Sunniten gegen Schiiten: Zur Konstruktion eines Glaubenskrieges

von Joy Hellers 

Am 4. Oktober 2019 hat das International Institute for Peace (IIP) in Zusammenarbeit mit der Gesellschaft für Österreichisch-Arabische Beziehungen und dem Verlag Promedia zur Präsentation des Buches „Sunniten gegen Schiiten: zur Konstruktion eines Glaubenskrieges“ von Tyma Kraitt eingeladen. Nach einer kurzen Begrüßung durch Hannes Swoboda, bei der insbesondere die Multidimensionalität des Glaubenskonfliktes zwischen den Sunniten und Schiiten des Islams angesprochen wurde, wird die Autorin durch den Moderator Fritz Edlinger kurz vorgestellt.

Die in Bagdad geborene Tyma Kraitt, lebt seit ihrer Kindheit in Österreich und studierte Philosophie an der Universität Wien. Nach ihrem Studium ist sie unter anderem als Journalistin und als Reporterin beim ORF tätig. 2013 erscheint ihr erstes Buch ,,Syrien. Ein Land im Krieg. Hintergründe, Analysen, Berichte“.

foto5.jpg

In ihrem neusten Werk ,,Sunniten gegen Schiiten : zur Konstruktion eines Glaubenskrieges“ geht die Autorin vor allem auf die historisch relevanten Voraussetzungen für die Entstehung des religiösen Schismas und die darauffolgenden sozioökonomischen Faktoren ein. Kraitt betont, dass die Glaubensspaltung zwischen Sunniten und Schiiten ein beliebtes Motiv ist, um die Konflikte und Kriege im Nahen Osten zu deuten. Hierbei werden laut der Autorin jedoch andere zentrale Faktoren, wie beispielsweise die historische Rolle des Westens und vor allem die Auswirkungen der US-amerikanischen Invasion im Irak im Jahr 2003, ausgeblendet.

Besonders wichtig für die Autorin ist die Wurzeln dieses Konfliktes darzulegen. Bereits nach dem Tod des Propheten Mohammed spaltet sich der Islam, da dieser keinen konkreten Nachfolger ernannt hat. Die Schiiten sind davon überzeugt, dass Mohammeds Schwiegersohn, Ali, der rechtmäßige Nachfolger des Propheten ist. Die Sunniten hingegen gehen davon aus, dass Abu Bakr, Mohammeds Schwiegervater, der rechtmäßige Stellvertreter des islamischen Glaubens ist. Durch diese Uneinigkeit entwickeln sich zwei verschiedene Auffassungen des Islams und es entstehen unterschiedliche Praxen und Traditionen, so beten die Schiiten beispielsweise dreimal täglich, währenddem die Sunniten fünf Mal am Tag beten sollen. Die Streitigkeiten im Zusammenhang mit dem wahren und richtigen Islam halten bis heute an. Durch die lange Tradition und die stetigen Konflikte zwischen Schiiten und Sunniten, ist die Zugehörigkeit bis heute stark identitätsstiftend. 

Obwohl es immer wieder zu Auseinandersetzungen zwischen den unterschiedlichen Abspaltungen des Islams kommt, so hebt Kraitt während der Präsentation den konfessionellen Krieg zwischen Saudi-Arabien und Iran, um die Vormachtstellung innerhalb der islamischen Welt hervor. Hierdurch wird also auch der Aufstieg des politischen Islams seit 1979 angesprochen. Nicht bloß die iranische Revolution, sondern auch der religiöse Einzug in die Politik von verschiedenen Bewegungen, wie beispielsweise die Muslimbrüderschaft, führt zu der zunehmenden Politisierung des Konfliktes zwischen Sunniten und Schiiten.

Kraitt legt während der Präsentation zudem auch einen besonderen Fokus auf den Ursprung und die Entwicklung des Wahhabismus in Saudi-Arabien. Hierbei betont sie vor allem die Besetzung der großen Moschee im Jahr 1979 durch militante Islamisten, die das Ziel verfolgen die Königsfamilie in Saudi-Arabien zu stürzen und die saudische Kooperation mit dem Westen zu beenden. Nach dieser Besetzung wird unter anderem die Religionspolitik in Saudi-Arabien intensiviert, die Opposition und Minderheiten unterdrückt und weitere Menschenrechte verletzt. Aus diesen Gründen regt Kraitt die LeserInnen an, die westlichen Beziehungen und die Kooperation mit Saudi-Arabien infrage zu stellen und kritisch zu betrachten. Nachdem die Islamisten ihre Ziele in Saudi-Arabien teilweise durchsetzen konnten, verlegt sich das Feindbild der islamischen Extremisten von Saudi-Arabien hinzu anderen Regionen, wie beispielsweise nach Afghanistan, Algerien, Libyen, Irak oder Syrien. Auch in diesen Regionen sollen die islamistischen Werte durchgesetzt werden. Durch die Verbreitung des islamischen Extremismus wird auch der Konflikt zwischen Sunniten und Schiiten weiter vertieft.

Die Wirkung dieser politischen islamischen Gruppierungen scheint sich jedoch, laut Kraitt, langsam zu entzaubern. Sie betont beispielsweise, dass vor allem im Irak eine erstarkte Zivilgesellschaft und regelmäßige Proteste vorzufinden sind. Hierbei handelt es sich oft um junge, arbeitslose, schiitische Männer, die gegen die schiitische Regierung protestieren. Durch dieses Beispiel versucht die Autorin am Ende ihrer Präsentation noch einmal darauf aufmerksam zu machen, dass der Glaubenskonflikt zwischen Sunniten und Schiiten nicht für alle Probleme und Kriege in dieser Region verantwortlich gemacht werden kann.

foto13.jpg

Tyma Kraitt hat in dieser kurzen Präsentation die Grundlinien ihres neuen Werks geschildert. Sie hat nicht bloß die Ursprünge dieses Glaubenskonfliktes dargelegt, sondern auch aktuelle Entwicklungen durch konkrete Beispiele geschildert. Im Anschluss folgte eine kurze Fragerunde, bei der unter anderem die Entstehung von neuen Allianzen, um neue Probleme, wie beispielsweise die Desertifikation oder den Wassermangel zu lösen, angesprochen wurden. Des Weiteren wurde auch der arabische Frühling thematisiert. Hier wurde hervorgehoben, dass es sich nicht ausschließlich um einen Protest für Demokratie, sondern auch um einen Protest mit sozialen Forderungen handelt, denn die politische Führung hat über Jahre hinweg nicht im Sinne der Bevölkerung gehandelt. Obwohl der Glaubenskonflikt zwischen Sunniten und Schiiten das Leben in den islamischen Regionen also nicht vereinfacht, so spielen dennoch zahlreiche andere Faktoren eine große Rolle in den Krisen und Konflikten des Mittleres Ostens.