumblat einen Sonderstatus im Libanon bewahren konnten. Dieses System benützte die Repräsentanten der Eroberten als Verwalter. Gleichzeitig verführte es durch materielle Vorteile für Konvertiten zur religiösen Anpassung; auch heute noch spürbar in den Auseinandersetzungen zwischen Bosniaken, Serben und Kroaten in Bosnien-Herzegowina. Im Nahen Osten kamen aber noch die rigorosen Eingriffe Großbritanniens und Frankreichs vor, während aber vor allem nach dem ersten Weltkrieg dazu. So wie bei Aufteilung Afrikas am Ende des 19. Jahrhunderts zog man für die osmanischen Nachfolgestaaten per Lineal Grenzen auf der Landkarte, die quer durch die Völker gingen und sicherte sich durch Völkerbundmandat ab. Die Hashemitenkönige dienten als Feigenblatt. In Europa war Nationalismus Mode, dem Maghreb wurde er verwehrt. Mehr noch: Frankreich hatte Algerien kolonisiert, degradierte es zu zwei französischen Departements, in denen bis zum Briefträger in der Oase Ghadaia 1,5, Millionen eingewanderte Franzosen die Verwaltung führten. Italien besetzte Libyen, Marokko hatte einen französischen Gouverneur. Den meisten Spielraum hatte noch der Bei von Tunis. Schon die Berber im Atlas und in der nördlichen Sahara wurden von Phöniziern, Römern und Vandalen beglückt, aus der wirtschaftlich interessantesten, nämlich der Küstenregion, verdrängt. Das Berberkönigreich Numidien kämpfte mit Rom im 3. Punischen Krieg gegen Karthago, wurde dann zur Kornkammer Roms. Die dann fast 1 Jahrhundert dauernde Wandalenherrschaft beendete der oströmische Kaiser Justinian. Ab dem 7. Jahrhundert übernahmen die Araber, für damalige Verhältnisse hoch entwickelt, sukzessive den Maghreb und drangen sogar nach Südspanien vor.

Sie brachten den Islam, der sich damals wohltuend von der katholischen Inquisitionsperiode abhob, deshalb auch samt einer starken jüdischen Gemeinde letztlich den Kürzeren zog. Einer der hervorragendsten Köpfe des Maghreb war der Theologe Ibn Kaldhun, Berater in Marokko und Tunis. Er trat für eine klare Trennung zwischen Religion und Staat ein. Das Reich der Almohaden zerfiel im 13. Jahrhundert in ein tunesisches Fürstentum und westlich davon in das Königreich der Abd-al Wadiden. Aber was kümmert uns heute das 13. Jahrhundert? Das westalgerische Tilimsen damals Tlemcen, gehört heute zu Algerien – nach wie vor von Marokko bestritten. Der Westen des damaligen Tunesiens gehört heute zu Algerien. Da ist die Spannung geringer. Das nur als Beispiel für tradierte Konflikte. Im sogenannten Barcelonaprozess gewährt die EU nicht unbeträchtliche Hilfe an Maghrebstaaten, vor allem Marokko. Seit dem Waffenstillstand im Kampf zwischen Marokko und der Polisario bzw. der von ihr gegründeten Demokratisch arabischen Republik Sahara in der ehemaligen spanischen Kolonie Westsahara, sind 23 Jahre vergangen ohne dass Marokko die Beschlüsse des UNO-Sicherheitsrates zur Vorbereitung und Durchführung eines Referendums über die Zukunft der Westsaharabefolgt hätte. Die UNO Mission MINURSO hat nur beschränkte Bewegungsfreiheit, ausländische Beobachter werden nicht zugelassen. Ein 2500 km langer Wall schützt die annektierten Gebiete. Die Spanier sind aus ihrer Kolonie Westsahara gegen 35 % Anteil an den dortigen Posphatvor-Kommen abgezogen. Die fischreichen Gewässer an der Atlantikkiste werden gegen Millionen Euro- Zahlung an Marokko von Fischern aus der EU ausgebeutet, aber für die vertriebenen Saharauis in der algerischen Wüste südlich von Tinduf zahlt die EU nichts. Hier ist wohl eine Initiative in der UNO und der EU überfällig. Die panarabische Bewegung nach dem 2. Weltkrieg ist politisch tot. Nationale Interessen, vor allem in Syrien und Irak waren stärker. Assad sen. und Saddam Hussein stritten nach Auflösung der ägyptisch-syrischen Union um die Vorherrschaft in der Baath-Bewegung, die bald zum Herrschaftsinstrument des jeweiligen Präsidentenclans degenerierte. Erinnerungen an das Assyrische Reich wurden belebt. Den Triumphbogen der Perser in Ktesiphon, 20 km von Bagdad benützte Saddam Hussein, um in Entfernung von einem Kilometer ein riesiges , kegelstumpfförmiges Gebäude „Panorama“ zu errichten, in dessen obersten Geschoss auf 120 Laufmetern die Schlacht von Kadesia, gemalt von Koreanern, in der Form dargestellt war wie in Wolgograd die Darstellung der Kämpfe um Stalingrad. In Kadesia haben die Araber die Perser besiegt, indem sie ihre Kriegselefanten angezündet haben. Jedes irakische Brautpaar konnte in einem dortigen Hotel 14 Tage kostenlos verbringen, wenn es das Panorama besuchte. So bereitete Saddam Hussein seinen Krieg um die Wiedererlangung der vollen Hoheit über den Shatt el Arab vor, die er im Vertrag von Algier 1975 als Unterstützung für Khomeini zugunsten der Talweglinie als Grenze aufgegeben hatte. Mit selbst erlebten Beispielen und dem Rückblick auf die mehr als ein halbes Jahrhundert währende Osmanische Herrschaftsstruktur komme ich zu den Schlußfolgerungen.: Jedem Versuch friedlicher Konfliktbeilegung muss eine penible Analyse des kulturgeschichtlichen Hintergrunds der betroffenen Streitparteien vorausgehen. Der zumeist lange Diskussionsprozess muss nicht nur von einer mit der Sachlage vertrauten Persönlichkeit, wie im Falle von Herrn Brahimi in Syrien, geführt werden sondern bedarf der ständigen gemeinsamen Unterstützung durch die Vetomächte im Sicherheitsrat der UNO. Im Falle von Regimen oder Bewegungen, die nicht auf Rechts- sondern auf Gewaltanwendung beruhen, sind die den UN vorbehaltenen völkerrechtlichen bis hin zu militärischen Mitteln anzuwenden. Das geht nicht mit vom Generalsekretär zusammengebettelten Truppen aus Ländern mit anderen Kulturen.

Hier müssen die Militärmächte und Bündnisse eine Kapazität zur Friedenswiderherstellung vorhalten. Dahinter darf sich kein neuer Imperialismus verstecken. Die EU und Russland sind die geopolitisch wichtigsten Partner im Nahen Osten und im Maghreb. Die EU hat ihre wirtschaftliche Unterstützung im Maghreb auszuweiten aber auch an die Achtung des Völkerrechts und der Beschlüsse des UNO Sicherheitsrates zu binden. Die europäische Wirtschaft ist zu Investitionen mit Risikoabfederung im Maghreb, später auch im nahen Osten zu animieren. Das reduziert auch den Zuwanderungsdruck auf EU-Europa. In der NATO haben deren EU-Mitglieder die Aufgabe, die Ostlastigkeit ihrer Politik zu reduzieren. Die Russische Föderation hat Zug um Zug auf eine Entspannungspolitik der NATO zu reagieren. Vor fast 40 Jahren, im kalten Krieg, haben die damaligen westeuropäischen Staaten und die Sowjetunion zur Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit zueinander gefunden –Das soll heute nicht mehr möglich sein? Ich achte die Ängste der Polen und Balten vor Russland, aber auch die Ängste Russlands vor einem ständigen Vorrücken der NATO nach Osten. Wenn das nicht lösbar ist, wird es auch keine Lösung für die Probleme im Nahen Osten geben.


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BM a.D. Erwin Lanc studied law at the University of Vienna and worked from 1949 to 1955 in the Federal Ministry for Social Administration. From 1955 to 1959, he was the Federal Secretary of the Austrian Youth Hostel Association; in 1959, he changed to he Zentralalsparkasse and Kommerzialbank Vienna as a bank official. From 1960 to 1966, he was a member of the Vienna City Council and a member of the Vienna State Parliament, from 1966 chairman of the SPÖ Margareten, and from 1966 to 1983 member of the National Council. From 1973 to 1977, Lanc, who was also the deputy chairman of the SPÖ Vienna and a member of the SPÖ federal party executive, served as federal minister of transport, from 1977 to 1983 as federal minister of the interior - under him was the "Gendarmerie Einsatzkommando" (GEK) as nationwide Counterterrorism unit set up - and from 1983 to 1984 as Federal Minister for Foreign Affairs. Since retiring from daily politics, Lanc has been involved - among other things also as Honorary President of the International Institute for Peace, especially for international peace and the dialogue between Israelis and Palestinians